Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/1999

Spalte:

597–600

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Gäde, Gerhard

Titel/Untertitel:

Viele Religionen - ein Wort Gottes. Einspruch gegen John Hicks pluralistische Religionstheologie.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 1998. 404 S. gr.8. Kart. DM 68,-. ISBN 3-579-00389-5.

Rezensent:

Hermann Brandt

Hinsichtlich der Pluralistischen Theologie der Religionen (= PTR) lassen sich - wenigstens im deutschen Sprachraum - inzwischen zwei Phasen unterscheiden. Die erste war geprägt durch eine Rezeption der Impulse, die etwa von P. F. Knitter (Ein Gott - viele Religionen. Gegen den Absolutheitsanspruch des Christentums, München 1988), W. C. Smith (Towards a World Theology. Faith and the Comparative History of Religions, Philadelphia 1981) und vor allem von J. Hick und seinen bislang ca. 300 Veröffentlichungen ausgingen. Das Programm einer PTR, die Überwindung der exklusivistischen wie der inklusivistischen Bestimmung des Verhältnisses der jeweils eigenen Religion zu den anderen, faszinierte: Die von Hick proklamierte "kopernikanische Revolution" motivierte zum "Aufbruch", zum "Schritt über den Rubikon". Manche Würdigungen des neuen theologischen Paradigmas lesen sich geradezu wie Berichte einer Konversion zur PTR.

Dagegen repräsentiert das hier vorzustellende Werk eine zweite Phase, die inzwischen eingesetzt hat. Zwar wird der bestechende Charakter etwa von J. Hicks religionstheologischem Hauptwerk An Interpretation of Religion (jetzt auch auf deutsch: Religion. Die menschlichen Antworten auf die Frage nach Leben und Tod, München 1996) durchaus anerkannt, aber die Prämissen und die Durchführung werden nun einer kritischen Prüfung unterzogen. Dabei wird die PTR bei ihrem - gelegentlich aus dem Blick geratenen - Anspruch behaftet, christliche Theologie der Religionen zu sein.

Es handelt sich bei Gädes Arbeit um seine 1996/97 der Kath.-Theol. Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München vorgelegte Habilitationsschrift, die erst "nach heftiger Diskussion" in zwei Sitzungen (11) angenommen wurde. Schon diese Informationen und der an Karl Barth gemahnende Titel machen neugierig. Es zeigt sich allerdings, daß G. die Kriterien für seinen "Einspruch" und für die Beurteilung göttlicher Offenbarungen und Manifestationen aus der Gotteslehre Anselms von Canterbury gewinnt: "Nur eine Erlösung durch die Menschwerdung Gottes macht sich als Gottes Barmherzigkeit verständlich und steht deshalb im Einklang mit der Bedeutung des Wortes ,Gott’." Für alles Sprechen von Gott hat die "Denkregel der Unüberbietbarkeit" zu gelten (20, vgl. 93-96). Sonst ist gar nicht von Gott die Rede. Dagegen werde - das ist G.s Haupteinwand - Gott im Denken Hicks unter einen weltlichen Wirklichkeitsbegriff subsumiert.

Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Die beiden ersten formulieren den kritischen Einspruch gegen die PTR John Hicks; der letzte bietet darüber hinaus eine eigene "Grundlegung einer Religionstheologie im Kontext religiöser Pluralität".

Der erste Teil "Fundamentaltheologische Aspekte der pluralistischen Religionstheologie John Hicks" setzt ein mit der Skizzierung des Anliegens der PTR, den "Exklusivismus und Inklusivismus durch Pluralismus" zu überwinden. In einem 1. Kap. wird die Schlüsselfunktion der "religiösen Erfahrung" herausgearbeitet; sie ist die "erkenntnistheoretische Grundkategorie" für Hick. Dieser differenziert Erfahrung als subjektive Wahrnehmung ("meaning"), Überprüfung und Korrektur des Erfahrenen, z. B. durch Falsifikation ("interpretation") und Verknüpfung neuer Erfahrungen mit bereits gespeicherten Erinnerungsinhalten ("experiencing-as"; "erfahren als"). Eine Interpretation der Wirklichkeit kann also nicht Exklusivität für sich beanspruchen. Erfahrung ist vielmehr ein subjektiver und synthetischer Vorgang (vgl. die Bezüge Hicks zur Philosophie Kants: 41-45), der die religiöse ebenso wie die physikalische Wahrnehmung von Wirklichkeit charakterisiert. Was aber unterscheidet dann eine Gotteserfahrung von menschlicher Einbildung? Dafür würden von Hick keine theologischen Kriterien angegeben (vgl. 50), vielmehr entspräche seinem "univoken Erfahrungsbegriff... ein ebenso univoker Glaubens begriff". "Faith" scheine bei Hick "eine bloß subjektive Deutung" "eines Ereignisses als Transzendenzerfahrung" zu sein, "die es nicht zuläßt, für die Wahrheit für alle gehalten zu werden" (53). Von fundamentaler Bedeutung für die PRT ist daher Hicks Unterscheidung zwischen "the Real" als transzendenter Wirklichkeit, die hinter allen religiösen Verbalisierungen steht, und "the Real" als von Menschen erfahrener Wirklichkeit. The Real (im Sinne von Gott a se) bleibt schlechthin unbegreiflich und unerkennbar, the Real (im Sinne von Gott pro nobis) hingegen steht für die Pluralität menschlicher Reflexe, d. h. der Religionen, auf jenes unerkennbare "Real" (vgl. 67 f.). Gott selbst bleibt hier, so G., "für den Menschen unerreichbar". Zwischen dem Gott "an sich" und "für mich" bleibt eine unüberwindliche Kluft (88).

Diese Kritik wird unter Rückgriff auf den Maßstab des anselmischen Gottesverständnisses entfaltet: Hick unterlasse es, zwischen natürlicher und übernatürlicher Gotteserkenntnis zu unterscheiden. Die Folge sei bei Hick "der Bruch im Gottesbegriff", der Hiatus, daß gar nicht Gott selbst, sondern nur die eigene Vorstellung und damit die auf ihn bloß verweisende eigene Geschöpflichkeit erfahren wird. Daß Gott allein dem Glauben begegnet, allein aus dem Hören des Wortes kommt, hätte dagegen sicherstellen müssen, daß im Gegensatz zu Hick Gott und Welt nicht unter denselben Wirklichkeitsbegriff fallen. Nach dieser Maßgabe könne überhaupt nicht so unbekümmert von Offenbarung(en) gesprochen werden, wie das in der PTR gang und gäbe sei (vgl. 126). "Real auf die Welt bezogen" kann Gott nur trinitarisch gedacht werden, sonst "hat man es nicht mit Gott zu tun", und alle Berufung auf Offenbarung(en) bleibt positivistisch (127, vgl. 132).

Das 2. Kap. erörtert den "Pluralismus als fundamental-religionstheologische Grundkategorie" bei J. Hick. Der Wahrheitsanspruch der Religionen bestehe nach Hick zu Recht, sofern sie- je auf ihre Weise - eine menschliche Transformation von "self-centredness" zu "Reality-centredness" leisten. Unter Voraussetzung dieses so bestimmten soteriologischen Wahrheitskriteriums aber sind die Religionen gleichwertig und gleich gültig. Die Plausibilität dieses plural anwendbaren Wahrheitskriteriums wird von Hick durch seine Definition von "faith" und "belief" ermöglicht, wobei den Glaubenssätzen (beliefs, etwa der Inkarnation), nur ein relativer, weil nicht wörtlich, sondern bloß "mythologisch" zu nehmender Wahrheitswert zukomme. "Faith" ist dagegen, so der Vf., eine noch nicht konzeptualisierte Grunderfahrung, lediglich eine anthropologisch mögliche subjektive Grundhaltung, die die Welt "als" in Gottes Gegenwart versteht und deutet, die Grenzen der empirisch verifizierbaren Geschöpflichkeit aber nicht überschreitet. "Belief" wie "Faith" bleiben "Welt" (164) - im Gegensatz zu Rö 10,17.

Zusammengefaßt: Hick und die Pluralisten argumentieren von einer "metatheoretischen ,Vogelperspektive’" aus (166-168), und ihre Relativierung der Wahrheitsansprüche der Religionen wird diesen nicht gerecht. Und vor dem Forum der Vernunft können Glaubensaussagen entweder nur "wahr" oder "als Glaubensaussagen unverständlich" sein. "Wahr" sind sie, sofern sie, ebenso wie die christliche Botschaft, "durch ihr trinitarisches Gottesverständnis" sich der Vernunft als Glaubensaussagen verständlich machen (282).

Der zweite Teil "Christologisch-soteriologische Aspekte der pluralistischen Religionstheologie John Hicks" ist wie der erste so aufgebaut, daß auf die kritische Darstellung eine systematische Entfaltung der theologischen Problematik folgt. Die Hauptpunkte der Kritik G.s sind folgende: Das Christusereignis wird von Hick in seine "apriorische religionstheologische Gesamtkonzeption" eingeordnet; Jesus ist eine Manifestation der transzendenten Wirklichkeit (282). "Gott kommt - im Gegensatz zum Anspruch des neutestamentlichen Zeugnisses - nicht wirklich zum Menschen", wenn "Inkarnation" nach Hick als metaphorische Aussage über eine der Manifestationen Gottes verstanden wird. Wenn Jesus nur als Geschöpf gesehen wird und nicht als der durch sein Wort ein neues Gottes- und Menschenverständnis schaffende Christus, dann bleibt auch "Erlösung" nur in den Grenzen der Immanenz. "Der metaphorischen Christologie Hicks entspricht so eine metaphorische Soteriologie. Da Gott nicht wirklich zum Menschen kommt, kommt auch der Mensch nicht zu Gott." Daß der Kreuzestod Jesu bei Hick auf eine moralische Vorbildfunktion reduziert werde, sei daher nur konsequent (ebd.). "Der Gott der Bibel, der sich im Neuen Testament als dreifaltiger Gott offenbart", der die endliche Menschheit in seine eigene Wirklichkeit hineinnimmt und mit sich versöhnt, werde ersetzt "durch eine vom Menschen letztlich unberührte transzendente Wirklichkeit". So lautet das schneidende Resümee, Hick fordere "als Preis für die religionstheologische Pluralismusfähigkeit des Christentums letztlich dessen Selbstaufgabe" (283).

Es ist zu würdigen, daß der Vf. es nicht bei dieser Kritik beläßt, sondern in seinem dritten Teil eine eigene "Religionstheologie im Kontext religiöser Pluralität" entwirft. Für diesen Entwurf ist es entscheidend, daß die Wahrheit der Religionen nicht aus einer "religionsneutralen Metaperspektive" erkannt werden kann. Christen können nur aus ihrer Glaubensgewißheit, "daß alles in Christus geschaffen ist", urteilen. Unter mehrfachem Bezug auf das "Prae Christi" (Joh 8,58) fällt dieses Urteil überraschend positiv aus: "Der Dienst der christlichen Botschaft in der Begegnung mit den Religionen besteht darin, daß sie die je eigene Wahrheit dieser Religionen in ihrer Unüberbietbarkeit und universalen Verkündbarkeit zur Geltung bringt, ohne sie steigern zu können und ohne sie mindern zu wollen." (363). Das ist "eine ,andere’ Absolutheit" (360ff.). Ohne die christliche Botschaft "bliebe der Anspruch aller Religionen, Gottes Offenbarung oder Weg zu Gott zu sein", schleierhaft.

Hier wird die Christologie - im Gegensatz zur PRT, die sie als Stolperstein auf dem Weg zum interreligiösen Dialog entfernen will - geradezu zur Basis der Religionstheologie. Das biblische Zeugnis mit seiner religionskritischen Funktion hinsichtlich der Ambivalenz aller Religionen (das Christentum eingeschlossen, 348 ff.) wird im Lichte Christi ganz neu als Wort Gottes verstehbar (325). D. h.: Die Verhältnisbestimmung zwischen christlichem Glauben und nichtchristlichen Religionen ist "der christlichen Botschaft selbst inhärent" (312). Hierbei versteht der Vf. "das Verhältnis der christlichen Botschaft zur Schrift Israels als Paradigma für eine Verhältnisbestimmung auch zu den anderen Religionen" (314-327), vgl. Rö 9,4 (325). Nicht nur verhält sich die christliche Botschaft als hermeneutischer Schlüssel zur Schrift Israels, sondern ebenso auch zu den anderen Religionen (329, 334). Christus, der Schlüssel, paßt gleichsam in beide Schlösser.

Handelt es sich hier nicht um das Programm eines neuen religionstheologischen Inklusivismus’, wenn aus christlicher Perspektive die ganze Religionsgeschichte der Menschheit als endgültig sinnvoll verstanden werden "muß" (324)? Der Vf. stellt die Frage selbst, verneint sie jedoch, da der Inklusivismus den anderen Religionen nur Teilwahrheit(en) zugesteht. Demgegenüber komme durch Christus "die ganze und als solche unüberbietbare Wahrheit der Religionsgeschichte ans Licht und wird universal verkündbar" (ebd.). - Nicht zuletzt die zusammenfassenden provokativen Thesen jeweils am Schluß der drei Teile werden die künftige Diskussion über die PTR beleben. Ich vermute, daß dabei folgende Punkte eine Rolle spielen werden, die ich in diesem Rahmen nur andeuten kann:

1. G.s Rezeption der Hickschen Position. Es fällt z. B. auf, daß G. den Abschnitt "Unbeantwortete und unbeantwortbare Fragen" in Hicks "Religion" (dort 367-372) mit keinem Wort erwähnt. Wenn schon das Verhältnis zu Israel als Paradigma für die Verhältnisbestimmung zu anderen Religionen gesehen werden soll, so läge mir der doxologische Ansatz von Rö 11,33-36 (mit den AT-Zitaten) näher als:

2. die Relation ratio und fides in G.s Konzept. Ist das trinitarische Gottesverständnis für die Vernunft wirklich derart einsichtig, daß (allein) die christliche Botschaft vom Standpunkt des Unglaubens aus eingesehen werden kann (vgl. 364)?

3. Mit anderen Worten: Der konfessionelle Unterschied in der Behandlung der Religionsproblematik. Hick ist eben auch (ursprünglich evangelikal-)protestantisch geprägt, wie G.s Ansatz römisch-katholisch. Diese unterschiedlichen konfessionellen Prägungen werden nicht thematisiert.

4. Zu erhoffen wäre, daß sich auch Angehörige nichtchristlicher Religionen zu G.s Buch äußern. Sie spielen als Subjekte darin - anders als bei Hick - kaum eine Rolle. Ich denke, sie werden bei G. doch eine inklusive Position sehen und sie ähnlich beurteilen wie seinerzeit Rahners Konzept der "anonymen Christen".

5. Der Vf. leistet aber einen Beitrag zur Verhandlung des Themas aus biblischer und christlicher Perspektive. Dieser Anstoß sollte viel intensiver aufgegriffen werden, als das in der PRT bisher unter den Etiketten Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus geschehen ist. Was seltsamerweise noch fehlt, wären eingehende Studien etwa unter dem Titel "Die Religionen im Zeugnis der Bibel", die zeigen würden, wie selektiv die bisherige Diskussion auf Schemata oder "Modelle" fixiert wurde.

6. Ein wichtiger und aktueller Hinweis steht bei G. (359) eher en passant, nämlich auf die das Christentum durchaus mitbetreffende Kritik des Wortes Gottes an allen Religionen, "insofern sie sich in den Dienst menschlicher Selbstrechtfertigung nehmen lassen". Diese Perspektive, die Religionen von der (Selbst-) Rechtfertigung her in den Blick zu nehmen, wäre nicht nur wichtig für die religionstheologische Debatte, sie könnte auch die inzwischen erlahmende römisch-katholische-evangelisch-lutherische Diskussion über die Rechtfertigung in einen weiteren, eben religionstheologischen, Kontext stellen, in den sie vielleicht noch eher gehört als in das innerchristliche Gespräch.