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Ausgabe:

März/2014

Spalte:

318–319

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schreiner, Stefan

Titel/Untertitel:

Die jüdische Bibel in islamischer Auslegung. Hrsg. v. F. Eißler u. M. Morgenstern.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2012. XIX, 407. S. = Texts and Studies in Medieval and Early Modern Judaism, 27. Lw. EUR 99,00. ISBN 978-3-16-151011-3.

Rezensent:

Josef van Ess

Man sollte sich keine Illusionen machen: Nur wenige Muslime haben je die Absicht gezeigt, die jüdische Bibel (also, in der Sprache von gestern, das »Alte Testament«) auszulegen. Aber man kann sich natürlich fragen, wie viel Bibelexegese – und welche ? – in den Koran eingegangen ist oder sich in den »Prophetengeschichten« (qiṣaṣ al-anbiyā ̉) versteckt, die man im islamischen Raum sich so gern erzählte. Ebenso hat man sich theologischen Problemen manchmal eher in jüdischer als in christlicher Weise genähert; islamische Esoteriker verwiesen gerne darauf, dass laut Sure 18:60 ff. der angesehene Prophet Mose sich von seinem jugendlichen Be­gleiter (fatā) al-Ḫaḍir/Khidr, einem Wanderer wie Wagners Wo­tan, über den tieferen Sinn gewisser geheimnisvoller Geschehnisse belehren lassen musste. So ist denn auch die vorliegende Aufsatzsammlung zu verstehen.
Der Vf. ist in das Alter gekommen, wo man Bilanz zieht, und zwei jüngere Kollegen haben beim Zu­sammenstellen der Bibliographie (die Jahre 1974–2011 umfassend) diejenigen Studien ausgesondert, die zum Thema passen, und sie mittels guter Stellen- und Namenregister in ein Buch verwandelt. Stefan Schreiner ist Judaist, und er kennt sich nicht nur in der Bibel, sondern auch in den rabbinischen Texten sehr gut aus. Zudem liest er Arabisch; er hat dazu in den frühen 70er Jahren in Halle eine solide Ausbildung genossen. Die Kontakte der DDR haben ihm schon früh den europäischen Osten erschlossen; über die jüdischen Ge­meinden in Polen und Litauen führte ihn dann der Weg ins Osmanenreich. Das Judentum, das dort überlebt hatte, war sephardisch geprägt; so fiel ihm nach der »Wende«, als er in Tübingen zu unterrichten begann, der Sprung nach Spanien leicht, das bis 1492 die Heimat der Ladino sprechenden Istanbuler Sefarden gewesen war. Im türkischen volkstümlichen Schattenspiel, dem Karagöz, in dem das bunte Völkergemisch der damaligen Weltstadt Konstantinopel/Istanbul (εἲς την πόλιν) sich spiegelt, werden die Juden damit persifliert, dass sie immer »Kekeres« sagen; das ist spanisch »qué quieres?«, eine Verlegenheitsfloskel wie frz. »que voulez-vous?« oder dt. »äm-äm«. Über Spanien eröffnet sich dann der Blick auf die convivencia und jene Dialogfähigkeit, die dem »Westen« in der letzten Zeit so sehr abhanden gekommen ist.
Der Vf. pflegt das Gespräch mit den Muslimen in Sarajevo und fördert in Tübingen das neu eingerichtete Institut für islamische Theologie. Seine Beziehung zum Islam beruht auf einer ungewöhnlich breiten Sprachenkenntnis und auf einer Bildung, die das momentan in Deutschland grassierende Islam»bild« tief in den Schatten stellt.
Die Publikation steht damit auch quer zu dem Trend, das »christlich-jüdische Erbe« gegenüber dem Islam abzugrenzen. Der Vf. fasst Judentum und Islam vor allem als gegenwärtige europäische Phänomene. Er zitiert darum verhältnismäßig wenig englischsprachige Literatur. Das gibt seinen Ausführungen stellenweise einen gewissen altmodischen Charme; er tritt in Distanz zu der jüngeren westdeutschen islamkundlichen Forschung, die stark amerikaorientiert ist und in dem Bestreben, international wahrgenommen zu werden, in steigendem Maße auf Englisch publiziert. Darin verrät sich auch ein Generationenunterschied; der Vf. be­nutzt gerne ältere Sekundärliteratur, die mittlerweile nicht mehr internet-kompatibel ist und allmählich aus dem Gesichtskreis schwindet. Es geht ihm nicht um die »Modelle«, nach denen man sich die Entstehung des Korans vorzustellen hat, sondern um Verwandtschaften und parallele Sichtweisen, nur dass er diese nicht mehr als »Einflüsse« deutet. So erfährt man manches über die koranische Behandlung des Sabbatgebots oder des Dekalogs und versteckte Bezüge zur Bergpredigt, über die Gottebenbildlichkeit des Menschen oder die Analogie von Schlaf und Tod, über die Gestalten des Jona/Yūnus und des Hiob/Aiyūb, schließlich auch die Rolle von Palästina und Jerusalem in der religiösen Vorstellungswelt des klassischen Islams. Es ist interessant, zu beobachten, wie nahe sich Juden und Muslime in der Frage kamen, inwieweit Mose (oder gar sein »Volk«) am Sinai die Stimme Gottes vernahm (und verstand) und wie die Theologie dabei den Fallstricken der »Verbalinspiration« zu entgehen wusste (vgl. 121 ff.). Manchmal greift der Vf. auch auf die jüdische Reiseliteratur aus, zu der er sich früher schon mehrfach geäußert hat (u. a. in einem in Leipzig herausgekommenen Buch aus dem Jahre 1991); ihr gilt der letzte Beitrag (344–362), über einen polnisch-litauischen Adligen aus dem Ge­schlechte der Radziwi łł, der gegen Ende des 16. Jh.s ins Heilige Land pilgerte.
Das Buch ist bemerkenswert gut Korrektur gelesen. Die Transkription des Arabischen wird wesentlich sorgfältiger gehandhabt, als dies in manchen islamkundlichen Veröffentlichungen noch der Fall ist. Nur Kleinigkeiten seien angemerkt. Insgesamt liest man das Buch mit Gewinn.
Auf S. 34 ist in Anm. 10 wohl musammā zu lesen statt mustamā; den VIII. Stamm des entsprechenden Verbs gibt es meines Wissens nicht. Auf S. 132 müsste man, wenn man der Übersetzung folgt, eigentlich ma būdun lesen statt maʿbūdan. Die umūr ağība auf S. 160 sind wahrscheinlich keine »wunderbaren Gebote«, sondern »wunderbare Begebenheiten«, und miṯlan auf S. 162, Anm. 18, ist wohl maṯlan zu lesen. S. 10, Anm. 22, lies Saqqā statt Saqā; auf S. 160 Qurašī statt Quršī; auf S. 315, Anm. 103, »Sivan« statt »Silvan«; auf S. 342, Anm. 81, »Iḥsān« statt »Raḥsān«; auf S. 242, Anm. 13, »moritur« statt »moritor«. Manchmal kommt es zu Wiederholungen; so begegnet Anm. 254 von S. 153 auch auf S. 169 f. (als Anm. 56). Aber das passiert in Sammelbänden immer wieder.