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Ausgabe:

März/2014

Spalte:

291–310

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Martin Greschat

Titel/Untertitel:

»Kirchliche Zeitgeschichte«

Überlegungen zu ihrer Verortung

I Zeitgeschichte

Wie auch immer man »Kirchliche Zeitgeschichte« definieren und qualifizieren mag: Unbestreitbar handelt es sich dabei zunächst einmal um einen Bereich der allgemeinen Zeitgeschichte. Diese Aussage gilt keineswegs unangefochten. Ob und inwiefern diese Feststellung das Wesentliche der »Kirchlichen Zeitgeschichte« trifft, wird noch ausführlich zu erörtern sein. Zunächst geht es lediglich um ihre Verortung: Die »kirchliche Zeitgeschichte« steht im Kontext der allgemeinen Zeitgeschichte. Von ihr muss deshalb auch zunächst die Rede sein.

Nach der Formulierung des Doyens der Zeitgeschichte, Hans Rothfels, geht es im Blick auf deren zeitliche Erstreckung um die »Epoche der Mitlebenden und ihrer wissenschaftlichen Behandlung«1. Diese Definition und Datierung gelten bis heute weitgehend als selbstverständlich – wie etwa an den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte (VfZ) abzulesen ist, dem wissenschaftlich führenden Organ auf diesem Gebiet.

Jenes so geläufige Konzept überdeckt freilich einen Dissens, der sich bei genauerem Hinsehen kaum verkennen lässt: Einerseits hat es diese Zeitgeschichte mit den jeweils Lebenden zu tun, also mit jeder neuen Generation von Zeitgenossen. Rothfels meinte zwar, bei den »Mitlebenden« könne es sich durchaus »um zwei bis drei Generationen« handeln. Doch diese Ausweitung löst nicht das Problem. Mit Recht unterstreicht z. B. Eberhard Jäckel: »Wenn Zeitgeschichte die Epoche der Mitlebenden ist, dann beginnt sie mit diesen und ist logischerweise nicht generell datierbar.«2 Aber genau das intendierte Rothfels. Nach seiner Vorstellung handelte es sich nämlich bei den Ereignissen des Jahres 1917 um den Beginn einer neuen Epoche. Der amerikanische Präsident Woodrow Wilson proklamierte im März und April 1917 mehrfach eine neue Weltordnung, die auf den Prinzipien der individuellen politischen und ökonomischen Freizügigkeit basierte, der Gleichberechtigung aller Nationen und ihrer Selbstbestimmung. Sobald diese Grundzüge verwirklicht wären, würden sie zur Etablierung der Demokratie führen, die die Welt sicherer mache, Kriege verhindere und den Frieden stabilisiere. Am 9. April 1917 verkündete Lenin im Namen der Bolschewiki ebenfalls den dauerhaften Frieden: Der Weltkrieg sollte ohne Annexionen beendet werden, mit der Selbstbestimmung der Völker sowie dem Ende der kapitalistischen Ausbeutung der Menschen in der neuen sozialistischen Gesellschaft. Sowohl die sowjetische als auch die nordamerikanische Konzeption wurde so­gleich mit eminentem missionarischem Eifer verkündet. Die eine ebenso wie die andere Überzeugung beanspruchte prinzipiell globale Geltung.3

In bewusster Analogie zur großen Französischen Revolution von 1789 ging es für Rothfels im Geschehen zu Beginn des 20. Jh.s »um ein Zeitalter krisenhafter Erschütterung und zugleich um eine eben darin sehr wesentlich begründete universalhistorische Konstellation über die Welt hin«4. Gleichzeitig benannte Rothfels deutlich den historischen Ort seiner Konzeption: »Schon 1918 ist im Grunde die Antithese Washington – Moskau eine sehr reale ge­-wesen.« Dieser Sachverhalt sei in der Folgezeit nur zunehmend deutlich zutage getreten. Das bedeutet: Der Kalte Krieg, auf dessen Hö­hepunkt jenes Interpretationsmodell kaum zufällig entstand, bildete als Konstante den Rahmen der jüngsten Geschichte. Innerhalb dieses Rahmens spielten sich dann sämtliche historischen Er­eignisse für die Mitlebenden als Variationen jener Grundfigur ab. Ihre Geschichte besaß durchaus Unverfügbarkeit und eigenes Recht. Doch sie blieb eingespannt in die alles qualifizierende Realität des Ost-West-Konflikts, dessen entscheidender Ausgangspunkt nach Rothfels 1917 hieß.

Sobald man diese Voraussetzungen akzeptierte, bildeten das fixe historische Datum und die jeweilige Epoche der Mitlebenden nicht länger einen Widerspruch. Beide fügten sich vielmehr zu einem stimmigen Interpretationsmodell der Zeitgeschichte zusammen. Von daher konnte Rothfels auch die anderen Zäsuren der deutschen Geschichte des 20. Jh.s einordnen – wie z. B. 1918, 1933 oder 1945. Das Konzept vermochte jedoch nur so lange zu überzeugen, wie der Ost-West-Gegensatz die dominierende Größe bildete, also in den 50er und frühen 60er Jahren. Und es verlor in dem Maß an Überzeugungskraft, in dem deutlich wurde, dass sich von hierher wachsende Bereiche der historischen Wirklichkeit nicht mehr an­ gemessen erfassen ließen. Das von Rothfels vorgelegte Konzept zum Verständnis der Zeitgeschichte dürfte mithin als überholt gelten.

Nicht erledigt scheint mir dagegen die Frage nach ihrem zeitlich zu fixierenden Beginn. Die Konzentration auf die Geschichte der Mitlebenden räumt »der ungefilterten lebensweltlichen Erinnerung eine kaum angemessene Bedeutung ein«, monierte etwa Christoph Boyer.5 Dagegen setzte er: »Weil […] die Einheit einer Epoche in einem Problemzusammenhang der res gestae begründet liegt, muss auch die von diesen Realitäten handelnde Wissenschaft in der Chronologie fest verankert sein.«

Nicht so sehr die Fixierung auf die Ereignisse des Jahres 1917 als vielmehr die damit von Rothfels verbundene Deutung umschließt m. E. eine Engführung. Für sinnvoller halte ich es, darüber hinaus-zugreifen und das Faktum des Ersten Weltkriegs insgesamt als Ausgangspunkt zu wählen. Diesem Datum kommt auch international eine wichtige Bedeutung zu.6 Hierbei geht es nicht primär um die diplomatischen, politischen und militärischen Vorgänge, sondern um deren Auswirkungen auf Millionen Menschen, stets auf Einzelne, aber ebenso sehr auf Gesellschaften und ganze Kulturen. Man hat diesen Weltkrieg deshalb zu Recht als die »Ur­katastrophe Europas« bezeichnet.7 Er vernichtete die Grundlagen der überkommenen Weltordnung. »Das großartige Bauwerk der Zivilisation des 19. Jahrhunderts brach in den Flammen des Weltkriegs zusammen, als seine Säulen einstürzten. […] 1914 be­gann das Zeitalter des Massakers.«8 Die Gräuel an den Fronten »sollten aber noch andere und schlimmere Folgen haben. Denn diese neue Er­fahrung trug dazu bei, den Krieg ebenso wie die Politik zu brutalisieren: Wenn Krieg geführt werden konnte, ohne die menschlichen und anderen Kosten aufzurechnen, weshalb dann nicht auch die Politik?«

Als wichtig und folgenschwer konnte sich mithin die im Verlauf des Weltkriegs von Menschen erfahrene und gelebte Gewöhnung daran auswirken, dass die Ausnahmen von geltenden rechtlichen Normen und sittlichen Werten gestattet waren, dass man sie also, ohne Sanktionen befürchten zu müssen, verletzen konnte, durfte und sogar musste. Dieser Prozess der Aufweichung und Relativierung von Regeln und Ordnungen ermöglichte die Durchlöcherung der Grenzen hin zum Totalitären. »Denn Entgrenzung als Zerstörung legitimer rechtlich-moralischer Ordnung ist die Bedingung des Totalitären, das seiner Natur nach keine Grenzen kennt.« 9 Fritz Stern zog dann von hierher eine Linie zur Ermöglichung des Holocaust: »Er fand statt in der langen Nacht der Brutalität, auf dem Tiefpunkt der Brutalisierung Europas im Gefolge des Ersten Weltkriegs.«10 Mit alledem soll und kann natürlich kein Determinis­mus, keine irgendwie geartete historische Zwangsläufigkeit be­hauptet werden. Doch diese dunklen, enthemmenden Phänomene gehören unabweisbar in den Kontext der Geschehnisse des Ersten Weltkriegs.

Nun bestehen sicherlich ein beträchtlicher Abstand und eine keineswegs nur chronologische Distanz zwischen jenen Ereignissen des Ersten Weltkriegs und der Erforschung einer auf das gegenwärtige Mitleben zielenden Zeitgeschichte. Andererseits ist das Phänomen einer weit gespannten zeitlichen Erstreckung und Wirkung historischer Vorgänge nicht ungewöhnlich. Zum Verständnis der Geschichte gehört immer der Rückbezug auf Vergangenes, auch weiter Zurückliegendes, die Einbindung aktueller Vorgänge in die sie tragenden und mit bestimmenden historischen Traditionen. Im Blick auf die Zeitgeschichte wurde versucht, jene Spanne von rund 100 Jahren zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Ge­genwart in eine ältere Phase (1917–1945), eine jüngere (1945–1989) und eine jüngste (1989/90 bis zur Gegenwart) zu unterteilen.

Sicherlich bildete das Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 eine tiefe und umfassende historische Zäsur. Nimmt man den Gesichtspunkt des Mitlebens ernst, beginnt für die heutige Generation die Zeitgeschichte wohl um 1945 in Gestalt der Erinnerungen und Er­zählungen der Eltern- und Großelterngeneration über den Zweiten Weltkrieg, insbesondere über dessen letzten Abschnitt, den Zusammenbruch des Nationalsozialismus mitsamt den Schrecknissen, Nöten und Ängsten, denen die deutsche Bevölkerung damals ausgesetzt war. 11 Dadurch wurde und wird allerdings leicht zugedeckt, wie es zu jener Katastrophe kam. »Da die Menschen sich als Opfer sahen, fragten sich nur wenige, warum sie all das zugelassen hatten, warum sie sich hatten irreführen und ausnutzen lassen. […] Die abscheuliche Unmenschlichkeit, für die Deutschland verantwortlich war, wurde verdrängt und dem Be­wusstsein entzogen. Was blieb und in der Erinnerung brodelte, war das Ende, das Elend im Untergang des Dritten Reichs.«

Nicht losgelöst davon, aber doch zunehmend als eigene Realität wurde dann das Phänomen des Kalten Krieges erlebt und erlitten. Der Begriff hat sich eingebürgert, obwohl er deutlich eurozentrisch konzipiert ist: In Asien und Afrika und Lateinamerika fanden in derselben Zeit blutige militärische Auseinandersetzungen statt! In Deutschland trennte, spaltete und zerriss der Kalte Krieg die Deutschen, nicht nur geographisch. Hier spielte deshalb die Frage dauerhaft eine Rolle, wie sich der Eiserne Vorhang überwinden, unterlaufen oder doch we­nigstens in seinen Auswirkungen lindern ließ. Doch da­rum ging es keineswegs nur in Deutschland. »Der Kalte Krieg war ein globaler Konflikt – ideologisch, politisch, geopolitisch, militärisch, jedoch mit überaus starken Rückwirkungen auf sehr verschiedene Bereiche, nämlich der Kultur, der Wirtschaft und Wissenschaft.« Es handelte sich niemals um eine Auseinandersetzung allein zwischen den USA und der UdSSR. Der Kalte Krieg »hat der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts insgesamt tiefe Spuren eingebrannt.«12

Ein tief eingreifender Einschnitt anderer Art begegnet im Übergang zu den 70er Jahren des 20. Jh.s. Kennzeichnend dafür ist nicht zuletzt das Auftreten einer neuen Generation, in Deutschland und weit darüber hinaus. Diese zumeist jungen Menschen bewegten andere Probleme als ihre Eltern. Sie stellten neue, ungewohnte Fragen. Und sie agierten dementsprechend. Doch was man gewohnt ist, als den »Mythos 1968« zu bezeichnen, diese »Chiffre mit iden­-titätsstiftendem Symbolcharakter«13, überlagert leicht die sich hinter diesem Szenarium vollziehenden fundamentalen ökonomischen und sozialen Umbrüche. Kennzeichnend für die Jahrzehnte »Nach dem Boom« ist das Auseinanderdriften der sinkenden westeuropäischen und deutschen Industrieleistungen einerseits – und andererseits einer enormen Ausweitung des Sozialstaats, verbunden mit steil ansteigendem Massenkonsum.14 »Die Konsumgesellschaft wurde gerade dann zum Grundtatbestand in Westeuropa, als das materielle Fundament des Nachkriegsbooms zu erodieren anfing und die wirtschaftliche Stabilität nicht mehr in der bisherigen Form gesichert war.« Daraus resultierte eine rund 30 Jahre an­dauernde Phase eines komplexen Übergangs, dessen Kennzeichen ein insgesamt noch keineswegs ausgeloteter »sozialer Wandel von revolutionärer Qualität« ist – mitsamt umfassenden mentalen Veränderungen. »Ungewissheit und Widersprüchlichkeit gehören des­halb ganz wesentlich zum Gesamtbild dieses dynamischen Ge­schehens.«

Nicht weniger sinnvoll erscheint schließlich die Forderung, sich auf die neuste Zeitgeschichte zu konzentrieren, welche die Folgen der weltgeschichtlichen Wende von 1989/90 ins Auge fasst und wissenschaftlich reflektiert.15 Kennzeichnend dafür sind der Zu­sammenbruch des Sozialismus im sowjetischen Machtbereich, das Ende des Kalten Krieges und insbesondere die bis dahin von den Supermächten USA und UdSSR dominierte Welt- und Werteordnung. Der Abstand dieser Zeit zur vorangegangenen, selbst zu den 80er Jahren des 20. Jh.s, ist immens. Denn nun tun sich Probleme auf, für die keine Lösung bereitliegt, weil »offensichtlich alle alten oder neuen Programme, mit denen die Angelegenheiten der menschlichen Rasse bewältigt oder verbessert werden konnten, fehlgeschlagen« sind.16 Würde sich Zeitgeschichte auf die Bearbeitung der früheren Epochen beschränken, gäbe sie ein Stück ihrer ureigensten Zielsetzung preis. »Dringend erforderlich sind vielmehr neue Impulse für die Erforschung der Periode seit 1989/90. Je länger, desto mehr muss sie als zeithistorische Periode eigenen Rechts konstituiert und mit einer spezifischen Forschungsagenda ausgestattet werden.«17 Wird das, kann das gelingen, wenn es entscheidend darauf anzukommen scheint, dass wir »eine erkennbare Zukunft« nur haben, wenn wir aufhören, »die Vergangenheit oder Gegenwart lediglich fortzuschreiben«?

Alle diese zweifellos wichtigen Gesichtspunkte, Überlegungen und Fragestellungen haben sich jedoch bislang insofern nicht auf einer breiteren wissenschaftlichen Ebene durchgesetzt, als dass sie die Signatur der Zeitgeschichte insgesamt bildeten. Dafür wären verschiedene Gründe zu nennen. Entscheidend aber ist wohl das Faktum, »dass die Auseinandersetzung mit der Katastrophengeschichte des 20. Jahrhunderts und ihrer Überwindung sich nicht in selbständige Teilbereiche aufspalten lässt« 18. Eine in solche Einzelbereiche aufgelöste oder auch primär chronologische Fortschreibung der Zeitgeschichte würde diese grundlegende Problematik relativieren, wenn nicht sogar preisgeben. Anders formuliert: Gerade die Bearbeitung der deutschen Zeitgeschichte – aber in jeweils eigener Weise ebenso die west- und osteuropäische – wird begleitet, bleibt unterfangen und korreliert ständig mit jener Geschichte, »die nicht vergehen will«. Die Fragestellungen mögen wechseln; einzelne Aspekte können zurücktreten, andere neues Gewicht ge­winnen: Doch insgesamt bleibt das erschreckende und verstörende Phänomen des durch den deutschen Nationalsozialismus bewirkten Zivilisationsabbruchs. In seinen Voraussetzungen und Folgen begleitet dieser in vielfältigen Bezügen und Zusammenhängen die rund 100 Jahre der Zeitgeschichte. Und insofern bildet sie, allen sinnvollen Differenzierungen zum Trotz, eine Einheit.

Zur Eigenart der Zeitgeschichte gehört die »Einrede der Mitlebenden und der durch Erfahrung begründeten Herausforderung der akademischen Urteilshoheit«19. Gewiss zählt die Auflösung von Mythen zur Funktion der kritischen Geschichtswissenschaft, das Streben nach einem »Mehr an Objektivität und Erklärung«20. Ein solches Bemühen impliziert allerdings auch die Relativierung, wenn nicht sogar Zerstörung der Realität des Erlebens, der Erfahrungen Einzelner oder ganzer gesellschaftlicher Gruppen. Der sich dagegen richtende Widerspruch, auch Widerstand sollte deshalb nicht unbedingt als unreflektiertes Vorurteil oder gar unaufgeklärte Rückständigkeit abgetan werden. Selbstverständlich gibt es hinreichend Belege und Erfahrungen für das unfruchtbare Neben- und Gegeneinander von Zeitzeugen und Wissenschaftlern. Ein kluger Zeitgenosse urteilte jüngst: »Nur das Statische, nicht Spontane, Vorhersehbare und daher nicht Lebende lässt sich wissenschaftlich erfassen.« 21 Insofern spräche alles für die Deutungshoheit des Zeitzeugen. Der Begriff ist nicht mehr sonderlich aussagekräftig. Er avancierte nach 1945 zur Bezeichnung von Personen, die das Geschehen der Vergangenheit von innen heraus, als Opfer dokumentierten.

Als Wanderer zwischen Damals und Heute »übernimmt er [der Zeitzeuge] die Erinnerung, von der Gegenwart aber die Wertmaßstäbe, das kulturelle Rahmenformat, in dem er das Vergangene memoriert und zugleich aktualisiert«22. Doch es lässt sich nicht übersehen, dass dessen Sicht in doppelter Weise eingegrenzt bleibt. Zum einen handelt es sich bei seinen Darlegungen stets auch um ein ausgesprochen subjektives Erleben, das sich kaum verallgemeinern lässt. Und selbst wenn das gelänge, bleibt festzuhalten – und das ist das andere –, dass selbst der weiteste Blick des Zeitzeugen ein eingeschränkter, begrenzter bleibt. Sobald dieser weiter blickt, ur­teilt und argumentiert, bewegt er sich auf der Ebene der Wissenschaft. Der Historiker dagegen ist bestrebt, mit der Hilfe wissenschaftlicher Methoden zu generellen, kritisch überprüfbaren Aussagen vorzustoßen. Dabei tritt prinzipiell an die Stelle der erlebten Unmittelbarkeit die reflektierende Distanz. Erst aufgrund solcher systematischen Ordnung der historischen Fakten entsteht eine nachvollziehbare geschichtliche Darstellung. Insofern beansprucht und realisiert auch der Historiker als Wissenschaftler die Deutungshoheit über die Vorgänge der Zeitgeschichte. Es wäre sicherlich fatal, wenn die Alternative dominierte. Wünschenswert bleibt vielmehr das Bemühen um einen fruchtbaren Dialog zwischen den Zeitzeugen und der akademischen Ge­schichtswissenschaft. Festzuhalten bleibt allerdings als Herausforderung und als Chance: »Die soziale Deutungskraft erfahrungs- und erinnerungsgestützter Gegennarrative unterscheidet die Zeitgeschichte im Kern von allen anderen Zeiten der Geschichte.«23

Auf derselben Ebene bewegen sich die von Akten und wissenschaftlichen Dokumenten weitgehend unabhängigen historischen Bemühungen der Oral History sowie der Forschungen zur Alltagsgeschichte. Beide konzentrieren sich auf das Erleben und die Erfahrungen einfacher Frauen und »ganz normaler Männer«. Hieraus ergibt sich seitens der Forscher oft ebenfalls eine Solidarisierung mit jenen Menschen. Dann ist es nur noch ein kleiner Schritt hin zur Solidarisierung mit den Opfern jener Geschichte. Daraus wiederum resultiert eine gewichtige Veränderung im Gegenüber von Zeitzeugen und Wissenschaftlern: Die Nachgeborenen argumentieren aufgrund der Position der Opfer. Sie übernehmen dann bewusst eine »stellvertretende Zeugenschaft« für die damals Lebenden. Dadurch erweitert sich der Raum der Zeitgeschichte: Aus der »Epoche der Mitlebenden« wird nun »die zeitlich offene Epoche der Mitfühlenden«.

II Zeitgeschichtliche Protestantismusforschung

Wie fügt sich die »Kirchliche Zeitgeschichte« in die hier umrissene Konzeption der Zeitgeschichte ein? Um die Antwort vorwegzunehmen: Alles bisher Berichtete ist auch ihr Feld, ihre Grenze und ihre Thematik.

Der Begriff der »Kirchlichen Zeitgeschichte« kann grammatikalisch in einem zweifachen Sinn verstanden werden: einerseits als eine von der Kirche inhaltlich gelenkte und dominierte Geschichte; andererseits als der Bereich, mit dem sich diese Geschichte befasst, hier also die evangelischen Kirchen. Beide Sehweisen spielten (und spielen) in der gegenwärtigen Behandlung der »Kirchlichen Zeitgeschichte« eine Rolle, wenngleich mit unterschiedlicher Intensität. Beide Auffassungen erscheinen mir allerdings als ausgesprochen korrekturbedürftig.

Die Aufarbeitung der Geschichte der evangelischen Kirchen in Deutschland in der Zeit des Nationalsozialismus geschah nach 1945 in einer betont theologiegeschichtlichen Perspektive. Der »Kirchenkampf« und somit die Bekennende Kirche bildeten den beherrschenden Bezugspunkt.24 Als kennzeichnend für diese Position kann das Urteil von Ernst Wolf gelten: »Der Kirchenkampf ist in seinen grundsätzlichen Auseinandersetzungen ein Kampf um ›Barmen‹; vor allem um die Theologische Erklärung. Alles andere, was in ihm eine Rolle spielt […], liefert im wesentlichen Material zu diesem Kampf der Kirche mit und um sich selbst.«25

Es ging also um die Beschreibung und Verteidigung einer theologischen und kirchenpolitischen Richtung, die sich als die wahre Kirche Jesu Christi im Kampf gegen deren Gegner begriff. Diese Überzeugung sollte das Leitmotiv auch der 1955 vom Rat der EKD berufenen »Kommission für die Geschichte des Kirchenkampfes in der nationalsozialistischen Zeit« bilden. Dabei spielte der Gesichtspunkt eine gewichtige Rolle, den sowohl vorausgesetzten als auch anvisierten theologischen und kirchenpolitischen Standpunkt nicht preiszugeben. Schon gar nicht sollte er den Händen wissenschaftlich relativierender Allgemeinhistoriker überlassen werden! Zur Begründung hieß es etwa, bei der Erforschung des »Kirchenkampfes« handele es sich um die »Spezialgeschichte eines Spezialverhältnisses«, das »aufgrund seiner theologischen Implikationen« dem Allgemeinhistoriker fernstehe.26

Dieses auch von führenden Vertretern der evangelischen Kirche vertretene Verständnis der jüngsten Zeitgeschichte ließ sich allerdings nicht durchhalten, nicht einmal gegenüber evangelischen Kirchenhistorikern. Die großen Darstellungen von Kurt Meier und Klaus Scholder zur Kirchengeschichte im »Dritten Reich« folgten eigenen, dabei keineswegs übereinstimmenden Konzeptionen.27 Zu diesem Zeitpunkt hatte der Rat der EKD allerdings seine Kommission bereits gezielt in »Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte« umbenannt. Fortan gehe es, erklärten die Vorsitzenden der Kommission, um die »Geschichte der Kirche im zwanzigsten Jahrhundert, in welcher der ›Kirchenkampf‹ in Deutschland und in den benachbarten Ländern nur einen – wenn auch noch immer entscheidenden – Abschnitt darstellt«< /span>28. Obwohl der Rat der EKD nach wie vor die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft beruft, kann von einer gezielten inhaltlichen Einflussnahme auf die Forschung inzwischen nicht mehr ernsthaft die Rede sein.

»Kirchlich« umschließt sodann den Bereich, auf dessen Erforschung sich diese »Kirchliche Zeitgeschichte« konzentrieren soll. Unter dieser Überschrift subsumierte Joachim Beckmann, der Herausgeber des Kirchlichen Jahrbuches, 1950 seine Tätigkeit als »theologischer Chronist«, dessen »im Miterleben gewonnenes Urteil« er als »Vorarbeit« für spätere wissenschaftliche Darstellungen verstand.29 Die Aussage spiegelt die damals weit verbreitete Auffassung, wonach es sich bei der Zeitgeschichte nicht um Wissenschaft im strengen Sinn handele. Timothy G. Ash erinnert sich: »›Zeitgeschichte?‹ schnaubte abschätzig ein älterer Don, als ich gegen Ende der achtziger Jahre in mein früheres College in Oxford zurück­kehrte. ›Sie meinen Journalismus mit Fußnoten?‹«30. Wie auch immer: Faktisch wurde »Kirchliche Zeitgeschichte« als gleichbedeutend mit »neuster Kirchengeschichte« begriffen und traktiert. Das bedeutet: Sie wurde (und wird) innerhalb der Theologischen Fakultäten in der Regel von Theologen betrieben. Dazu gehört dann die betonte Ausrichtung auf die Erforschung der Geschichte der eigenen Kirche oder Konfession. Wie Parteien und Verbände besitzen auch die Kirchen ein spezifisches kollektives Gedächtnis, dessen Inhalte tradiert werden, entfaltet, vereidigt und stets auch aktualisiert. Dieses Gedächtnis hat die Funktion, Gleichgesinnte zu verbinden, sie zu stabilisieren sowie zu mobilisieren. Es ist emotional besetzt, verfährt dementsprechend eklektisch und zielt weniger auf generelle als vielmehr spezielle eigene, also kirchlich- konfessionelle Wertvorstellungen. Fraglos existiert ein solches Verständnis der Kirchengeschichte nach wie vor in beiden Konfessionen. Unbestreitbar besitzt es auch ein eigenes Gewicht, insbesondere im Blick auf seine legitimierende und Identität stiftende Funktion. Die Beharrung darauf schafft jedoch ein doppeltes Problem: Zum einen droht die Realität anderer Christentümer aus dem Blick zu geraten; zum andern besteht, eng hiermit verknüpft, die Gefahr, ein kirchlich-konfessionelles Ghetto gegenüber der vielfältig anders gearteten Welt und Gesellschaft zu etablieren. Spätestens seit den 70er Jahren wird diese Thematik innerhalb der Kirchengeschichte diskutiert. Einige Hinweise müssen hier genügen.

Es geht um die Ausweitung des »Kirchlichen« in dieser Zeitgeschichte. Dass sie nicht nur interkonfessionell betrieben werden soll, sondern weltweit, insofern auch ökumenisch, sind längst er­hobene Forderungen.31 Dass »Kirche« viel mehr umfasst als die Geschichte der Institution oder ihrer Theologie; dass zu dieser Realität »Kirche« unterschiedliche Gruppierungen, Zielsetzungen und Mentalitäten gehören, die es enorm erschweren, auch nur »eine kleine Geschichte der evangelischen Kirche in der Bundesrepublik Deutschland« zu schreiben, ist ebenfalls kein Geheimnis.32 Um diese Fülle von Facetten zu erfassen, sollte man deshalb besser von »Protestantismus« sprechen als von der evangelischen Kirche.

Kurt Nowak plädierte für das »Bemühen, Christentums-, Kirchen- und allgemeine Geschichte nicht als voneinander abgetrennte Sondergeschichten zu erfassen, die nebeneinander herlaufen oder einander nur punktuell durchdringen, sie vielmehr als Einheit zu begreifen«33. Joachim Mehlhausen fordert: »Kirchliche Zeitgeschichtsforschung muss sich – um ihres kirchlichen Auftrags willen! – als integralen Bestandteil der allgemeinen Ge­schichtswissenschaft verstehen.«34 Albrecht Beutel charakterisiert den Gegenstand der Kirchengeschichte als den »Inbegriff derjenigen Phänomene, in denen eine ausdrückliche oder stillschweigende, aktive oder rezeptive Wahrnehmung der christlichen Religion zur Anschauung kommt. Oder, um dasselbe in formelhafter Verdichtung zu sagen: Es dürfte ratsam sein, Kirchengeschichte als die Geschichte der Inanspruchnahme des Christlichen zu verstehen.«35 Michael Beintker schließlich unterstreicht die Schwierigkeit, »zwischen kirchlicher Zeitgeschichte und Zeitgeschichte überhaupt scharf zu trennen«, und begreift Letztere als ein Korrektiv der Theologie: »Zeitgeschichtliche Forschung stellt Erfahrungen und Erfahrungshintergründe bereit, die ein oft desillusionierendes Licht werfen auf die Wirkungen und Auswirkungen theologischer Theorien, auf die Geschichte ihrer Missverständnisse und ihres Scheiterns an den Realitäten.«36

Solche Aussagen belegen eindeutig, dass Begriff und Inhalt der »Kirche« in der Bezeichnung »Kirchliche Zeitgeschichte« unscharf, zerfasert, wenn nicht sogar inhaltslos geworden sind. Man sollte, meine ich, den Begriff insofern nur im abgeleiteten, indirekten Sinn gebrauchen, als Hinweis auf einen Ort und eine Weise, wo und wie Zeitgeschichte traktiert werden kann.37

Es liegt auf der Hand, dass sich gegen diese Betrachtensweise Widerstand regte und regt. Die Auffassung dürfte kein Einzelfall sein, wonach »doch ein Unterschied darin« bestehe, »ob die kirchliche Zeitgeschichte von Historikern oder Theologen betrieben wird. […] Der Zeitgeschichtler als Christ und Theologe weiß sich in der communio sanctorum – die sich als eine ›geistliche‹ Größe historischer Betrachtung und Analyse allerdings weitgehend entzieht – innerlich verbunden mit dem Gegenstand seiner Forschung, und dies wird sein Urteil darüber beeinflussen, wie ›Erbe und Auftrag‹ der Kirche und ihrer Geschichte zu erkennen und zu bestimmen sind.« 38 Doch lässt sich eine solche Auffassung wissenschaftlich begründen?

Anspruchsvoller argumentiert Gerhard Besier.39 Ihm geht es ebenfalls darum, das Spezifikum der Theologie gegenüber der Allgemeingeschichte zu wahren. Deshalb betont er: Die kirchliche Zeitgeschichte »lässt den ›Kirchen‹ ihre Zeitgeschichte und fügt sie nicht einfach in einen allgemeinen umfassenden Zeitverlauf ein«. Das soll nicht heißen, dass sie von der allgemeinen Zeitgeschichte losgelöst wäre. Die »Kirchliche Zeitgeschichte« durchdringt diese vielmehr insofern, erklärt Besier, als sie »Geschichte, wie sie von Gottes Zukunft her bestimmt ist«, begreift. Von daher entscheidet die »Kirchliche Zeitgeschichte« auch, was das »Profil« einer Zeit ist, was »die Zeit bestimmt«, was es hier «unbedingt zu sehen gilt«. Anders ausgedrückt: Sämtliche wissenschaftliche Methoden sollen genutzt werden, jedoch stets unter dem Vorbehalt, dass sie den »Raum« schaffen und erweitern für die »spezifisch theologische Fragestellung und Perspektive der Zeitgeschichte«. Wie sich das realisieren lässt, bleibt allerdings unklar.

Es erstaunt kaum, dass Vertreter der allgemeinen Geschichtswissenschaft gegen solche und ähnliche Konzepte der Theologisierung der Zeitgeschichte Einspruch erheben. Sie sehen dann einen prinzipiellen Gegensatz zwischen ihrer Arbeit und derjenigen der »Kirchlichen Zeitgeschichte«: »Da mag der freie Raum für histo­rische Forschung und da mag die Annäherung an die allgemeine Geschichte noch so groß sein: ein protestantischer oder ein katholischer Kirchenhistoriker kann nun einmal nicht davon absehen, dass er sozusagen im Dienste eines Höheren steht, dem eine in dogmatischen Sätzen niedergelegte Verbindlichkeit zukommt. Das unterscheidet ihn fundamental von ›normalen‹ Historikern, die zwar auch Erkenntnisinteressen normativen Ursprungs verfolgen, aber daraus Fragestellungen zu entwickeln haben, die rein auf das jeweilige historische Phänomen gerichtet sind, und zwar gerade deswegen, weil ihr Interesse der Erkenntnis gilt.« 40 Gegen diese Konstruktion eines fundamentalen Gegensatzes von allgemeiner Geschichtswissenschaft und Kirchengeschichte ist mit Nachdruck die Feststellung des Theologen Kurt Nowak zu setzen: »Im Netzwerk historiographischer Kategorien bleibt die Geschichte profan. Keine noch so scharfsinnige historische Methode kann ihr aus dieser Profanität aufhelfen. […] Mit theologischen Aussagen ist sie überfordert und verbiegt die ihr eigentümlichen Erkenntnisinstrumente.«41

Wenn die Rede von der »Kirchlichen Zeitgeschichte« im strengen Sinn fragwürdig erscheint, weil dadurch weder der Ort, an dem sie betrieben wird, noch ihr Inhalt präzise umrissen werden: Wie sollte man dann angemessener ausdrücken, worum es geht? In Anlehnung an die Bezeichnung »Zeitgeschichtliche Katholizismus­forschung«42 plädiere ich für »Zeitgeschichtliche Protestantismusforschung«. Den Begriff Protestantismus verstehe ich bewusst in einem weit gespannten Sinn: Zum einen bezeichnet er die aus der Reformation des 16. Jh.s hervorgegangenen Kirchen; zum an­dern die dort entwickelten und gepflegten individuellen sowie kollektiven Lebensformen und Wertvorstellungen; sodann den Fortbestand und das Weiterwirken jener Normierungen, Prinzipien und Mentalitäten bei im Übrigen mehr oder weniger gelösten Bin dungen an eine bestimmte Kirche oder Konfession. Das umfasst schließlich auch die Aufnahme und Weiterentwicklung von »In-novationsimpulsen«, die über die Reformation hinaus »dynamisch wirksam geblieben sind«43. Da die Übergänge zwischen den ge­nannten Aspekten fließend sind, kann auch von dieser zeitgeschichtlichen Protestantismusforschung gelten: »Sie ist keine wissenschaftliche Disziplin im eigentlichen Sinne, sondern eine Forschungsrichtung, die sich über einen gemeinsamen Gegenstand definiert und dazu ein heterogenes Methodenverständnis pflegt.«44 Der zeitliche und thematische Rahmen dieser Protestantismusforschung erstreckt sich naturgemäß auf den hier skizzierten Bereich der allgemeinen Zeitgeschichte. Es könnte dann analog auch für die Arbeiten zur protestantischen Zeitgeschichte heißen: Hier »treffen sich Forscher, die sich selbst am ehesten der kirchlichen Zeitgeschichte zuordnen würden, genau so wie Theologen, die eher kirchliche Institutionengeschichte betreiben«.

Ein derart breites Konzept entspricht auch am ehesten dem von verschiedenen Seiten konstatierten Faktum des Endes der großen Theorien – wie z. B. der Säkularisierung, der Modernisierung, aber auch der »Kirchengeschichte als Geschichte der Auslegung der Heiligen Schrift«45 – mit ihren universalen Erklärungsansprüchen.46 Die Folge davon ist die Realität einer Vielfalt von Positionen und Antworten, also das Faktum des Pluralismus. Das bedeutet zweierlei: zum einen den Verlust der empirisch aufweisbaren und somit historisch wissenschaftlich belegbaren Eindeutigkeit und Wahrheit einer weltanschaulichen oder religiösen Überzeugung. Diese Einbuße wird in aller Regel als negativ empfunden, als bedrohlich. Denn sie zersetzt Voraussetzungen und Grundlagen, die man bislang als stabil und zuverlässig angesehen hatte. Sehr viel seltener kommt dagegen in den Blick, dass die großen Entwürfe zum einen deshalb zu überzeugen pflegten, weil sie in unterschiedlichem Ausmaß einer inzwischen kaum noch unanfechtbaren Fortschritts­ideologie huldigten; und weil sie zum andern deshalb so klar und zwingend erschienen, weil sie vieles beiseite rückten, ausließen und übergingen. Die Kritik daran eröffnet Freiräume. Sie bietet die Chance, Vorgänge und Phänomene anders zu betrachten, mithin zu neuen Fragestellungen jenseits der traditionellen Zugehensweisen vorzustoßen und dadurch auch zu neuen Antworten, zu anders gearteten Aspekten der sich wandelnden Gesellschaft zu gelangen.

Besonders intensiv hat Jürgen Habermas diese Phänomene re­flektiert. Sein Hinweis auf den unabweisbaren »Pluralismus der Lesarten« in der Moderne wird oft wiederholt. Weniger häufig kommt dabei jedoch zum Ausdruck, dass es sich hierbei nicht einfach um die Möglichkeit von variablen Aussagen über ein Thema handelt, sondern um die Beschreibung der »Struktur offener Ge­sellschaften«. Für sie sind voneinander abweichende und vielleicht sogar konträre Beurteilungen individueller Lebensentwürfe oder religiöser Überzeugungen kennzeichnend. 47 Habermas hat diesen Gedanken dann im Blick auf die Relevanz der Religion im Kontext der modernen Gesellschaft weiter entwickelt.48 Das meint in der hier gebotenen Kürze: Die Philosophie muss das Faktum der Religion nicht nur akzeptieren, sondern »als eine kognitive Herausforderung ernst nehmen«, indem sie sich »gegenüber religiösen Überlieferungen lernbereit« verhält, mehr noch: einen komplementären Lernprozess« zusammen mit der Religion einleitet.49 Das im­pliziert auf beiden Seiten die Bereitschaft, »die Perspektiven des jeweils an­deren« anzunehmen, also des Gläubigen einerseits und andererseits des Ungläubigen. »Dafür bietet sich die deliberativ verfasste demokratische Willensbildung als geeignetes Verfahren an«50. Selbstverständlich muss es sich dabei um eine rein säkularen Argumentation handeln, weil das »die allen Bürgern gleichermaßen zugängliche Sprache« ist. Religiöse Bürger müssen also lernen, ihre Überzeugung und Weltanschauung in diese Öffentlichkeit hinein zu übersetzen. Doch die säkular gesinnten Bürger müssen ebenfalls in einen Lernprozess eintreten. Habermas fordert von ihnen mit Nachdruck »die selbstreflexe Überwindung eines säkularistisch verhärteten und exklusiven Selbstverständnisses der Mo­derne«. Es sei an der Zeit, die Grenzen der säkularen Vernunft anzuerkennen. Geboten sei mithin ein »postmetaphysisches Denken«, das einerseits von einer »strikten Grenzziehung zwischen Glauben und Wissen« ausgeht und sich gleichzeitig »gegen eine szientistisch beschränkte Konzeption der Vernunft und den Ausschluss der religiösen Lehren aus der Genealogie der Vernunft« wendet. Die religiöse Dimension der zeitgenössischen Protestantismusforschung darf nicht eliminiert werden. Ihre Berücksichtigung gehört vielmehr unabweisbar zur angemessenen Bearbeitung der Zeitgeschichte.

III Unterbrechungen

Die Feststellung des Zusammenhangs von Religion und säkularer Vernunft im Leben, Denken und Handeln der Moderne bringt freilich keine Antwort auf die Frage, was denn »die westlichen Ge­sellschaften angesichts von Pluralismus und radikaler Individua­lisierung noch zusammenhält«51. Folgt man der Auffassung von An­dreas Wirsching, die der Leiter des renommierten Münchner In­stituts für Zeitgeschichte in seiner Geschichte Europas in unserer Zeit, d. h. seit 1989, unter der Überschrift »Der Preis der Freiheit« materialreich dargelegt hat, handelt es sich dabei um den Dreiklang von Freiheit, Demokratie und Wohlstand.52 Sie gehören für Wirsching wesenhaft zusammen, doch die zentrale Mitte bildet die Freiheit. Sie wird hier interpretiert als Individualisierung und Freizügigkeit, als Ermöglichung selbst gewählter und realisierter Lebensformen und Wertvorstellungen. »Das Schlüsselwort für die europäische Geschichte unserer Zeit lautet Freiheit.«

Christlicher Glaube kann diesem Urteil nur bedingt zustimmen. Als Belege für das tiefer greifende religiöse Verständnis mögen zwei aktuelle Positionsbestimmungen genügen. Die eine stammt vom Bundespräsidenten Joachim Gauck, der in seinem Plädoyer für die Freiheit diese zum »Grundbestand des Humanum« zählt, sobald sie gewillt sei, Verantwortung zu übernehmen, verbunden mit der »Bereitschaft, Ja zu sagen zu den vorfindlichen Möglichkeiten der Gestaltung und Mitgestaltung« 53. Das andere Votum stammt von der katholischen Bischofskonferenz, die als »Leitbild für eine freiheitliche Ordnung« formuliert: »Freiheit ist somit von einem Menschenverständnis geleitet, in dem Freiheit und soziale Verpflichtung, persönliche Verantwortung und Solidarität untrennbar zu­sam­mengehören.«54

Unverkennbar klingen dahinter die dialektisch aufeinander be­zogenen Paradoxien aus Luthers Freiheitsschrift an: »Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und je­dermann untertan.« Das bedeutet, »dass ein Christenmensch nicht für sich selbst lebt, sondern in Christus und seinem Nächsten: in Christus durch den Glauben und im Nächsten durch die Liebe.«55 Festzuhalten bleibt, dass sich hier, trotz bleibender konfessioneller Unterschiede, eine grundsätzliche anthropologische Übereinstimmung zeigt. Protestanten und Katholiken dürften deshalb auch zustimmen, wenn Paul Nolte den Begriff der »Verantwortung« in den Mittelpunkt des Nachdenkens über den Zusammenhalt der modernen Gesellschaft rückt:56 Verantwortung zielt einerseits auf die einzelne Person und die »Perspektive der Mündigkeit des In­-dividuums«. Sie ist aber stets auch »Verantwortung für andere« im Sinn der Solidarität mit den Schwachen. Es liegt auf der Hand, dass die sozialen und politischen Implikationen dieser christlichen Überzeugung rational und säkular auf dem »Markt der Argumente« vertreten und begründet werden müssen. Aber sie können dort auch mit guten Gründen verteidigt werden.

Die Wahrnehmung von Verantwortung umschließt die Möglichkeit der Absage an ein geist- und phantasieloses »Weiter so!«. Dadurch wird das Gewohnte nur zu leicht zum Normalen, mithin Richtigen und Unüberbietbaren. Die Wahrnehmung von Verantwortung kann stattdessen das Nachdenken über Alternativen er­öffnen, ebenso über das Verhältnis von Stabilisierung und Veränderung. Solche Fragen verdichten sich angesichts unvorhergese­hener Ereignisse, von größeren Unterbrechungen im Laufe der Ge­schichte. In der Soziologie spricht man von Unterbrechungen, wenn es anstelle des »intuitiven Reagierens« zum Wechsel »in einen reflektierten Handlungsmodus« kommt.57 Überträgt man diese Feststellung auf die Zeitgeschichte, lassen sich verschiedene Formen solcher Unterbrechungen denken: unerwartete etwa oder intendierte. Hier wie da nötigen solche Vorgänge zum Nachdenken. Zu den nicht geplanten und nicht vorhersehbaren Unterbrechungen, den »Biegungen und Einschnitten« im Fluss des Geschehens,58 zählen etwa der Volksaufstand in der DDR im Juni 1953, die über Europa hinausgreifenden Unruhen 1968 – von der Studentenbewegung bis zum »Prager Frühling« – oder 1989/90 der Zusam­menbruch des real existierenden Sozialismus. Solche Vorgänge drängen zu intensiven Reflexionen und durchaus auch zu neuen wissenschaftlichen Ansätzen.

Aber es gibt daneben andere, gezielt gewollte Unterbrechungen. Ich beschränke mich hier auf solche, die aus moralischen, religiösen oder eben christlichen Beweggründen erwachsen. Sie erheben Widerspruch gegen eine politische oder gesellschaftliche Entwick­lung und formulieren Alternativen. Hierbei handelt es sich also um die Bezeugung einer anderen Wirklichkeit, bis hin zu der Überzeugung, jetzt und hier den Willen Gottes zur Sprache bringen und durchsetzen zu müssen. Darauf kommt es mir in diesem Zusam­menhang an. Selbstverständlich kann davon in der Zeitgeschichte wieder nur im Blick auf die säkularen sozialen und politischen Auswirkungen gesprochen werden. Aber die religiösen Voraussetzungen bleiben Realitäten, die keineswegs als »eigentlich« politisch, psychologisch oder ökonomisch eingeebnet werden dürfen. Solche Phänomene sind in ihren Wirkungen zu entfalten, aber – wie oben dargelegt – nicht auf dieser Ebene zu begründen.

Zur Verdeutlichung offeriere ich einige Gesichtspunkte und Fragestellungen. Natürlich erheben sie nicht den Anspruch, da­durch die zeitgenössische Protestantismusforschung festzulegen. Es geht um Beispiele für christlich motivierte Einsprüche gegen die Logik des Weitermachens. Deren Unterbrechung zielt auf eine offene, verantwortliche Freiheit für humane Alternativen. Wesentlich aber ist, dass der Einspruch in konkreten historischen Situationen erfolgt, angesichts bestimmter, exakt zu beschreibender Vorgänge. Die anvisierte Unterbrechung ist daran gebunden. Sie kann also nicht auf Dauer gestellt werden: weil die Geschichte voranschreite t– durch und ohne und gegen solchen Widerspruch. Anders ausgedrückt: Die Voraussetzungen, die zu solchen Unterbrechungen führten, bleiben nicht konstant, sondern wandeln sich. Und das verändert notwendig das Spezifische solcher Unterbrechungen.

Über Recht bzw. Unrecht solcher religiös-sittlichen, christlich begründeten Einsprüche ist nicht leicht zu urteilen. Sicherlich kann der politische oder gesellschaftliche Erfolg nicht das Kriterium bilden. Dieses existiert eher in der Reflexion über die fünfte These der Barmer Theologischen Erklärung von 1934, wonach Christen verpflichtet und entschlossen sind, »nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens […] für Recht und Frieden zu sorgen«. Inhaltlich sind diese Größen an »Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit« zurückgebunden. In der Orien­tierung daran nimmt der Christ seine individuelle und soziale Verantwortung wahr. Später wies Karl Barth darauf hin, dass in dieser Formulierung der »schöne Begriff« der Freiheit fehle. 59 »Das hätte eigentlich schon damals 1934 erklingen müssen. […] Freiheit – nicht, dass jeder machen kann, was er will, sondern Freiheit verstanden eben als Verantwortlichkeit, aber als persönliche Verantwortlichkeit aller.«60

Zu Beginn dieser Überlegungen war von der Bedeutung des Jahres 1945 für die Zeitgeschichte die Rede. Damals sah sich die überwältigende Mehrheit der Deutschen – wie berichtet – als Opfer. Sicherlich gab es Einzelne, die widersprachen. Doch eine einzige Institution machte gegen diese problematische Gewissheit Front: die evangelische Kirche. In Gestalt ihres einige Monate zuvor gebildeten Rates sprach sie im Oktober 1945 in Stuttgart vor Vertretern der Ökumene von der Schuld und Schuldverflochtenheit der evangelischen Kirche im Blick auf die Verbrechen des Nationalsozialismus.61 Bei der Formulierung dieser Stuttgarter Schulderklärung diskutierten die Mitglieder des Rates darüber, ob es nicht geboten sei, auch die Schuld der Sieger anzusprechen, insbesondere im Blick auf die Verbrechen an Deutschen in den östlichen Provinzen. Das Protokoll vermerkt: »Die Frage wurde schließlich einmütig verneint, um nicht in eine Aufrechnung von Schuld und Gegenschuld einzutreten, die jeden Ansatz zu einer echten Neubesinnung in­nerhalb und außerhalb Deutschlands zunichte machen würde.«

Diese Entscheidung bildete eine klare Unterbrechung der vorherrschenden Selbstrechtfertigungen. Der Vorgang löste in der kirchlichen und nichtkirchlichen Öffentlichkeit breite, leidenschaftliche Auseinandersetzungen aus, wobei keineswegs die Zu­stimmung überwog. Weniger die bisweilen erwähnten Grenzen der Erklärung sind das Problem, sondern das Verhalten der Ge­meinden und nicht zuletzt der Autoren des Textes. Sie verhielten sich sehr menschlich und wenig heroisch. Doch die Stuttgarter Schulderklärung bildete eine Tat, allen Defiziten zum Trotz, eine echte Unterbrechung des bekannten Protestantismus und insofern eine Ermutigung für evangelische Christen, auch über Deutschland hinaus. Der Text und seine Zielsetzung ließen sich nie mehr völlig verdrängen.

Wenn – wie gesagt – zunächst einmal nicht der Erfolg eines solchen Einspruchs entscheidend ist, sondern der religiöse Impetus, die christliche Zielsetzung, geleitet von der Frage nach Gottes Ge­bot, vermag das hier entfaltete Verständnis der zeitgeschichtlichen Protestantismusforschung auch Intentionen und Aktivitäten zu würdigen, die politisch gescheitert sind. Ein Beispiel dafür bildet der leidenschaftliche Widerstand insbesondere evangelischer Chris­ten gegen die Wiederbewaffnung und Westintegration der Bundesrepublik seit 1950. 62 Die Menschen, die sich jetzt dagegen auflehnten, hatten in der Zeit des Nationalsozialismus mehrheitlich den »Dahlemiten«, also der entschiedenen Richtung der Bekennenden Kirche angehört. Sie sammelten sich später in den Kirchlichen Bruderschaften. Zu ihren Galionsfiguren gehörten neben Karl Barth Martin Niemöller und Gustav Heinemann. Ihr Widerspruch er­folgte sicherlich auch – aber keineswegs ausschließlich – aufgrund ihrer nationalen Gesinnung. Es erschien ihnen moralisch unverantwortlich, einen Teil der Deutschen dem Osten auszuliefern; und theologisch falsch und unerträglich, nach dem Grauen von zwei Weltkriegen erneut auf Waffengewalt zu setzen, anstatt kompromisslos für den Frieden einzutreten. Diese Unterbrechung der Logik machtpolitischen Denkens verdient, über den Bereich des Protestantismus hinaus, nachdrücklich gewürdigt zu werden. Gleichzeitig ist jedoch zu konstatieren, dass jener Einspruch von 1950 auf jeden Fall 1952 – wenn überhaupt – keine politische Relevanz mehr besaß. Deutschland hatte 1945 bedingungslos kapituliert, und seitdem bestimmten ausschließlich die Siegermächte die Geschicke des Landes und seiner Menschen. In diesem Sinn verfuhren sie auch in und mit den von ihnen 1949 geschaffenen beiden deutschen Staaten. Vor allem die UdSSR und die USA waren nicht bereit, ihren Teil Deutschlands aus der Hand zu geben. Und kein deutscher Politiker besaß die Macht, gegen die Zielsetzungen der jeweiligen Besatzungsmacht zu handeln. Die Gegner der Widerbewaffnung bedachten immerhin ernsthaft die politischen und geis­tigen Alternativen. Was den Erfolg anbetrifft, bleibt außerdem zu fragen, ob jenes Engagement nicht gleichsam unterirdische Wirkungen zur Folge hatte, etwa im Blick auf deutsch-deutsche Verbindungen auf vielerlei Ebenen.

Ein analoges Beispiel für den politischen Misserfolg eines eindeutig christlich motivierten und begründeten Einspruchs bildete im Rahmen der »Nachrüstungsdebatte« die breite Zustimmung auch nicht-evangelischer Menschen zur Stellungnahme der Leitung des Reformierten Bundes im Juni 1982: Geboten sei jetzt »Ein Nein ohne jedes Ja!«63. Denn es handele sich bei der Nachrüstung nicht um eine »politische Ermessensfrage«, sondern um die Alternative zwischen der Verleugnung Jesu Christi oder das Bekenntnis zu ihm.

Ein solches bedingungsloses Eintreten für den Frieden war theologisch klar begründet und schien daher zwingend gefordert. Doch der Einspruch dauerte nach der direkten Bezugnahme auf die konkrete politische Situation im Sommer und Herbst 1982 an. Auch nach der Stationierung der Raketen durch die von Helmut Kohl geführte neue Regierungskoalition seit dem November 1983 hielt die Friedensbewegung unbeirrbar daran fest, dass ihr Thema das schlechthin entscheidende sein und bleiben müsse. Alle anderen Prinzipien und Werte – wie z. B. die Freiheit, die Menschenrechte sowie die Rechtstaatlichkeit – müssten deshalb »den Erfordernissen des Friedens untergeordnet werden«64. Inzwischen wissen wir, dass es sich dabei um eine Fehleinschätzung handelte. Das politische Konzept der »Entspannung durch Besänftigung« war gescheitert, die geschichtliche Entwicklung hatte eine andere Richtung eingeschlagen. Doch auch hier wäre zu fragen, ob die Friedensbewegung nur gescheitert ist. Sicherlich hat sie nicht den Zusam­menbruch des »real existierenden Sozialismus« bewirkt. Doch vielleicht hat sie dazu beigetragen, das Bild der aggressiven, revanchistischen Westdeutschen im Ostblock nachhaltig zu erschüttern? Auch dieses Beispiel mahnt, die Frage nach Erfolg und Misserfolg sehr differenziert zu behandeln und das Zusammenspiel vielfältiger Motivationen und Kräfte immer noch sorgfältiger und genauer zu eruieren.

Eindeutig erfolgreich erwies sich der auch christlich motivierte Einspruch des Tübinger Memorandums (1961) sowie der hierdurch angestoßenen »Ostdenkschrift« der EKD über »Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn«65. Dieser Text brach das offizielle Schweigen in der Bun­desrepublik über den Verlust der deutschen Ostgebiete und löste folgerichtig leidenschaftliche Auseinandersetzungen und erbitterten Streit aus. Mit theologischen, historischen und politischen Argumenten setzte sich die »Ostdenkschrift« für die Unterbrechung des verhängnisvollen Antagonismus von Polen und Deutschen ein. Mit dem Eingeständnis deutscher Schuld und dem Werben um Vergebung sollten die Voraussetzungen für Verstän­digung und die Er­möglichung eines besseren Zusammenlebens geschaffen werden. Innenpolitisch ging die evangelische Kirche hier den Politikern voran. Die Denkschrift erbrachte wesentliche intellektuelle, moralische und emotionale Voraussetzungen für den Erfolg der Ostpolitik der nationalliberalen Koalition unter Willy Brandt.

Von partiellen Gemeinsamkeiten zwischen evangelischen und katholischen Christen war die Rede. In diesen Kontext gehören die Voraussetzungen und insbesondere die Auswirkungen des II. Vatikanischen Konzils, das mit Unterbrechungen in der Zeit von 1962 bis 1965 tagte.66 Fraglos handelte es sich dabei zunächst einmal um ein religiöses und theologisches Ereignis. Doch seine Beschlüsse veränderten den römischen Katholizismus tiefgreifend und dauerhaft. Da­durch wandelte sich auch das Verhältnis zum Protestantismus – und umgekehrt. Dieser Prozess ist noch keineswegs abgeschlossen. Es bleiben Spannungen, Widersprüche und Gegensätze. Aber von diesem Konzil gingen und gehen eben erhebliche kul­-turelle, gesamtgesellschaftliche und nicht zuletzt politische Ausstrahlungen aus. Um nur einiges anzudeuten: Die Diskussion um Religionsfreiheit und Menschenrechte ist durch das II. Vaticanum in ein neues Stadium eingetreten. Und auf der vor Ort gelebten Ökumene rücken zumindest in Westeuropa und den USA Christen in einer säkularen Umwelt mit dem Bemühen um Verständigung und Versöhnung unverkennbar enger zusammen. Es wäre mehr als kurzsichtig, diese Thematik nicht in die zeitgeschichtliche Protestantismusforschung mit einzubeziehen.

Dass im Kalten Krieg Asien und Afrika keine Nebenschauplätze waren, habe ich erwähnt. Zusammen mit der Entkolonialisierung in den 60er Jahren des 20. Jh.s vollzogen sich massive Rückwirkungen auch auf die Ökumenische Bewegung. Der öffentliche Durchbruch dieser Auseinandersetzungen fand 1966 auf der »Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft« in Genf statt. Nie zuvor hatten so viele Nichttheologen und Vertreter der »Dritten Welt« an einer globalen Konferenz teilgenommen. Sie machten nun die Christen in der Nordhälfte der Erde für den Hunger und das Elend in ihren Ländern verantwortlich. Dieselbe Stimmung herrschte auf der vierten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1968 in Uppsala in Schweden. Durchgängig forderten die Delegierten aus den indigenen Kirchen in Asien und Afrika ein radikales Umdenken seitens der alten Kirchen, insbesondere in Westeuropa und den USA, eine klare und eindeutige Unterbrechung ihres traditionellen Selbstverständnisses. Um diesem Drängen entgegenzukommen, beschloss der Ökumenische Rat der Kirchen 1969 ein Antirassismusprogramm sowie – um eben nicht nur zu reden – die Einrichtung eines Sonderfonds in Höhe von einer halben Million Dollar zur Unterstützung nationaler Gruppen, die in Asien und Afrika gegen den weißen Rassismus kämpften. Hierbei handelte es sich also um die konkrete Zuspitzung der geforderten Unter­- brechung: Christen im Westen wurden genötigt, die auch unter ihnen verbreiteten und weitgehend als selbstverständlich ange­-sehenen rassistischen Vorurteile auszuräumen. Dieser Beschluss löste höchst ambivalente Reaktionen aus.67 Während die meisten indigenen Kirchen in Asien und Afrika, aber auch der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR, dem Programm zustimmten, wichen die evangelischen Kirchen Westdeutschlands, Österreichs und der Schweiz auf das Thema der von ihnen allen entschieden abgelehnten Gewaltanwendung aus. Die Befürworter ebenso wie die Gegner des Antirassismusprogramms gebrauchten gute theologische Argumente. Die konkreten politischen und sozialen Verhältnisse z. B. in Südafrika spielten dagegen in der Bundesrepublik nur eine nachgeordnete Rolle. Eine zeitgeschichtliche Protestantismusforschung, die lediglich auf die eigene Nation blickt, greift zwangsläufig zu kurz.

Das gilt auch für die Christen und Kirchen unter dem Kommunismus. An erster Stelle geht es naturgemäß um die DDR. Nach der großen Aufregung über die Verwicklungen auch des Protestantismus in die Machenschaften der Staatssicherheit ist die Beschäftigung mit den dortigen Themen und Problemen stark zurückgegangen.68 Ein gewisses Interesse fanden die Unterdrückungen und Verfolgungen von Christen und Kirchen im Ostblock insgesamt.69 Erheblich weniger wissen wir über diejenigen, die gezwungen, aus Überzeugung oder Opportunismus für eine wie auch immer geartete Kooperation von Christen und Kommunisten eintraten. Es ge­nügt, hier an Josef L. Hromádka und die Prager Christliche Frie­­denskonferenz (CFK) zu erinnern.70 Eine noch kaum wahrgenom­mene Dimension bildet schließlich die Zusammenarbeit von Chris­ten beider Konfessionen mit Atheisten für die Geltung der Menschenrechte. Lehrreich erscheinen mir hierzu die Aktivitäten der tschechischen Dissidenten im Umfeld der Charta ’77. Das Ziel, das sie verband, war – ähnlich wie in anderen Ländern im östlichen Machtbereich – die Forderung demokratischer Freiheiten. Allerdings handelte es sich bei der Charta ’77 – anders als man im Wes­-ten zumeist meinte – nicht um eine geschlossene politische Be­-wegung.71 Die Charta bildete eher eine Art Schirm, unter dem sich Gleichgesinnte sammelten. Sie gaben dabei ihre individuelle Eigenart nicht auf, blieben jeweils auf eigene Art kreativ, woraus Vielfalt, auch Widersprüche erwuchsen. Insofern handelte es sich bei der Charta ’77 um eine politisch-kulturell ausgerichtete Gruppierung, die für religiöse Implikationen und Impulse offen war. Christen beider Konfessionen, vor allem Protestanten, spielten dabei eine wichtige Rolle.72 Wesentlich war, dass von den Dis­-sidenten die Unterbrechung der trostlosen repressiven Realität des Kommunismus immer wieder neu geleistet werden musste. Die Dissidenten sahen sich herausgefordert, »die Komplexitäten einer Welt zu erforschen, die andere zu vereinfachen versuchten«. Ihre Opposition bedeutete darum stets, nicht »völlig aus der Ge­sellschaft herauszutreten, vielmehr neue Wege zu finden, um an ihr zu partizipieren, so, als wenn man sich bessere Welten vorstellt«.

Weitere Themenfelder zu benennen, fiele nicht schwer. Doch dabei muss auch in Rechnung gestellt werden, dass die wissenschaftliche Behandlung der Themen der Zeitgeschichte und insbesondere ihrer katholischen und protestantischen Beiträge nur mit einer sehr begrenzten öffentlichen Wirkung rechnen können. Das liegt zum einen am kaum ernsthaft zu bestreitenden Empfinden der zunehmenden Beschleunigung der Zeit, die sämtliche Traditionen zerreibt. »Das eben erst Geschehene wird viel schneller als früher in eine tiefere Form der Vergangenheit hinabgedrängt.« 73 Hierbei handelt es sich keineswegs nur um ein subjektives Empfinden, sondern um wissenschaftlich belegbare Fakten einer »Be­schleunigungsgesellschaft«74.

Der andere Grund für die Einbuße der wissenschaftlich betriebenen Zeitgeschichte an öffentlichem Einfluss liegt an der weitreichenden Übernahme der Deutungskompetenz für die Geschichte überhaupt durch die Medien. Sie benennen die Themen, sie setzen in hohem Maß die Akzente. Trotzdem bleibt die Aufgabe der Zeitgeschichte im hier skizzierten weiten, breit gefächerten Sinn, »die öffentliche Verständigung über die nahe Vergangenheit kritisch zu begleiten, sie um neue Perspektiven und kritische Fragestellungen zu bereichern – und vor allem immer und überall auf die strikte Einhaltung der fachlichen Standards zu dringen« 75. Die zeitgeschichtliche Protestantismusforschung vermag fraglos, »neue Perspektiven« zu eröffnen und »kritische Fragestellungen« zu unterbreiten.


Abstract


»Contemporary church history« must be seen within the context of contemporary history in general. Chronologically, both cover the period from World War I to the present day. How­ever, the term »contemporary church history« seems problematic: contemporary church history has emancipated itself not only from focusing on the administration of the church but also from confining its in­-terest to the church alone. Thus, I regard the term »contemporary history of the studies of Protestantism« as more appropriate. In­-evitably, the pluralism of issues and assessments is a part of it. One can emphasiSe religion within a secular context, as Habermas does, without referring to the church. in this case, the concept of re­-sponsible freedom IS an integrating variable. The »contemporary history of the studies of Protestantism« contributes to this wider issue. in this way it helps to shape an open and humane society.

Fussnoten:

1) H. Rothfels, Zeitgeschichte als Aufgabe, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VfZ) 1 (1953), 1–8, Zitat: 4.
2) E. Jäckel, Begriff und Funktion der Zeitgeschichte, in: Ders., Umgang mit Vergangenheit, Stuttgart 1989, 133–150.
3) Zum Einstieg: Erez Manela, The Wilsonian Movement. Self-Determination and the International Origins of Anticolonial Nationalism, Oxford 2007; François Furet, Das Ende der Illusion. Der Kommunismus im 20. Jahrhundert, 2. Aufl. München 1988, bes. 80–136.
4) H. Rothfels, Sinn und Aufgabe der Zeitgeschichte, in: Ders., Zeitgeschichtliche Betrachtungen, 2. Aufl. Göttingen 1963, 9–11, Zitat: 10. Das folgende Zitat ebd., 11.
5) Ch. Boyer, Die Einheit der europäischen Zeitgeschichte, in: VfZ 55 (2007), 487–496. Beide Zitate: 488.
6) Genannt seien, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Michael Jeismann, Das Vaterland der Feinde. Studien zum nationalen Feindbegriff und Selbstverständnis in Deutschland und Frankreich 1792–1918, Stuttgart 1992; Sven Oliver Müller, Die Nation als Waffe und Vorstellung im Nationalismus in Deutschland und Großbritannien im Ersten Weltkrieg, Göttingen 2002; Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz (Hrsg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, 2. Aufl. Paderborn 2004; Jean-Jacques Becker/Gerd Krumeich, Der Große Krieg. Deutschland und Frankreich 1914–1918, Essen 2010. Vgl. auch meine Darstellung: Der Erste Weltkrieg und die Christenheit. Ein globaler Überblick, Stuttgart 2014.
7) George F. Kennan, The Decline of Bismarck’s European Order: Franco-Russian Relations, 1875–1890, Princeton 1979, 11.
8) Eric Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, 4. Aufl. München 2000, 38 f. Das folgende Zitat ebd., 43.
9) Peter Krüger, Der Erste Weltkrieg als Epochenschwelle, in: Hans Maier (Hrsg.), Wege in die Gewalt, Frankfurt a. M. 2000, 70–91, hier 72.
10) Fritz Stern, Fünf Deutschland und ein Leben, München 2007, 643.
11) Vgl. dazu Ian Kershaw, Das Ende. Kampf bis in den Untergang. NS-Deutschland 1945/45, München 2011. Zitat: 520.
12) Georges-Henri Soutou, La guerre de Cinquante Ans. Le conflit Est-Ouest 1943–1990, Paris 2001, 10 f.
13) So Ursula Krey, Der Bruch mit der Obrigkeitstradition, in: Bernd Hey/ Volker Wittmütz (Hrsg.), 1968 und die Kirchen, Bielefeld 2008, 13–34. Zitat: 14.
14) Anselm Doering-Manteuffel, Nach dem Boom. Brüche und Kontinuitäten der Industriemoderne seit 1970, in: VfZ 55 (2007), 559–581; ders./Lutz Raphael, Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte nach 1970, Göttingen 2008. Die Zitate ebd., 44 und 11.
15) Hans-Peter Schwarz, Die neueste Zeitgeschichte, in: VfZ 51 (2003), 5–28.
16) Eric Hobsbawm, Extreme (s. Anm. 8), 693 f. Das übernächste Zitat ebd., 720.
17) Andreas Wirsching, Der Preis der Freiheit. Geschichte Europas in unserer Zeit, München 2012, 12.
18) Martin Sabrow, Die Zeit der Zeitgeschichte, Göttingen 2012, 8.
19) Ebd., 9.
20) Wilfried Loth, Ost-West-Konflikt und die deutsche Frage, München 1988, 9.
21) Tomáš Sedláček, Die Ökonomie von Gut und Böse, München 2012, 390.
22) Martin Sabrow, Der Zeitzeuge als Wanderer zwischen zwei Welten, in: Ders./Norbert Frei (Hrsg.), Die Geburt des Zeitzeugen nach 1945. Göttingen 2012, 13–32. Zitat: 27. Anregend sind auch die weiteren Beiträge in diesem Band.
23) M. Sabrow, Zeit, 12. Das folgende Zitat ebd. (s. Anm. 18), 10.
24) Vgl. dazu u. a. Carsten Nicolaisen, Zwischen Theologie und Geschichte. Zur ›kirchlichen Zeitgeschichte‹ heute, in: Der Evangelische Erzieher 42 (1990), 410–419; Jochen-Christoph Kaiser, Wissenschaftspolitik in der Kirche. Zur Entstehung der ›Kommission für die Geschichte des Kirchenkampfes in der nationalsozialistischen Zeit‹, in: Anselm Doering-Manteuffel/KurtNowak (Hrsg.), Kirchliche Zeitgeschichte. Urteilsbildung und Methoden, Stuttgart 1996, 125–163.
25) E. Wolf, Barmen. Kirche zwischen Versuchung und Gnade, 2. Aufl. München 1970, 74.
26) C. Nicolaisen, Zwischen Theologie (s. Anm. 24), 411.
27) K. Meier, Der evangelische Kirchenkampf. Gesamtdarstellung in drei Bänden, Halle (Saale)/Göttingen 1976–1984; K. Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich. 2 Bde., Frankfurt a. M./Berlin 1977–1985 (unvollendet).
28) Georg Kretschmar/Klaus Scholder, Vorwort der Herausgeber, in: Jörg Thierfelder, Das Kirchliche Einigungswerk des württembergischen Landesbischofs Theophil Wurm, Göttingen 1975, XI–XIII.
29) Kirchliches Jahrbuch für die Evangelische Kirche in Deutschland 1950, Gütersloh 1951, 1.
30) T. G. Ash, Zeit der Freiheit. Aus den Zentren des neuen Europa, München 2001, 20.
31) Vgl. etwa Lukas Vischer, Kirchengeschichte in ökumenischer Perspektive. Ein Memorandum, in: Theologische Zeitschrift Basel 38 (1982), 257–271. Vgl. auch M. Greschat, Christliche Zeitgeschichte, in: Glaube und Lernen 22 (2007), 15–24.
32) So Joachim Mehlhausen. Der Untertitel seines Beitrags lautet: Erwägungen zu der Frage, warum es ein solches Buch nicht gibt, in: Der Evangelische Erzieher 42 (1990), 419–431.
33) K. Nowak, Geschichte des Christentums in Deutschland. Religion, Politik und Gesellschaft vom Ende der Aufklärung bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, München 1995, 9.
34) J. Mehlhausen, Zur Methode kirchlicher Zeitgeschichtsforschung, in: Evangelische Theologie 48 (1988), 508–521. Zitat: 518.
35) A. Beutel, Kirchengeschichte als Geschichte der Auslegung der Heiligen Schrift, in: Wolfram Kinzig u. a. (Hrsg.), Historiographie und Theologie, Leipzig 2004, 103–118. Zitat: 113.
36) M. Beintker, Kirchliche Zeitgeschichte und systematisch-theologische Urteilsbildung, in: Kirchliche Zeitgeschichte 5 (1992), 41–48. Zitate: 44 und 46.
37) Anzumerken ist, dass der erste Band der Reihe »Konfession und Gesellschaft« (1988) noch das Adjektiv »kirchlich« im Untertitel führte. Von Band 2 (1990) an lautet dieser Untertitel bewusst »Beiträge zur Zeitgeschichte«.
38) C. Nicolaisen, Zwischen Theologie (s. Anm. 24), 418.
39) G. Besier/Hans G. Ulrich, Von der Aufgabe kirchlicher Zeitgeschichte – ein diskursiver Versuch, in: Evangelische Theologie 51 (1991), 169–182. Die Zitate ebd., 173.176–178.
40) U. Muhlack, Theorie der Geschichte, in: W. Kinzig u. a. (Hrsg.), Historiographie, 19–37. Zitat: 36. Ähnlich Werner K. Blessing, Kirchengeschichte in his-­torischer Sicht. Bemerkungen zu einem Feld zwischen den Disziplinen, in: A. Doering-Manteuffel/K. Nowak (Hrsg.), Kirchliche Zeitgeschichte, 14–59, bes. 16–29.
41) K. Nowak, Allgemeine Zeitgeschichte und kirchliche Zeitgeschichte. Überlegungen zur Integration historiographischer Teilmilieus, in: A. Doering-Manteuffel/K. Nowak (Hrsg.), Kirchliche Zeitgeschichte (s. Anm. 24), 60–78. Zitat: 65.
42) Vgl. Karl-Joseph Hummel (Hrsg.), Zeitgeschichtliche Katholizismusforschung. Tatsachen, Deutungen, Fragen. Eine Zwischenbilanz, Paderborn 2004.
43) Martin Ohst, Artikel Protestantismus, in: Evangelisches Staatslexikon. Neuausgabe, Stuttgart 2006, bes. 1862 f.
44) Wolfgang Tischner, Neue Wege in der Katholizismusforschung: Von der Sozialgeschichte einer Konfession zur Kulturgeschichte des Katholizismus in Deutschland?, in: K-J. Hummel (Hrsg.); Zeitgeschichtliche Katholizismusforschung, 197–213. Zitat: 198. Das folgende Zitat ebd. Vgl. auch Antonius Liedhe­gener, Katholizismusforschung in der Erweiterung. Internationaler Vergleich, konfessioneller Vergleich, neue methodische Zugänge. Kommentar, in: Ebd., 215–230, bes. 224–230.
45) Vgl. dazu jetzt Albrecht Beutel, Gerhard Ebeling. Eine Biographie, Tübingen 2012, bes. 112–122.
46) Vgl. dazu etwa Christoph Kleßmann, Zeitgeschichte als wissenschaftliche Aufklärung, in: Martin Sabrow u. a. (Hrsg.), Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen nach 1945, München 2003, bes. 240–244.
47) Vgl. etwa K. Nowak, Allgemeine Zeitgeschichte (s. Anm. 41), bes. 66.
48) J. Habermas, Glauben und Wissen, Frankfurt a. M. 2001.
49) J. Habermas, Vorpolitische Grundlagen des demokratischen Rechtsstaates?, in: Ders., Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze, Frankfurt a. M. 2005, 106–118. Zitate: 113–117.
50) J. Habermas, Religion in der Öffentlichkeit, in: Ders., Zwischen Naturalismus, 119–154. Zitate: 125 f.128.143.145.147.
51) Paul Nolte, Generation Reform. Jenseits der blockierte Republik, München 2004, 239.
52) A. Wirsching, Der Preis der Freiheit. Geschichte Europas in unserer Zeit, München 2012, 12.
53) J. Gauck, Freiheit. Ein Plädoyer, 5. Aufl. München 2012, 26 und 36.
54) Die deutschen Bischöfe. Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen: Chancengerechte Gesellschaft, Leitbild für eine freiheitliche Ordnung, 27.6.2011, 5.
55) M. Luther, Kritische Gesamtausgabe (WA), Bd. 7, Zitate: 11 und 27.
56) P. Nolte, Generation (s. Anm. 51), bes. 241 f.
57) Hartmut Esser, Soziologie. Spezielle Grundlagen, Bd. 4, Frankfurt a. M. 2000, 335 f. und 365.
58) M. Sabrow (s. Anm. 18), Zeit, 13.
59) Alfred Burgsmüller/Rudolf Weth (Hrsg.), Die Barmer Theologische Erklärung. Einführung und Dokumentation, Neukirchen-Vluyn 1983, bes. 38.
60) Die These 5 der Barmer Erklärung und das Problem des gerechten Krieges. Gespräch mit der Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg am 15. Juli 1963, in: Karl Barth, Texte zur Barmer Theologischen Erklärung, Zürich 1984, 185–211. Zitat: 200.
61) Martin Greschat (Hrsg.), Die Schuld der Kirche. Dokumente und Reflexionen zur Stuttgarter Schulderklärung vom 18./19. Oktober 1945, München 1982, bes. 91–95.
62) Ausführlich dazu M. Greschat, Protestantismus im Kalten Krieg. Kirche, Politik und Gesellschaft im geteilten Deutschland 1945–1963, Paderborn 2010.
63) KJ 1981/82, 103–105. Vgl. insgesamt M. Greschat, Der Protestantismus in der Bundesrepublik Deutschland (1945–2005), Leipzig 2010, 170–179.
64) Ausführlich dazu Timothy Garton Ash, Im Namen Europas. Deutschland und der geteilte Kontinent, München 1993. Zitate: 465 und 549.
65) Vgl. dazu und zum größeren Zusammenhang Friedhelm Boll u. a. (Hrsg.), Versöhnung und Politik. Polnisch-deutsche Versöhnungsinitiativen der 1960er Jahre und die Entspannungspolitik, Bonn 2009.
66) Zur Einführung: F. Kaufmann/A. Zingerle (Hrsg.), Vaticanum II und Mo­dernisierung, Paderborn 1995; Ian Linden, Global Catholicism. Diversity and Change since Vatican II, London 2009; Jan-Heiner Tück (Hrsg.), »Erinnerung an die Zukunft«. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg i. Br. 2012.
67) Vgl. dazu etwa Klaus-Martin Beckmann, Antirassismus-Programm der Ökumene. Dokumentation einer Auseinandersetzung, Witten 1971; Christel Meyers-Herwartz, Die Rezeption des Antirassismus-Programms in der EKD, Stuttgart 1979.
68) Einen ebenso materialreichen wie abgewogenen Überblick bietet Rudolf Mau, Der Protestantismus im Osten Deutschlands (1945–1990), Leipzig 2005.
69) Exemplarisch seien die zufälligen Zusammenstellungen genannt: Peter Maser/Jens Holger Schjørring (Hrsg.), Zwischen den Mühlsteinen. Protestantische Kirchen in der Phase der Errichtung der kommunistischen Herrschaft im östlichen Europa, Erlangen 2002; dies. (Hrsg.), Wie die Träumenden? Protestantische Kirchen in der Phase des Zusammenbruchs der kommunistischen Herrschaft im östlichen Europa, Erlangen 2003; Hartmut Lehmann/Jens Holger Schjørring (Hrsg.), Im Räderwerk des »real existierenden Sozialismus«. Kirchen in Ostmittel- und Osteuropa von Stalin bis Gorbatschow, Göttingen 2003.
70) Einzelnes bei Gerhard Lindemann, »Sauerteig im Kreis der gesamtchristlichen Ökumene«. Das Verhältnis zwischen der Christlichen Friedenskonferenz und dem Ökumenischen Rat der Kirchen, in: Gerhard Besier u. a. (Hrsg.), Nationaler Protestantismus und Ökumenische Bewegung. Kirchliches Handeln im Kalten Krieg (1945–1990), Berlin 1999, 653–932.
71) Eindrücklich entfaltet Jonathan Bolton diese Zusammenhänge: Worlds of Dissent. Charter 77, The Plastic People of the Universe and Czech Culture under Communism, Cambridge/Mass. 2012. Die Zitate ebd., 275 und 284.
72) Eine gute Zusammenfassung bietet Katharina Kunter: Für Menschenrechte und Demokratie – Protestanten und die tschechische Bürgerrechtsbewegung Charta 77, in: Jochen-Christoph Kaiser (Hrsg.), Vom Ertrag der neueren Kirchengeschichte für Kirche und Gesellschaft. Marburg 2008, 141–166.
73) Peter Sloterdijk, Zeilen und Tage. Notizen 2008–2001, Berlin 2012, 395: 5. Mai 2010.
74) Friedhelm Hengsbach SJ, Die Zeit gehört uns. Widerstand gegen das Regime der Beschleunigung, Frankfurt a. M. 2012. Unerfindlich ist, wieso Jürgen Kaube in seiner Rezension von Martin Sabrow, Die Zeit der Zeitgeschichte, 2012, meint, dieses Faktum negieren zu können: Ungeduldig, in: FAZ, 06.06. 2012, Nr. 130, N3.
75) M. Sabrow, Der Weg der Erinnerung, in: Ders., Wohin treibt die DDR-Erinnerung. Dokumente einer Debatte, Göttingen 2007, 397–404. Zitat: 399.