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Ausgabe:

Januar/1999

Spalte:

49–51

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hotze, Gerhard

Titel/Untertitel:

Paradoxien bei Paulus. Untersuchungen zu einer elementaren Denkform in seiner Theologie.

Verlag:

Münster: Aschendorff 1997. XVI, 380 S. gr.8 = Neutestamentliche Abhandlungen, N.F. 33. Lw. DM 98,-. ISBN 3-402-04781-0.

Rezensent:

Jürgen Becker

Die von K. Kertelge in Münster betreute und von der dortigen Katholisch-Theologischen Fakultät 1995 angenommene Dissertation beschäftigt sich mit der Denkform des Paradoxen bei Paulus, die in ihrer logischen Struktur erforscht und deren theologische Bedeutung für die paulinische Theologie herausgearbeitet werden soll. Diese Themastellung geht von der unstrittigen Feststellung aus, daß sonst kein neutestamentlicher Autor so oft und gezielt paradoxe Aussagen formuliert wie Paulus, dieses paulinische Terrain bisher aber keine gründliche Untersuchung erfuhr.

Mit einem kurzen, forschungsgeschichtlichen Überblick setzt die Arbeit ein und bespricht unter dem rhetorischen, dem hermeneutischen und dem exegetischen Ansatz die bisherigen Forschungsbeiträge zum Thema (2 ff.). Es folgt ein erster Hauptteil, der die "Formen und Verwendungen des Paradoxen vor und neben Paulus" bedenkt (25 ff.) und einen Überblick gibt über die "Paradoxalität bei Paulus" (72 ff.). Dieser Überblick ordnet die paulinischen Paradoxien sehr sinnvoll unter den Gesichtspunkten von rhetorischen und theologischen Paradoxien. Es ist klar, daß die zweite Gruppe das paulinische Profil am deutlichsten hervortreten läßt. Das wird schon daran sichtbar, daß sich die theologischen Paradoxien auf zwei Zentren verteilen lassen, nämlich auf die Themen "Ärgernis und Torheit des Kreuzes" und auf "die eschatologische Spannung der neuen Schöpfung" (81 ff.; 108 ff.).

Ein zweiter Hauptteil (139 ff.) bietet Textauslegungen im Sinne dieser zwei Zentren unter den Themen "Kraft in der Schwachheit" (139 ff.) und "Tod und Leben" (252 ff.). Dabei werden behandelt 1Kor 4,9-13; 2Kor 11,21b-12,10; Phil 3,7-11 und 2Kor 4,7-12; 6,8-10; 1,3-11. Inhaltlich geht es bei der ersten Textgruppe nach dem Vf. dem Apostel "um die provokative Destruktion eines Vorverständnisses, nämlich der ’sarkischen’ Sicht- und Denkweise der Gemeinden, welcher der Apostel am Beispiel der eigenen Person einen paradoxen Gegen entwurf entgegenhält" (251). Bei dem zweiten Texttyp handelt es sich "um das (z. T. sogar formallogisch-) paradoxe Nebeneinander der Mächte ’Tod’ und ’Leben’ in simultaner Koexistenz", wobei "die Dialektik von Tod und Leben ... im Glauben und auf Hoffnung hin ertragene Dialektik" ist "mit insgesamt positiverem Charakter als das kreuzestheologische Paradox" (340). Ein Schlußabschnitt (341 ff.) systematisiert den Ertrag der Arbeit, der auf S. 356 ff. nochmals zusammengefaßt wird.

Die Arbeit besticht durch zwei grundlegende Vorteile: Einmal bemüht sich der Vf. um eine Definition des Raradoxes, indem er es allgemein als Phänomen definiert, "das dem landläufigen Vorverständnis von einer Sache widerspricht" (26), um es dann speziell unter logisch-strukturellen und rhetorisch-funktionalen Aspekten näher zu erörtern (27 ff.).

Ein weiterer Abschnitt müht sich um die rhetorischen Formen des Raradoxes (36 ff.). Zum anderen bleibt H. bei dieser definitorischen Arbeit nicht stehen, sondern sucht auf dem Hintergrund dieser Bestimmungen die theologische Relevanz der paradoxen Redeweise für die Ausführungen des Paulus aufzudecken. So weist er die Denkform des Raradoxes als spezifischen Ausdruck paulinischer Theologie aus und bekommt damit einen wesentlichen Aspekt paulinischer Kreuzestheologie in den Blick.

Dabei beschreibt der Vf. abschließend den Stellenwert der paradoxen Rede bei Paulus so, daß "der Bereich des persönlichen Geschicks, vor allem die Erfahrung von Leiden, der ’Sitz im Leben’ gewesen ist, an dem sich dem Apostel Paradoxien aufdrängten" (341). Sie entstehen hier "aus dem Gegensatz von Erfahrung und Offenbarung", also am "Schnittpunkt von irdischer Existenz und göttlicher Offenbarung" (342). Hierbei sind sie "Ausdrucksformen, in denen sich die Botschaft ... des Paulus zu bewähren hat ... Sie schützen" diese dabei "vor der Gefahr idealisierender Weltferne und gegen den Vorwurf einer illusionären Erlösungslehre" (343).

Die paulinischen Paradoxien sind zwar der schärfste Ausdruck der Kreuzestheologie, jedoch ist das Paradoxon für den Apostel kein "Prinzip eines geschlossenen Systems" (350). Die Herkunft dieser von Paulus benutzten Denkform ist vielmehr kerygmatischer Art, denn das eschatologisch Neue, das der Apostel verkündigt, kann sich "nur im Widerspruch zu den Bedingungen dieser Welt aussprechen" (350). "Kulmination dieses Widerspruchs ist das Kreuz" (350).

Trotz des reichlichen Gebrauchs paradoxer Formulierungen bei Paulus würde man den Apostel falsch verstanden haben, erhöbe man die Paradoxien zur "Quintessenz seiner Theologie" (354). "Paulus verkündigt keine Paradoxien, sondern das Evangelium" (354). Paradoxien beschreiben das Zusammentreffen von Evangelium und Welt in der eschatologischen Gegenwart, in der das Heil und die vergehende Welt aufeinanderstoßen. Für die Zukunft gilt jedoch, daß diese Widersprüche zugunsten des sich mit seinem Evangelium durchsetzenden Gottes in Christus aufgehoben werden. Auf Gott selbst bezogen, gibt es keine paradoxen Redefiguren, sondern allein die Erwartung, daß er "alles in allem" sein wird (1Kor 15,28), wie ja auch für Paulus seine Verheißungen auf einem eindeutigen Ja fußen (2Kor 1,18-20). So sind die Paradoxien bei Paulus Zeichen der vergehenden Welt (354 f.).

Die Dissertation macht Lust, von dieser markanten Seite der paulinischen Theologie, die der Autor dem Leser erschließt, in die theologische Weite des paulinischen Denkens einzudringen. Diesen Weg ebnet der Vf. dem Leser nicht zuletzt durch seine durchsichtige Darstellung und seine in den großen Linien einfühlsam nachgezeichnete Position des Apostels.