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Ausgabe:

Juni/1999

Spalte:

667–669

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schwandt, Hans-Gerd [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Pluralistische Theologie der Religionen. Eine kritische Sichtung.

Verlag:

Frankfurt/M.: Lembeck 1998. 215 S. 8. Kart. DM 48,-. ISBN 3-87476-331-5.

Rezensent:

Wolfgang Pfüller

Im Mai 1997 veranstalteten die Evangelische Akademie Hofgeismar, die Katholische Akademie Hamburg und das Bildungshaus St. Virgil Salzburg drei Tagungen zur Puralistischen Religionstheologie (PRT), die die wachsende Bedeutung dieses theologischen Konzeptes auch im deutschen Sprachraum einmal mehr unterstreichen. Der vorliegende Band vereinigt neben einem Vorwort der Leiter der genannten Bildungsstätten (7 f.) sowie einführenden Bemerkungen des Hg.s (9-18) die Beiträge dieser Tagungen.

Einen Schwerpunkt des Bandes bildet die Diskussion des Konzeptes von P. F. Knitter, des in Cincinatti/Ohio lehrenden, maßgeblichen Vertreters einer PRT (vgl. zu seinem 1997 erschienenen Sammelband "Horizonte der Befreiung" ThLZ 123, 1998, 33 f.). Knitter liefert auf dem Hintergrund seiner kürzlich erschienenen Bücher "One Earth Many Religions" (1995) sowie "Jesus and the Other Names" (1996) eine "Apologie einer pluralistischen Theologie und Christologie" (75-95). Hierin verteidigt der katholische Theologe sein Konzept vor allem gegen Einwände von zwei Seiten: gegenüber der römischen Amtskirche sowie gegenüber Wissenschaftlern und Intellektuellen der Universität. Erhebt sich von kirchlicher Seite der Vorwurf des Relativismus, so von universitärer Seite der des (christlichen) Imperialismus.

Beiden Vorwürfen entgeht nach Knitter der mittlere Weg der "Solidarität mit dem Leiden auf der Erde und mit der leidenden Erde" zugunsten einer öko-humanen Wohlfahrt. Gegen den vergleichgültigenden Relativismus wird somit ein ethisches Kriterium in bezug auf die verschiedenen religiösen Traditionen angewandt; gegen den Vorwurf des die inkommensurable Vielfalt der religiösen Traditionen vereinnahmenden christlichen Imperialismus wird eine gemeinsame Herausforderung für alle religiösen Traditionen geltend gemacht. Freilich, der traditionelle christliche Anspruch muß aufgegeben werden, wonach "in Jesus Christus die endgültige, volle, unüberbietbare Offenbarung von Gottes Wahrheit" beschlossen ist (80). Das Reich Gottes, für das es in Gestalt der öko-humanen Wohlfahrt zu streiten gilt und für das Jesus stritt, ist größer als Jesus. Dieser ist in seiner "vorrangigen Option für die Armen, die Unterdrückten und die Opfer" dessen einzigartiger, nicht jedoch einziger Repräsentant, was seine universale Heilsbedeutung keineswegs aufhebt.

Während W. R. Burrows vor allem das Konzept Knitters nicht zuletzt in der Tradition des amerikanischen Pragmatismus erläutert (59-73), erfährt es von seiten G. D’Costas schärfste Kritik (135-152). D’Costa, in Bristol (England) lehrend und interessanterweise ein Schüler des prominenten pluralistischen Religionstheologen J. Hick, wirft Knitter zugespitzt "eine neuheidnische, öko-faschistische Spielart liberaler Modernität" vor. Er sieht Knitters Konzept im Gefolge des von Kant inaugurierten Projekts der Aufklärung, das "einem universalen ethischen Imperativ Priorität gegenüber Metaphysik und Religion" einräumt (135) und folglich Jesus Christus "zu einem Repräsentanten bereits bekannter Wahrheiten" funktionalisiert (136). Diese These belegt D’Costa anhand der oben genannten beiden neueren Bücher Knitters. Er lehnt selbstredend die von Knitter befürwortete "Priorität der Praxis" ab und plädiert demgegenüber für den Vorrang einer trinitarisch verankerten Christologie, in der Christus die Selbstoffenbarung des dreieinigen Gottes ist und in deren Licht die öko-humanen Nöte und Erfordernisse allererst zu beurteilen sind, ohne daß damit der lernbereite Dialog des Christentums mit anderen Religionen verneint werden müßte.

In dieser Auseinandersetzung zwischen Knitter und D’Costa bezieht F. X. D’Sa SJ, Professor an der Universität Pune (Indien), klar Position zugunsten Knitters (153-174). Er betrachtet Knitters Vorschlag als richtungweisend, das Leiden der Schöpfung und des Menschen als "Treffpunkt" bzw. "Brücke" des Dialogs der Religionen zu installieren. Hingegen hält er nicht nur D’Costas Polemik für verfehlt, da Knitter keineswegs vom Kantschen Imperativ, sondern von der Liebe Christi bestimmt sei (165). Er hält auch D’Costas "souveräne und imperialistische" Christologie für das Zeugnis "einer Frosch-im Brunnen-Mentalität ..., die keine anderen Brunnen kennt", und beurteilt sie zudem als "symptomatisch für eine theologische Strömung ..., deren Priorität darin besteht, ein schönes, möglichst widerspruchsloses Gedankengebäude zu errichten, bevor sie zu den Problemen herabsteigt" (168 f.). - In seinen m.E. allzu vagen Überlegungen über "Das Absolute und die Absolutisten" (175-190) befaßt sich K. Otte auf dem Hintergrund seiner intimen Kenntnis des japanischen Buddhismus mit Knitters Ablehnung des christlichen Absolutheitsanspruchs in "Ein Gott - viele Religionen" (s. zu diesem Buch: ThLZ 113, 1988, 803 ff.). Indem er den Absolutheitsanspruch als Anspruch des Absoluten vom Anspruch der Absolutisten auf das Absolute unterscheidet, stellt er schließlich die folgende Frage an Knitter: "Könnte es sein, daß er, statt den Absolutheitsanspruch des Christentums, den Anspruch einer absolutistischen Christenheit widerlegen wollte?" (188)

Die restlichen Beiträge des Bandes beschäftigen sich mit Problemen der PRT im allgemeinen. So erläutert R. Bernhardt (19-38), der der PRT "in kritischer Sympathie" gegenübersteht, einerseits historische Entwicklungen und theologische Motive für deren Herausbildung, während er sich andererseits der zentralen Kontroverse um die PRT zuwendet: der Christologie. Hier bezieht er sich besonders auf J. Hicks wichtiges Buch "The Metaphor of God Incarnate" (1993) und erläutert die pluralistische Entgegnung auf den grundlegenden Vorwurf an diese Christologie, daß sie mit zentralen Aussagen des Neuen Testaments nicht übereinstimme. - P. Schmidt-Leukel, sicher einer der kundigsten Vertreter einer PRT in deutschen Sprachbereich, erörtert Voraussetzungen eines für die PRT gravierenden Problems: des Problems divergierender Wahrheitsansprüche von seiten verschiedener, als gleichwertig eingeschätzter Religionen (39-58). Seine diesbezüglichen differenzierten Vorschläge, die im allgemeinen darauf hinauslaufen, den kon-tradiktorischen Charakter der für gleichermaßen gültig erachteten divergierenden Aussagen verschiedener Religionen zu bestreiten, halten sich erwartungsgemäß im Rahmen seiner 1997 erschienenen umfangreichen Untersuchung zur "Theologie der Religionen" (s. dazu ThLZ 123, 1998, 628 ff.). - Ebenfalls in kritischer Sympathie versucht J. Brosseder eine "Konstruktive Kritik einer pluralistischen Theologie der Religionen" (117-133), die auf einen religionstheologischen Inklusivismus hinausläuft, indes mangelnde Kenntnis der Positionen J. Hicks und P. Knitters verrät. Auch H.-M. Barth (97-115) scheint einen Inklusivismus zu befürworten, indem er an die Stelle einer pluralistischen "eine trinitarische Theologie der Religionen" setzen will. In diesem Rahmen können s. E. sowohl Gemeinsamkeiten wie Unterschiede zwischen Christentum und den nichtchristlichen Religionen formuliert werden (111), während pluralistische Religionstheologien deren Verhältnis nach von außen herangetragenen Kriterien bestimmen "oder die postmoderne Flucht nach innen antreten" (107).

Alles in allem zeigt der vorliegende Band, in dem der Bericht des indischen Kirchenhistorikers D. Jeyaraj über "Glaubenspluralismus und Weltverantwortung in Südindien" (191-213) etwas aus dem Rahmen fällt und der durch ein Autorenverzeichnis (215) abgeschlossen wird, vor allem die Brisanz einer PRT. Denn hier geht es, anders als bei so manchen "Genitiv-Theoogien" vergangener Jahrzehnte, in der Tat um den mittlerweile vielberufenen "Paradigmenwechsel" in der christlichen Theologie, der ihre christologischen Kernaussagen einschneidend verändert. Wer sich einen differenzierten, kritischen Überblick über diesen außerordentlich wichtigen Neuaufbruch der christlichen Theologie verschaffen möchte, ist - mit Ausnahme der m. E. weniger überzeugenden Beiträge Brosseders und Ottes - mit der Lektüre des vorliegenden Bandes gut beraten.