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Ausgabe:

Juni/1999

Spalte:

665–667

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Helfenstein, Pius F.

Titel/Untertitel:

Grundlagen des interreligiösen Dialogs. Theologische Rechtfertigungsversuche in der ökumenischen Bewegung und die Verbindung des trinitarischen Denkens mit dem pluralistischen Ansatz.

Verlag:

Frankfurt/M.: Lembeck 1998. 469 S. 8. Pb. DM 39-. ISBN 3-87476-335-8.

Rezensent:

Andreas Feldtkeller

Der promovierte evangelische Theologe und Pfarrer Pius F. Helfenstein legt in diesem Buch die Ergebnisse einer vierjährigen Forschungstätigkeit vor, die durch den Schweizerischen Nationalfonds gefördert wurde. Vorworte von Vertretern des ÖRK (Hans Ucko) und der Schweizerischen Evangelischen Allianz (Jürg Buchegger) zeigen die Spannung an, in die der Autor sich selbst mit seiner Position einordnet und die er zu überbrücken bemüht ist.

Interreligiösen Dialog bestimmt er in Anlehnung an gängige Definitionen als ein Spektrum, das von der alltäglichen Begegnung über eine intellektuelle und spirituelle Ebene bis zur gemeinsamen gesellschaftlichen Praxis reicht (17). Der größte Teil der Untersuchung (26-300) stellt in geschichtlicher Abfolge dar, wie die Ökumenische Bewegung theologisch mit diesem Problemkreis umgegangen ist, angefangen von den Weltmissionskonferenzen Edinburgh 1910, Jerusalem 1928 und Tambaram 1938 über die Langzeitstudie "Das Wort Gottes und der moderne nichtchristliche Glaube" (1956-71) hin zum eigentlichen Dialogprogramm des ÖRK ab 1971, dessen begleitende Debatten und Strukturveränderungen bis zur Weltmissionskonferenz in Salvador de Bahia 1996 verfolgt werden.

Ein wesentlich kürzerer Abschnitt (301-334) beschäftigt sich mit der Haltung der Römisch-Katholischen Kirche zum interreligiösen Dialog vom Zweiten Vatikanischen Konzil bis zur Enzyklika "Redemptoris Missio" 1990 und dem Dokument "Dialog und Verkündigung" 1991. Eine solche Gegenüberstellung der offiziellen Stellungnahmen von Katholischer Kirche und ÖRK hat im Kreis der früheren Monographien zum interreligiösen Dialog, die in der Einleitung kurz vorgestellt und evaluiert werden (22-25), einen Vorläufer in dem Buch von Joachim Zehner: "Der notwendige Dialog" (Gütersloh 1992). Während jedoch Zehner beide Seiten nur anhand von sehr kurzen zeitlichen Ausschnitten von jeweils wenigen Jahren darstellt (1962-65 bzw. 1971-79), die hinsichtlich ihrer geschichtlichen Einbettung Wünsche offenlassen, kommt bei H. der langfristige Verlauf in den Blick und wird bis in die unmittelbare Gegenwart fortgeführt. Für die Entwicklungen von 1983 bis 1996, die bisher noch nicht monographisch dargestellt waren, schließt sich damit eine Forschungslücke.

Außerhalb des Blickfeldes bleiben die interreligiösen Konferenzen und Organisationen, die sich in privater Initiative jenseits der offiziellen Bahnen von Ökumenischer Bewegung und Katholischer Kirche bzw. diesen vorangehend zusammengefunden haben (z. B. Weltparlament der Religionen, World Congress of Faiths, Weltkonferenz der Religionen für den Frieden). Das ist als Beschränkung der Thematik sinnvoll, erweckt aber bisweilen auch den Eindruck einer Vergessenheit, wenn etwa der gegenwärtige Zeitpunkt datiert wird als "gut dreißig Jahre nach den ersten interreligiösen Dialogversuchen auf internationaler Ebene" (20).

Sehr positiv zu vermerken ist im Kontrast dazu, daß bereits die Weltmissionskonferenz von Edinburgh 1910 eingebettet wird in den Kontext von Dialogerfahrungen, die bis zu dieser Zeit in Asien gemacht wurden - so die Entwicklung des Neohinduismus in seiner Auseinandersetzung mit dem Christentum (31-35; dargestellt in enger Anlehnung an M. M. Thomas: Christus im neuen Indien, Göttingen 1989) - und die auf der Konferenz zur Sprache kamen (36 ff.).

Die Entwicklungen der ökumenischen Diskussion nach dem zweiten Weltkrieg interpretiert H. vor allem in den Kategorien von zwei missionstheologischen Modellen, die den Gedanken der "Missio Dei" (Karl Hartenstein) unterschiedlich ausgestalten und die ausgehend von Theo Sundermeier als das "heilsgeschichtliche" und das "verheißungsgeschichtlichen" Modell bezeichnet werden (81 ff.). Diese Kategorien sind gut geeignet, um das Ringen nachzuzeichnen, das mit der Studie "Das Wort Gottes und der moderne nichtchristliche Glaube" verbunden war, aber sie verschwimmen streckenweise zu Bezeichnungen für die viel allgemeineren Sachverhalte der Betonung von Differenzen zwischen den Religionen bzw. der theologischen Offenheit gegenüber fremden Religionen.

Die Darstellung der Diskussionen aus den 80er und 90er Jahren konzentriert sich dann auf die Debatte zwischen der bisher prägenden christozentrischen Sicht der Religionen (in ihrer "heilsgeschichtlichen" wie ihrer "verheißungsgeschichtlichen" Variante) und der nun verstärkt als Alternative erwogenen "pluralistischen" Perspektive.

Wenn H. im Anschluß daran (335-410) seinen eigenen "trinitarisch-pluralistischen" Ansatz zur theologischen Grundlegung des interreligiösen Dialogs entfaltet, nimmt er seinen Ausgangspunkt von der veränderten exegetischen Forschungslage zur Entstehung des biblischen Monotheismus, aber auch von der eben genannten ökumenischen Debatte, näherhin vom Vorschlag des orthodoxen Metropoliten George Khodre, die Beziehung zwischen dem Christentum und anderen Religionen trinitarisch zu begründen und dabei zu unterscheiden zwischen der "Heilsordnung Christi" im Christentum und der "Heilsordnung des Geistes" in den anderen Religionen (vgl. 265).

Die systematisch-theologische Entfaltung dieses Ansatzes bei H. läßt eine Reihe von Fragen offen. Insbesondere bleibt unklar, welche Konsequenzen es für das Wirken des Geistes im Christentum hat, wenn speziell die anderen Religionen der Heilsordnung des Geistes unterstehen, und wie man die ausführliche Rezeption des Christuszeugnisses im Islam und Neohinduismus theologisch zu deuten hat, wenn pauschal die anderen Religionen zwar Heilsoffenbarung, aber gerade nicht Heilsoffenbarung Christi sind. Auch aufs Ganze gesehen bleibt in der theologischen Durchdringung die Vielfalt der Religionen außerhalb des Christentums sehr blaß, die sich bei näherem Hinsehen völlig dagegen sperren, unter nur eine für alle gemeinsam gültige christlich-theologische Denkfigur welcher Art auch immer subsumiert zu werden.

Trotz dieser Schwächen ist das Anliegen des Autors sehr zu begrüßen, das Schiff des interreligiösen Dialogs hindurchzusteuern zwischen den Klippen der gewöhnlich mit den Chiffren "Inklusivismus" und "Pluralismus" bezeichneten Ansätze, an denen erst recht jedes Ernstnehmen der nicht reduzierbaren Differenzen zwischen den einzelnen Religionen zerschellen muß.