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Ausgabe:

Juni/1999

Spalte:

660 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Wang, Rongfen

Titel/Untertitel:

Cäsarismus und Machtpolitik. Eine historisch-biobibliographische Analyse von Max Webers Charismakonzept.

Verlag:

Berlin: Duncker & Humblot 1997. 214 S. gr.8 = Soziologische Schriften, 63. Kart. DM 92,-. ISBN 3-428-09079-9.

Rezensent:

Winfried Gebhardt

Wer bisher gedacht hatte, Max Weber sei nach langen und aufreibenden Debatten endgültig - jedenfalls in der westlichen Welt - als "Säulenheiliger der Demokratie" fest institutionalisiert, muß nach der Lektüre dieses Buches feststellen, daß er in anderen Kulturkreisen noch ganz anders gesehen wird. Rongfen Wang läßt in ihrer politischen Kampfschrift jedenfalls keinen Zweifel daran aufkommen, daß Max Weber nicht nur als Vater des italienischen Faschismus und des deutschen Nationalsozialismus zu begreifen ist, sondern stellt - für den außenstehenden Beobachter etwas überraschend - auch fest, daß die als Neoautoritaristen bezeichneten, gegenwärtigen Herrscher der Volksrepublik China als "legitime Schüler Max Webers" (183) anzusehen sind. Schuld an allem Bösen in der Welt des 20. Jh.s sei - jedenfalls nach der Meinung der Autorin - allein das "undemokratische"(184) und "antivölkerrechtliche" (185) Charisma-Konzept Max Webers.

Wangs politische Kampfschrift tritt in wissenschaftlicher Verkleidung auf. Allein deshalb lohnt sich die Auseinandersetzung mit ihr. Sie beansprucht, wie es in der Vorbemerkung heißt, "Max Webers Charismakonzept parallel zu seiner dreidimensionalen persönlichen Entwicklung - der wissenschaftlichen, politischen und psychischen - zu analysieren". Und weiter heißt es dort: "Das Charismakonzept wird auf seine Entstehungsgeschichte und spätere Erfahrungen hin zu durchleuchten sein. Dabei wird hauptsächlich von Primärliteratur - Originaltexten, Privatbriefen, verschollenen Urerinnerungen und derzeitigen Pressemitteilungen - ausgegangen. Die verwendete Sekundärliteratur wurde sorgfältig geprüft, ebenso wurden nur veröffentlichte Dokumente herangezogen. Nicht belegte und für andere nicht zugängliche Quellen wurden außer acht gelassen" (16). Liest man diese Ankündigung, wird man neugierig. Leider erfüllen sich keine der Versprechungen, die hier so großspurig gegeben werden. Max Webers Charisma-Konzept wird auf das Theorem des plebiszitären Führers reduziert, aber nicht einmal dieses wird in seiner historischen Komplexität angemessen zur Kenntnis genommen.

Eine Auseinandersetzung mit der gerade in diesem Bereich umfangreichen Sekundärliteratur findet nicht statt. Arthur Schweitzer und Stefan Breuer (15 f.) werden in der Vorbemerkung beziehungsweise im Literaturverzeichnis erwähnt, dann tauchen sie nicht mehr auf. Wolfgang Schluchter wird auf eineinhalb Seiten in eine Traditionslinie mit Carl Schmitt und Hermann Rauschning gestellt und als Anhänger von Webers "Herrenvolks-Imperialismus" gebrandmarkt (153ff.). Die Entstehungsgeschichte des Weberschen Charisma-Konzeptes wird mit ein paar Worten über Rudolf Sohm abgetan. Die umfangreichen Arbeiten zu diesem Problemkreis von Ebertz (1987) und Baumert (1990 und 1991) tauchen nicht einmal im Literaturverzeichnis auf. Die Rezeptionsgeschichte wird willkürlich konstruiert an Hand einiger ausgewählter Texte, die der Autorin in den Kram passen. An keiner Stelle findet sich auch nur der kleinste Versuch, den Einfluß Webers auf die genannten Autoren an Texten direkt nachzuweisen. W. hat ihre festgefügte Glaubensüberzeugung, und für sie reicht es scheinbar aus, diese ständig zu wiederholen. Wie leichtfertig sie mit den komplexen historischen Lagen umgeht, innerhalb derer sich die Rezeptionsgeschichte abspielte, soll ein kleines, aber symptomatisches Beispiel zeigen.

Daß man Franz Borkenau einen neuen Vornamen verpaßt (Fritz), kann noch nachgesehen werden, daß man das Mitglied der Kommunistischen Partei flugs in einen "faschistischen Soziologen" (12) verwandelt, zeugt entweder von einem abstrusen Totalitarismusverständnis oder von schlichter Ignoranz. Die größte Enttäuschung bietet freilich jenes Kapitel, in dem der Zusammenhang zwischen Lebensgeschichte und Werk Max Webers behandelt wird. Dieses beschränkt sich auf eine spärliche Darstellung von Max Webers Lebensstationen, die fast auschließlich der Biographie Marianne Webers entnommen wurde. Und soll man tatsächlich glauben, die dürftigen (9 Zeilen bzw. 13 Zeilen umfassenden) und jedem hinlänglich bekannten Hinweise auf Mina Tobler und Else Jaffé wären ein hinreichender Beleg für die These, Weber lebte nach seiner Genesung stets in Anspannung zwischen "der Suche nach äußerem Charisma" vor allem bei Frauen und "der Furcht vor innerer Ohnmacht" (96)? Durchgehend wird Max Weber unterstellt, er wäre von dem unbändigen politischen Ehrgeiz beseelt gewesen, als "Charismaführer" (134) Deutschland zu retten. Reichen als Beleg dafür Marianne Webers vergötternde Charakterisierungen ihres Gatten wirklich aus?

Niemand will bestreiten, daß Max Webers politische Vorstellungen weder kohärent sind noch sich geradlinig entwickelt haben. Niemand wird auch bestreiten, daß Webers Charisma-Konzept nach seinem Tode zur Legitimation des faschistischen und nationalsozialistischen Führerkultes herangezogen wurde. Um so verdienstvoller wäre es gewesen, diese Ambivalenzen im Denken Webers und in der Wirkungsgeschichte des Charismakonzeptes in aller Deutlichkeit herauszuarbeiten, anstatt nur wild den Hammer der moralischen Entrüstung zu schwingen. Anknüpfungspunkte in der Sekundärliteratur, die die Autorin auf die richtige Spur hätten setzen können, wären jedenfalls genügend vorhanden gewesen.

Wer etwas über die Gedankenwelt exilierter chinesischer Intellektueller erfahren will, der mag zu dieser Polemik greifen. Wer sich vom Titel des Buches täuschen läßt und darauf hofft, etwas Neues über Max Webers Theorie des Charisma und deren politischer Wirkungsgeschichte zu erfahren, der darf dieses Buch souverän links liegen lassen.