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Ausgabe:

Juni/1999

Spalte:

650–652

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Hofmeister, Heimo

Titel/Untertitel:

Zum Verstehen des Gewesenen. Zweite Heidelberger Religionsphilosophische Disputation, eingel. u. hrsg.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1998. VIII, 142 S. 8. Kart. DM 44,-. ISBN 3-7887-1630-4

Rezensent:

Günther Keil

"Gerade weil Wahrheit in der Auseinandersetzung zwischen Glauben und Denken ein Problem darstellt und keine Selbstverständlichkeit ist, ist das Ziel dieser Streitgespräche, ihr näherzukommen", so beschreibt das Vorwort dieses Buches sein Vorhaben. Den äußeren Rahmen formuliert das Vorwort wie folgt: "Der These und dem Referat eines Philosophen folgte die Erwiderung eines Theologen und abschließend das Streitgespräch, an dem außer den beiden Opponenten auch die Zuhörer mit ihren Anfragen und Behauptungen teilnehmen konnten." Die 1. Disputation ist überschrieben "Das Heilige in der Heiligen Schrift". Der These Arno Anzenbachers als Philosophen antwortet Gerd Theißen als Theologe. In der 2. Disputation "Wahrheit in den Religionen" stellt Hans Michael Baumgartner die These auf, Theo Sundermeier ergänzt die Antwort. Bei der 3. Disputation "Vergangenheit als Zukunft" stehen Hans Friedrich Fulda und Rolf Rendtorff gegenüber, die 4. Disputation "Vom Proprium des Geschichtlichen" (von Herbert Hanreich aus Tonbändern überarbeitet) stellt Kurt Flasch und Gottfried Seebaß gegenüber. Die Einleitung und die jeweiligen Überleitungen schrieb Heimo Hofmeister, das Nachwort Herbert Hanreich.

Inhalt der Disputationen ist also das Zueinander (oder besonders bei Flasch das Nicht-Voneinander) von Gewesenen, also von Vergangenheit und Gegenwart bzw. Zukunft. Dabei pendeln die Disputierenden zwischen zwei extremen geistigen Positionen, die hier durch zwei Zitate deutlich gemacht werden sollen: "Verstehen des Gewesenen kann so dem Abbau von Vorurteilen dienen, gleichsam als eine Erneuerung des Gewesenen, das nicht dem Vergessen anheim fallen darf. Behalten und Vergessen, Erinnern und Begreifen gehören ja der geschichtlichen Verfassung des Menschen an und bilden selbst ein Element seiner Geschichte" (2). Hier ist zwar das Gewesene durch Verstehen immer wieder zu erneuern, aber es ist doch etwas, das eindeutig behalten und begriffen ("... Behalten und Vergessen, Erinnern und Begreifen ...") werden muß, wenn die geschichtliche Verfassung des Menschen nicht verloren gehen soll (so H. in der Einleitung). Das andere Zitat dagegen kennt das Vergangene nur als das rein subjektiv Dargestellte, über das es keine allgemeingültige Erkenntnis geben kann und deshalb nur in einer Anarchie des geschichtlichen Verstehens existieren kann (so Flasch): "Zwingt uns nicht das historische Bewußtsein auch noch die Konsequenz auf, die Anarchie der Überzeugungen nicht nur festzustellen, sondern ... als unsere geschichtliche Lebensbedingung möglichst kohärent unserem Denken zugrunde zu legen?" (115) Ob man bei solcher Anarchie überhaupt noch etwas Gültiges sagen kann, ohne sich selbst sofort zu widerlegen, weil dann jeder nur seine eigenen Gültigkeiten hat und niemand mehr etwas logisch-allgemeingültig sagen kann, (was interessiert mich dann die Meinung des Anderen?), ferner ob alles Gewesene nur als Zukunft relevant sein kann, ohne daß das Zukünftige, das doch selbst so bald ein Vergangenes ist, damit ebenfalls als etwas Selbständiges nichtig wird, das müßten die Verfasser noch etwas tiefer in die Reflexion dringend sagen.

Während Anzenbacher und Baumgartner das Heilige bzw. Absolute philosophisch (fast schon auch theologisch) wenigstens formal sichern wollen und transzendental und argumentativ sauber vorgehen, kann bei Fulda das Gewesene nur im Blick auf Gegenwart bzw. Zukunft relevant sein und wird bei Flasch das Gewesene einer Anarchie der historischen Meinungen anheimgegeben, wobei nirgends wirklich argumentiert, sondern nur behauptet wird (es sei denn dadurch, daß die Prämissen immer schon vorausgesetzt werden). Bei den Theologen beruft sich hinsichtlich des Heiligen (der Heiligen Schrift) Theißen vor allem auf eine Hermeneutik von oben, Sundermeier beschäftigt sich fast ausschließlich mit den Aspekten nicht-abendländischen Denkens (als ob nicht der explizite Begriff des Absoluten fast ausschließlich griechisch-abendländisch sei) und Rendtorff bedenkt fast ausschließlich alttestamentliche Denkstrukturen. Dagegen durchdenkt Seebaß die Konsequenzen des historischen Bewußtseins als Theologie auf gültige Sinngehalte hin und kontert Flasch mit dem bemerkenswerten Satz: "Solche Orientierungslosigkeit kann allzu leicht in einen Dezisionismus umschlagen, der in Angst um die eigene Identität keine gelöste Bewegung mit anderen Sinnentwürfen zuläßt, sondern sich abschottend und verhärtend totalitäre und neurotische Züge annimmt" (123).