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Ausgabe:

Juni/1999

Spalte:

648–650

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Glöckner, Dorothea

Titel/Untertitel:

Kierkegaards Begriff der Wiederholung. Eine Studie zu seinem Freiheitsverständnis.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1998. IX, 300 S. gr.8= Kierkegaard Studies. Monograph Series, 3. Lw. DM 168,-. ISBN 3-11-015636-9.

Rezensent:

Jörg Disse

Mit dieser Arbeit werden die 90er Jahre wohl endgültig als ein Jahrzehnt der Erforschung von Kierkegaards Freiheitsverständnis in die Geschichte der deutschsprachigen Kierkegaardforschung eingehen, ist dies doch seit 1991 bereits die siebte (!) Monographie zu diesem Thema (vgl. Disse 1991, Dietz 1993, Bösch 1994, Schulz 1994, Bongardt 1995, Bösl 1997). Dabei ist die naheliegende Befürchtung, G.s Arbeit wiederhole lediglich bereits Gesagtes, ungerechtfertigt, denn das Verhältnis des Begriffs Freiheit zu dem der Wiederholung wird in den vorhergenden Monographien, wie die Autorin hervorhebt, tatsächlich nur "peripher" diskutiert (4).

G.s Grundanliegen ist die Bestimmung von Kierkegaards Wiederholungsverständnis als "Aufgabe der Freiheit und als die Freiheit selbst" (V). Mit Bezug vor allem auf die Wiederholungsschrift (von Constantin Constantinus) und die Climacusschriften sowie begrenzt auf das Werk bis 1846 wird Freiheit bei Kierkegaard als eine Erfahrung der Befreiung verstanden, deren Gehalt vom Begriff der Wiederholung als dem "innersten Ausdruck der Freiheit" (5) her entfaltet werden soll. Zugrundegelegt wird der Arbeit das im ersten und zweiten Kapitel akribisch untersuchte Wiederholungsverständnis von Constantin Constantinus, wobei die Wiederholung grundsätzlich bestimmt wird als das erneute Ergreifen einer Sache, die dem Wiederholten zugleich etwas hinzufügt, es zu einer "neuen Potenz" erhebt (16). Der Mensch vermag sich nur im Verhältnis zu Gott zu einer solchen Potenz zu befreien, wobei die Verwirklichung dieser Freiheit genauer besehen ein Prozeß ist, der verschiedene im religiösen Gottesverhältnis gipfelnde Grade bzw. Freiheitsstufen kennt. Bei der Bestimmung dieser Stufen orientiert G. sich überraschenderweise nicht an den Stadien des Ästhetischen, Ethischen und Religiösen, sondern teilt sie von der Wiederholungsschrift und den Tagebüchern her in zwei ästhetische und eine religiöse Stufe auf. Hiermit wird eine m.E. schwerwiegende Vorentscheidung getroffen, die im Hinblick auf die Gesamtinterpretation schon allein dadurch zu Problemen führt, daß in "Entweder-Oder II.1" der Begriff der Wiederholung auch auf der Ebene des ethischen Stadiums eine wichtige Rolle spielt (vgl. Disse 1991, 34 f.).

Das Ästhetische wird im zweiten Kapitel vom Religiösen wesentlich dadurch unterschieden, daß ersteres ein "unbewußt-religiöses" Stadium im Sinne einer unbewußten Unmittelbarkeit darstellt, die auf religiöser Ebene als sogenannte "zweiten" Unmittelbarkeit lediglich bewußt wiederkehrt (58). Begründet wird dieses Verhältnis von der Nachschrift her mit dem für die Religiosität charakteristischen totalen Schuldverständnis, das Climacus’ Auffassung nach dem ästhetischen bereits implizit zugrundeliegt (61 f.). Diese Auslegung befremdet insofern, als das totale Schuldverständnis in der Nachschrift lediglich für die Religiosität A steht, die den Bruch mit der ästhetischen Unmittelbarkeit, der die (christliche) Religiosität B kennzeichnet, noch nicht vollzogen hat. Daß die Autorin Religiosität A und B nicht richtig auseinanderhält, bestätigt sich dadurch, daß die Wiederholung im weiteren des Kapitels mit dem Begriff des Leidens als einem inneren Handeln in Verbindung gebracht wird, das G.s Auffassung nach nicht "voraussetzungslos vom Individuum begonnen werden" kann (69), während doch das Gottesverhältnis der Religiosität A, welche das Leiden begründet, Climacus zufolge gerade keine Bedingung voraussetzt, die das Individuum sich nicht selbst zu verleihen vermag.

Verwirrend ist zudem, daß G. die Religiosität B dann doch wieder in ihr Verständnis des Religiösen bei Kierkegaard integriert. Die schöne Auslegung der Hiobgestalt als Verkörperung einer, mit E. Hirsch gesagt, "Einheit von Reue und Glaube" (89, Anm) macht deutlich, inwiefern die christliche Religiosität als eine Einheit beider Formen von Religiösität zu verstehen ist. Wenn dies der Fall ist, kann aber aufgrund des Bruches, den die Religiosität B darstellt, die zweite Unmittelbarkeit nicht lediglich das Sichbewußtwerden der ersten sein. Am unverständlichsten jedoch ist mir, daß G. das - in ihrem Freiheitsstufenschema fehlende - ethische Stadium als "die Voraussetzung, die allen (Entwicklungsstufen) in gleicher Weise gestellte Forderung" versteht (77). In der Nachschrift bildet das Ethische, obwohl es teilweise mit dem Bereich der Existenz als solcher gleichgesetzt wird, immer auch ein besonderes Stadium, das sich vom religiösen dadurch unterscheidet, daß die ethische Innerlichkeit nicht durch das Gottesverhältnis, sondern durch das Verhältnis zu einer absoluten Forderung gekennzeichnet ist (UN II, 212/VII 437). Daß die zwei Formen des Ästhetischen und das Religiöse einen Prozeß anzeigen sollen, "in dem das Ethische selbst sich auf die Freiheit hin entwickelt" (78), müßte wenn überhaupt ausführlich durch Textstellen belegt werden, während G. sich mit einer doch eher leichtfertigen Begründung begnügt.

Das dritte Kapitel befaßt sich ausführlich mit Kierkegaards eigener, philosophischer Reflexion über den Wiederholungsbegriff. Zunächst wird der Gegensatz von Erinnerung und Wiederholung beleuchtet und das Wiederholungsverständnis als Freiheit in der Zeitlichkeit von der platonischen Anamnesis abgehoben. In der Zeitlichkeit sein, meint Bewegung nach vorn, d. h. statt sich in der Anamnesis nach rückwärts hin zum Ewigen zu bewegen, was aufgrund der - erst in der Nachschrift thematisierten - Bestimmung der Sünde unmöglich ist, gilt es für das Subjekt, in der Zeit nach vorwärts, d. h. durch Wiederholung, diese Ewigkeit zu ergreifen. In einer Art zweitem Teil wird die Wiederholung in manchmal etwas undurchsichtigen, aber interessanten Ausführungen der hegelschen Vermittlung gegenübergestellt: Allein die Wiederholung ist wahre Transzendierung der Idealität auf die Realität und damit wahre Versöhnung mit ihr.

Fragwürdig erscheint mir an dieser Stelle allerdings der Versuch, die Versöhnung ausschließlich als Stiftung eines Verhältnisses "zweier Partner" (Gott und Mensch) zu verstehen. G. interpretiert dieses - mit Bezug auf den Begriff der Verdoppelung schön dargelegte - Versöhnungsmoment als eine Gleichheit Gottes und des Menschen, die aber nicht einer Vergöttlichung des Menschen gleichkomme, sondern auf der Grundlage des Verhältnisses von göttlicher und menschlicher Freiheit, wie es an bekannter Stelle in den Papieren (VII A 181) dargelegt wird, als "Gleichheit miteinander versöhnter Partner" verstanden werde (146). Hiermit bleibt wie im zweiten Kapitel die Radikalität der Religiosität B unterbelichtet, dernach das Individuum, "das nicht ewig war, es nun wird" (UN II, 285), d.h. in der Versöhnung eine "neue Kreatur" wird (UN II, 288), was m.E. mehr als nur ein "partnerschaftliches" Verhältnis zwischen Gott und Mensch zum Ausdruck bringt.

Im vierten Kapitel wird die Wiederholung mit dem für Kierkegaards Freiheitsthematik zentralen Aspekt der Selbstwerdung in Verbindung gebracht. Die Selbstwerdung, deren verschiedene Facetten bei G. gut zur Darstellung kommen, ist eine ständig aufrechtzuerhaltende Bewegung der Verinnerlichung als ein Zugleich von Sündenbewußtsein und Selbstbejahung, die entgegen der aristotelischen Bewegung nicht in etwas ihr Äußerem gründet, sondern in sich selbst. Der Mensch stößt sich in höchster Leidenschaft in Freiheit selbst an. Das Sichhalten in dieser höchsten Leidenschaft aber macht die Kontinuität der Existenz aus. Es kommt G. vor allem auf die Dialektik dieser Selbstwerdung an: Das Sichhalten schließt - im Sinne des doppelten Wiederholungsverständnisses - eine innere, unabschließbare Entwicklung der Leidenschaft im Sinne einer Vertiefung in die eigene Existenz notwendig mit ein. Diese Innerlichkeit aber ist mit der Religiosität bzw. mit einem Gottesverhältnis gleichzusetzen. Erst an dieser Stelle wird eine Unterscheidung zwischen Religiosität A und B vorgenommen und in negativer Bestimmung m. E. auch richtig verstanden als sich nicht nur schuldig, sondern als Sünder begreifen, als jemand, der anders geworden ist (203). Recht merkwürdig allerdings ist G.s positive Bestimmung dieser Unterscheidung, dernach das die Religiosität A charakterisierende absolute Sichverhalten zum Absoluten zusammen mit einem relativen Sichverhalten zum Relativen für die Religiosität B nicht mehr gelte, sondern in ihr auch ein absolutes Verhalten zum Relativen gefordert sei (204 f.).

Das fünfte Kapitel befaßt sich mit Kierkegaards Gleichsetzung von Wiederholung und Wirklichkeit ausgehend von den Brocken, wobei mit Wirklichkeit sowohl die Verdoppelung des idealen Schöpfungsplanes als reale Welt gemeint ist als auch das Zu-sich-selbst-kommen der Realität selbst, so daß eine widerspruchsvolle Gleichzeitigkeit von Realität und Idealität gegeben ist bzw. modal gesehen und in bezug auf das Zwischenspiel von Möglichkeit und Wirklichkeit, wobei mit letzterem eine interessante Alternative zu Theunissens Analyse im "Begriff Ernst" geschaffen ist (s. 223 f., Anm). In der Nachschrift wird die Wirklichkeit weiter als das bestimmt, was der Einzelne nur je für sich erfassen kann, so daß sich die Frage der Möglichkeit des Verhältnisses zu anderer Wirklichkeit stellt. Auf zwischenmenschlicher Ebene streitet Kierkegaard diese Möglichkeit ab, etabliert sie aber auf der Ebene des Glaubens als unendliches, jede kognitive Distanz aufhebendes Interesse an der Wirklichkeit eines Anderen zugleich mit dem an der eigenen Wirklichkeit, wobei es keine andere Vergewisserung der Wirklichkeit des Anderen gibt als der Glaube selbst. Dieser Glaube ist das Dritte, wodurch erst der Mensch der Wirklichkeit eines anderen Menschen begegnen kann. Im abschließenden sechsten Kapitel wird lediglich die Struktur des Glaubens bzw. der Religiosität doppelte Bewegung von Selbstvernichtung und Selbstgewinn (s. 4. Kap.) weiter ausgeführt, einerseits an den Phänomenen des Mutes und der Ausrichtung des Glaubens auf die Fremde, andererseits anhand von "Furcht und Zittern", wobei durch die fragwürdige Auslegung der Abrahamsgestalt als Konflikt zwischen menschlicher Liebe (zu Isaak) und Gewissen (als Gottesgehorsam) die ethische Brisanz dieser Schrift völlig eingeebnet wird.

G.s Arbeit zeichnet sich durch ein bemerkenswertes Maß an denkerischer Durchdringung von Kierkegaards Ansatz aus. Die Analysen sind originell und bereichern die Diskussion um Kierkegaards Freiheitsverständnis um weitere, bisher vernachlässigte Aspekte. Doch aufgrund des Ansatzes, das gesamte Werk einseitig von der Wiederholungsschrift und Climacus her zu deuten sowie der m. E. unzureichenden Vertiefung in Kierkegaards Religiositätsverständnis zeichnet G. letztlich ein z. T. recht problematisches Kierkegaardbild.