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Ausgabe:

Juni/1999

Spalte:

636–638

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Zeilinger, Franz

Titel/Untertitel:

Krieg und Friede in Korinth. Kommentar zum 2. Korintherbrief des Apostels Paulus. 2: Die Apologie.

Verlag:

Wien-Köln-Weimar: Böhlau 1997. 487 S. gr. 8. ISBN 3-205-98746-2.

Rezensent:

Andreas Lindemann

Fünf Jahre nach dem Erscheinen des ersten Bandes seiner Auslegung des 2Kor (im folgenden: Teil 1)1 legt Z. den zweiten Band vor, der sich auf die "Apologie" 2,14-7,4 bezieht. Das Vorgehen ist beibehalten: Nach der Einleitung folgt die Auslegung der einzelnen Textabschnitte (2,14-16a; 2,16b-17; 3,1-3 usw.), wobei jeweils zunächst der in Sinnzeilen gedruckte griechische Text mit Übersetzung geboten und dann Struktur und Stil dargestellt werden; es folgen die eigentliche Erklärung und jeweils ein Resümee. Jeweils nach größeren Einheiten (2,14-3,3; 3,4-4,6 usw.) schließt sich eine Zusammenfassung an, und am Ende steht ein "Theologischer Rückblick" (437-447). Es folgen das Literaturverzeichnis (449-467; leider bestehen nicht gekennzeichnete Überschneidungen mit dem sehr viel knapperen Literaturverzeichnis des ersten Bandes) und ein "Schriftstellenregister" (469-487).

In der verglichen mit Teil 1 etwas umfangreicheren Einleitung (11-48) erörtert Z. zunächst die Eigenständigkeit und Funktion der Apologie. Dabei nimmt er jetzt, anders als in Teil 1, an, daß "das Thema der Versöhnung für die ursprüngliche Einheit von 2Kor 1-7" spricht (15, Hervorhebung im Orig.); es handele sich also nicht um einen "ursprünglich separaten Brief", sondern um einen im Rahmen des Versöhnungsbriefs "formal und inhaltlich geschlossenen theologischen Textkomplex", für den freilich "ein eigener Arbeitsgang" angenommen werden müsse (15 f.). Damit erübrige sich die Frage nach dem für den jetzigen Text verantwortlichen Redaktor; die Apologie bilde vielmehr gerade "das literarisch geschlossene, aber (!) theologische Zentrum des Versöhnungsbriefes", der freilich nicht vor dem Vierkapitelbrief 10-13 verfaßt worden sein könne (16). Diese nicht unerhebliche Revision der in Teil 1 für wahrscheinlich gehaltenen literarkritischen Position, auf die Z. explizit nur in einer zweizeiligen Fußnote hinweist (16 Anm. 37; der relativ breite Austausch der Argumente in Teil 1, 19-22, wird von Z. nicht nochmals aufgenommen), hat dann freilich kaum Auswirkungen auf die eigentliche Textauslegung; denn der Abschnitt 2,14-7,4 wird nun doch so ausgelegt, als handele es sich um eine literarisch eigenständige Größe (vgl. 18-28: "Die Apologie als Brief"). Zugleich fällt auf, daß die Frage nach der Redaktion des 2Kor gar nicht diskutiert wird (in Teil 1 hatte Z. unterschieden: 10-13 "Kampfbrief", 1,1-2,13; 7,5-16 "Versöhnungsbrief", 8-9 "Bettelbrief"), d. h. Z. fragt auch nicht, durch wen und warum der "Versöhnungsbrief" mit dem "Vierkapitelbrief" redaktionell verbunden worden sei.

Die einleitenden Erwägungen zur rhetorischen Struktur der Apologie im ganzen und der Teiltexte im einzelnen sind gegenüber Teil 1 erheblich ausgeweitet. Der Vergleich mit den "Zielen, Inhalten und Eigenarten deliberativer Rhetorik" (29) ergebe, "daß die Regeln deliberativer Rhetorik die Makrostruktur der Apologie mitbestimmen" (38), und dies vor allem beim Proömium (2,14-3,3: ein "Musterbeispiel an Kürze, Vollständigkeit und literarischem Können", 34), aber "durchaus" auch bei der Argumentatio 3,4-5,13 (36) und dann verstärkt wieder in der Peroratio (5,14-7,4; diese umfasse die Recapitulatio, 5,14-6,10, und einen "affektiven Schluß", 6,11-7,4, in dem die zweiteilige Conquestio 6,11-13; 7,2-4 die "erforderliche Indignatio 6,14-7,1" umschließe, 37). Unklar bleibt dabei Stellung und Funktion einer rhetorisch derart ausgefeilten Apologie innerhalb des 2Kor 1-9 (oder 1-7?) umfassenden Briefes. Eingehend diskutiert Z. die Echtheit des Abschnitts 6,14-7,1 (41-48); er begründet die Annahme der Authentizität mit dem Hinweis darauf, daß Paulus in den "Schlußmahnungen" anderer Briefe ähnlich argumentiere, wobei die Analogie in Röm 16,17-20 am stärksten sei (47). Z. hält es für möglich, daß Paulus "die Indignatio bewußt nach qumranisch-apokalyptischer Manier gestaltet hat" (43), während in Röm 16 die Sprache "nicht ,qumranisch’ verfremdet" sei (47). Jedenfalls gehörten "derartige teils apokalyptisch eingefärbte Warnungen vor Andersdenkenden offenbar zum paulinischen Briefeschatokoll" (47) - eine These, die zu der von Z. angenommenen Stellung von 6,14-7,1 innerhalb der Apologie durchaus nicht paßt.

In der Einzelexegese werden die exegetischen und speziell auch die philologischen Fragen ebenso sorgfältig wie in Teil 1 diskutiert. Einige Beispiele: Zu 3,17 kommt Z. zu dem Ergebnis, mit ho kyrios sei Gott gemeint (119); das vieldiskutierte Problem, wie 5,16 auszulegen sei, wird mit der Annahme gelöst, Paulus spreche von seiner "Beurteilung des Christus Jesus in der Zeit vor seiner Konversion" (292); in 5,19a werde das Versöhnungshandeln Gottes in Christus benannt, "das in V.19b modal präzisiert und dessen konkrete Realisierung in 19c ausgesagt wird" (309; Z. übersetzt: "Da Gott es war, der in Christus die Welt mit sich selbst versöhnte ...", 300); die "Ungläubigen" in 6,14 seien nicht Heiden, sondern Gegner des Paulus (aber nicht unbedingt die Gegner von 10-13, 403); substantiviertes pistos wie in 6,15 begegne zwar eigentlich erst in den Pastoralbriefen, könne aber Paulus "nicht einfach abgesprochen werden" (407); und die nur hier im NT begegnende Zitateinleitung kathos eipen ho theos zeige nur, daß Paulus sich nicht auf eine einzige Formel festlege (411).

Ähnlich wie nach der Exegese der einzelnen Briefe in Teil 1 folgt auf die Exegese der Apologie eine systematische Zusammenfassung, in der das "Gottesbild", Christologie und Soteriologie, die Ekklesiologie sowie schließlich eine "Theologie des Dienstes" dargestellt werden. Z. will hier zeigen, daß und in welcher Weise die Apologie um die Frage kreist, was es bedeute, "von Gottes Ruf und Gnade getroffen zu sein" (437; im Vorwort spricht Z. sogar davon, daß sich die Apologie "geradezu als eine kleine Summe der Theologie des Paulus unter dem Aspekt seines apostolischen und seelsorgerlichen Selbstverständnisses präsentiert", 1).

Seine in Teil 1 (18) getroffene Entscheidung, daß der Kommentar "einer vereinfachten Form der historisch-kritischen Methode verpflichtet" sein solle, wiederholt Z. nicht; er betont jetzt, daß er nicht beabsichtigt habe, "um jeden Preis einen völlig neuen Interpretationsentwurf vorzulegen, sondern den Reichtum und die Fülle des paulinischen Denkens und Glaubens möglichst umfassend zu erheben und die Tiefe seiner wegweisenden Reflexionen wenigstens annähernd auszuloten" (1). Das scheint mir deutlicher als in Teil 1 gelungen zu sein, auch wenn dadurch die Auslegung an Einheitlichkeit verloren hat.

Fussnoten:

1) s. meine Besprechung ThLZ 118, 1993, 934 f.