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Ausgabe:

Juni/1999

Spalte:

631–634

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Söding, Thomas

Titel/Untertitel:

Das Wort vom Kreuz. Studien zur paulinischen Theologie.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1997. VIII, 408 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 93. Lw. DM 158,-. ISBN 3-16-146618-7.

Rezensent:

Christof Landmesser

Thomas Söding legt mit diesem Band gesammelte Aufsätze zur paulinischen Theologie vor, die in den Jahren 1985-1995 allesamt an anderen Orten veröffentlicht wurden. Er ermöglicht damit den Leserinnen und Lesern einen präzisen und zugleich recht umfassenden Einblick in seine Sicht zumeist zentraler Themen der Briefe des Apostels Paulus.

Die Aufsätze sind in fünf Abteilungen thematisch geordnet. Der Vf. stellt unter I. "Entwicklungen und Hintergründe" einen Aufsatz "Zur Chronologie der paulinischen Briefe" an den Anfang (3-30). Die hier getroffenen literarkritischen Entscheidungen prägen das Bild einer gewissen Entwicklung in der Theologie des Apostels, das der Vf. vermitteln möchte. Er ist sich aber dessen bewußt, daß etwa die Aufteilung des Philipperbriefes in drei unterschiedliche Briefe (12-14) hypothetisch ist und somit "nur den Charakter eines Vorschlages zur weiteren Diskussion haben" kann (29). Der Vf. zeigt in dem anschließenden Aufsatz zum 1Thess (31-56), daß schon die frühpaulinische Evangeliumsverkündigung wesentliche Elemente beinhaltet, die Paulus in seinen Hauptbriefen - veranlaßt durch Anfragen bzw. durch die jeweilige Situation der Gemeinden - aufgreifen und ausführlicher entfalten wird. Ausdrücklich stellt der Vf. fest, daß die paulinische Kreuzestheologie im 1Thess wohl nicht thematisch werde, aber doch - etwa im Anschluß an 1Kor 2,2 geurteilt - die Kreuzespredigt vorausgesetzt werden müsse (38).

Die Annahme der Kreuzespredigt als Inhalt schon der frühpaulinischen Evangeliumsverkündigung ist deshalb von Interesse, weil der Vf. in der Kreuzestheologie das Zentrum des paulinischen Denkens überhaupt erkennt. Diese Einsicht ist ein wesentlicher Aspekt der sechs Aufsätze unter II. "Christologie und Soteriologie". Zunächst wendet sich der Vf. der paulinischen Eschatologie zu, bei der "das Ganze der Theologie auf dem Spiel steht" (59). Schon in der Behandlung dieser Frage im 1Thess "geht es letztlich um das Problem der Theodizee" (ebd.). Der Vf. zeigt, daß - insbesondere im Anschluß an 1Kor 15 - die Hoffnung auf die universale Totenauferstehung für Paulus die Gegenwart der Glaubenden entscheidend prägt. "Durch die christologisch vermittelte Eschatologie wird die Geschichte als Ort menschlichen Lebens und als Ort der Wahrnehmung Gottes konstituiert" (70). Die hier thematisierte ,christologische Vermittlung’ der Eschatologie hat ihrerseits ihre Grundlage im Kreuzesgeschehen. In zwei Texten untersucht der Vf. genauer, welche Stellung das Motiv des Kreuzes Jesu in der Theologie des Apostels Paulus hat. In seinem Aufsatz "Das Geheimnis Gottes im Kreuz Jesu" (71-92) stellt der Vf. die Grundzüge der paulinischen Christologie nach dem 1Kor dar. Es ist für die Arbeitsweise des Vf.s durchgängig charakteristisch, daß er dabei historische Bezugspunkte sucht, die für die konkrete Gestalt der paulinischen Theologie von Bedeutung sind. Dies ist insbesondere dort von Interesse, wo es gelingt, die Position der Gegner des Apostels zu rekonstruieren. ("Die Gegner des Apostels Paulus in Galatien" sind Thema eines eigenen Aufsatzes [132-152].) Die paulinische Position gewinnt dadurch an Konturen und verliert jede ihr zuweilen angedichtete Abstraktheit.

Nach der Sicht des Vf.s treten in Korinth Pneumatiker auf, die die Geschichte Jesu neutralisieren und sein Sterben ästhetisieren (77). Dem setzt Paulus das historische und theologische Faktum des Kreuzes entgegen (81). Mittels der theologia crucis bringt Paulus den konkreten und zugleich universalen Heilswillen Gottes zur Sprache. Wie dies geschieht, erweist sich dabei als durchaus wesentlich. Im Zusammenhang der Darstellung der theologia crucis werden deshalb hermeneutische Überlegungen relevant (85-92). Das Kerygma artikuliert sich "narrativ, rhetorisch und poetisch" und spricht auf diese Weise die Hörer "auf ihre Rationalität, ihre Ethik und ihre Ästhetik an, also in ihrer Freiheit" (91). - Im letzten Aufsatz des zweiten Abschnitts ("Kreuzestheologie und Rechtfertigungslehre" [153-182]) expliziert der Vf. die Rechtfertigungslehre konsequent als soteriologische Interpretation der Kreuzestheologie (179-182). Das Kreuzesgeschehen ist konstitutiv für die als creatio ex nihilo verstandene iustificatio impii (179). Man wird im Anschluß an Paulus und im Sinne des Vf.s demnach urteilen können: Wer die Kreuzestheologie aufgibt, der verliert auch die Perspektive auf das Heilshandeln Gottes am Menschen. - Der zweite Abschnitt wird ergänzt durch Aufsätze zu 1Kor 15,56 (93-103) und zum Christushymnus im Philipperbrief (104-131).

Unter III. "Evangelium und Heilige Schrift" findet sich zunächst der Aufsatz "Apostel der Heiden" (Röm 11,13) (185-195), in welchem der Vf. die paulinische Missionspraxis skizziert. Als Ansatzpunkt für weitere hermeneutische Diskussionen wäre die Überlegung aufzugreifen, inwiefern durch "Inkulturation des Evangeliums" an diesem selbst "neue Dimensionen sichtbar werden [können]" (194). Ob sich Paulus - etwa in 1Kor 10,16 f.; Röm 6,1-11 - aber wirklich in der vom Vf. behaupteten Weise "der Sprache hellenistischer Mysterienreligionen" bedient (ebd.), wäre noch zu überprüfen. Die - noch genauer zu bestimmende - Kontextualität der Evangeliumsverkündigung und das darin begründete Sprachpotential sind gerade dann unbedingt zu beachten, wenn die "Universalität der Gnadenmacht Gottes" als Grundlage der Evangeliumsverkündigung erkannt wird (195). - In weiteren Aufsätzen reflektiert der Vf. insbesondere das Verhältnis der paulinischen Evangeliumsverkündigung zum Alten Testament sowie die Bedeutung der paulinischen Schriften für die neutestamentliche Kanonbildung. Er betont die für die Evangeliumsverkündigung unhintergehbare Bedeutung des Alten Testaments, die er in der "Selbigkeit des einen Gottes" und in der "Einheit der Geschichte" begründet sieht (246). Eine angemessene Theologie der Heiligen Schriften muß dann aber auch zur Geltung bringen, daß mit dem Tod und der Auferweckung Jesu "etwas eschatologisch vollkommen Neues, weil Unableitbares und Unüberbietbares" zur Sprache gebracht wird, an dem "kraft des Geistes die apostolische Verkündigung partizipiert" (ebd.).

Unter IV. "Kirche als Gemeinschaft des Gekreuzigten" erörtert der Vf. in drei Texten - jeweils ausgehend von der Situation der korinthischen Gemeinde -, welche Konsequenzen die Kreuzestheologie für das christliche Gemeindeleben hat. Die hier gewonnenen ekklesiologischen Einsichten werden in ihrer Bedeutung auch für die Gegenwart dargestellt. Dies entspricht der vom Vf. geübten Praxis, Exegese nicht als bloß historische Disziplin durchzuführen, sondern dezidiert als Beitrag zu einer Theologie zu begreifen, die sich ihrer aktuellen Verantwortung bewußt ist.

Im letzten Abschnitt V. "Christsein in der Kraft des Geistes" untersucht der Vf. in vier Aufsätzen insbesondere die pneumatologische Perspektive der paulinischen Evangeliumsverkündigung sowie die Bedeutung des Herrenmahls und der christlichen Taufe. Im letzten Aufsatz "Starke und Schwache" (346-369) erörtert er den korinthischen Götzenopferstreit (1Kor 8-10) als "Paradigma paulinischer Ethik ..., das von überraschender Aktualität ist" (346). Der hier gesuchte Gegenwartsbezug ist keineswegs konstruiert, sondern theologisch begründet. Als eine sich ergebende grundsätzliche Aussage gilt dem Vf., "daß es die Freiheit und die Vollmacht eines Christenmenschen nur aufgrund des Sühnetodes Jesu, also nur im Zuge des kreuzestheologisch strukturierten universalen Heilshandeln Gottes gibt" (365).

Der Vf. bietet in diesem vorzüglichen Aufsatzband ein beeindruckend geschlossenes Paulusbild. Er beschränkt sich dabei nicht auf historische Rekonstruktionen, die im einzelnen gewiß auch von der Meinung des Vf. abweichend vorgenommen werden können (vgl. etwa die Bestimmung des religionsgeschichtlichen Hintergrundes des Christushymnus im Philipperbrief [118-125]). Der Aufsatzband bringt die zentralen und in der Wissenschaft auch heftig umstrittenen Themen paulinischer Theologie vielmehr so zur Sprache, daß Exegese als gegenwärtige Theologie erkennbar wird.