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Ausgabe:

Juni/1999

Spalte:

629–631

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Melzer-Keller, Helga

Titel/Untertitel:

Jesus und die Frauen. Eine Verhältnisbestimmung nach den synoptischen Überlieferungen

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien-Barcelona-Rom-New York: Herder 1997. XIX, 488 S. gr.8 = Herders biblische Studien, 14. Geb. DM 98,-. ISBN 3-451-26410-2.

Rezensent:

Roman Heiligenthal

Mit ihrer bei Karlheinz Müller in Würzburg geschriebenen Dissertation legt die Vfn. eine von Umfang und Gehalt beeindruckende Studie zu einem im theologischen, aber auch im kirchlichen-gesellschaftlichen Diskurs höchst aktuellem und kontrovers diskutiertem Thema vor. Die Untersuchung weiß sich den Methoden wissenschaftlicher Exegese verpflichtet. Damit steht sie in einer produktiven Spannung zu zahlreichen thematisch vergleichbaren Studien, die die Methoden historischer Kritik als "männliche Hermeneutik" ablehnen. Obgleich sich die Vfn. selbst dem Feminismus verbunden fühlt (7), wehrt sie sich gegen einen von Frauen im Namen einer neuen, erfahrungsbezogenen Hermeneutik vollzogenen "Methodenmord" (7), "weil sie auf diese Weise einen Dualismus von männlich rational und weiblich-emotional erzeugen und sich dabei als die naturgegeben ,Nicht-Vernunftbegabten’ disqualifizieren" (7).

Die Untersuchung ist durchgängig redaktionskritisch und damit in ihrer methodischen Durchführung konventionell angelegt. Unter Berücksichtigung aller relevanten Texte entfaltet die Vfn. in den drei ersten großen Kapiteln die spezifisch markinische, matthäische und lukanische Sichtweise des Verhältnisses Jesu zu den Frauen seiner Umwelt. Es folgen Ausführungen über die Redaktion der Logienquelle, den Stellenwert des Themas in den ältesten Gemeindeüberlieferungen und als letzter schmaler Abschnitt die Rückfrage nach dem historischen Jesus und seinem Verhältnis zu den Frauen. Mit dieser akribisch durchgeführten Vorgehensweise zeichnet die Vfn. ein differenziertes Bild von Jesus und den Frauen: Sie konnte feststellen, daß jeder Tradent bzw. Trägerkreis eigene Vorstellungen von der Rolle der Frauen in der Jesusbewegung hatte, die sich teilweise nicht miteinander harmonisieren lassen. Hierbei spielen besonders die sozio-kulturellen Bedingungen, in denen die Trägerkreise verwurzelt sind, eine herausragende Rolle. Der in der römisch-hellenistischen Welt beheimatete Heidenchrist Markus ist mit den Errungenschaften der antiken Frauenemanzipation durchaus vertraut und billigt den Frauen eine offensichtlich hervorragende Stellung zu. Dagegen ist der Judenchrist Matthäus nach Ansicht der Vfn. von konventionellen Rollenvorstellungen geprägt: Die Frauen erscheinen in der traditionellen Hausfrauen- und Mutterrolle. Die Logienquelle spiegelt auch in den Frauengestalten die harte und entbehrungsreiche Lebenswelt der unteren Schichten im ländlichen Galiläa. Wohlhabende und unabhängige Frauen aus dem Heidenchristentum üben in den lukanischen Gemeinden großen Einfluß aus, wobei Lukas seine Gemeindewirklichkeit in das Leben Jesu zurückprojiziert.

Der der synoptischen Überlieferung gemeinsame Grundbestand ist nach Überzeugung der Autorin eher dürftig: "Was nun das Verhältnis Jesu zu den Frauen angeht, sind alle Tradenten in einem Punkt einig: es gab ... auch Frauen im Auditorium und in der Nachfolge Jesu. Frauen werden von Jesus angesprochen, in seinen Lehrreden können sie ihm als positive Beispiele dienen, sie werden von ihm geheilt, und sie ziehen mit ihm durchs Land" (354). Doch finde sich nirgendwo innerhalb der synoptischen Überlieferung eine wirkliche Gleichstellung von weiblichen mit männlichen Anhängern Jesu, da an keiner Stelle Frauen autoritative Jüngerschaft übertragen und zugestanden werde. Hierin spiegele sich die jeweilige Gemeindewirklichkeit, wobei in der markinischen Gemeinde die Frauen noch die größte Bedeutung gehabt hätten. Grundsätzlich wird ein kontinuierlicher Bedeutungsverlust der Frauen innerhalb der Überlieferungsgeschichte festgestellt, der sich besonders auch an der Darstellung ihrer Rolle bei Tod und Auferstehung Jesu festmachen läßt. Die Tendenz ist aus der Sicht der Autorin eindeutig: "Dort, wo die Apostel an Bedeutung gewinnen, verlieren die Frauen offenbar an Gewicht!" (355). Mit diesem exegetischen Befund korrespondiert die gegenläufige Beobachtung eines kontinuierlichen Bedeutungszuwachses von Maria, der Mutter Jesu, innerhalb der Überlieferung. In der Untersuchung wird dies als kompensatorische Maßnahme frühchristlicher Gemeinden interpretiert: Je stärker man Frauen aus Leitungspositionen herausdrängte und somit sich der faktischen Gleichberechtigung verweigerte, desto mehr trete in der Gestalt Marias ein Modell der "Gleichberechtigung im Glauben" (356) in den Vordergrund. Das (legitime!) erkenntnisleitende Interesse der Vfn. wird an dieser Stelle besonders deutlich: Sie interpretiert den erhobenen exegetischen Befund mit Hilfe eines Gleichberechtigungsverständnisses, das sich auf die Dimension des Zugangs zu leitenden Positionen auch für Frauen reduzieren läßt. Ob jedoch in den frühchristlichen Gemeinden Einfluß nur durch die Inbesitznahme leitender Funktionen ausgeübt wurde, bleibt undiskutiert. Ich verweise hier nur auf die Rolle charismatischer Prophetinnen und Offenbarungsträgerinnen, etwa die Töchter des Philippus.

Das Verhältnis des historischen Jesus zu den Frauen seiner Umwelt beantwortet die Studie nur mit einigen "groben Beobachtungen" (439): Jesus habe sich Männern und Frauen gleichermaßen zugewandt, die Lebenswelt von Frauen sei in der Verkündigung Jesu offensichtlich als bildspendender Bereich vorgekommen, dazu nahm Jesus Frauen in seine Nachfolgegemeinschaft auf. Dort, wo Jesus sich Frauen in besonderer Weise zuwandte, lag die Motivation nicht in einem spezifischen Interesse an Frauen, sondern in seinem Auftrag, besonders den Entrechteten und marginalisierten Menschen Palästinas die Botschaft vom kommenden Gottesreich zu predigen. Die Bilanz der Autorin in Blick auf den angeblichen "Frauenfreund" Jesus von Nazareth mag für manche ernüchternd und desillusionierend sein: "Jesus war sicher kein ,Chauvinist’, doch ebensowenig können wir ihn als einen besonderen ,Frauenfreund’ oder gar ,Frauenbefreier’ bezeichnen. Wir müssen vielmehr das Fazit ziehen, daß er überhaupt kein Problembewußtsein hinsichtlich der in einem patriarchalen Gesellschaftssystem ungleichen Verteilung von Rechten und Möglichkeiten zwischen den Geschlechtern hatte, kein Gespür für eine sowohl rechtliche als auch lebenspraktische Benachteiligung von Frauen, kein Interesse an einer diesbezüglichen Veränderung des status quo" (441).

Besonders am Schlußabschnitt über den historischen Jesus läßt sich eine zweifache Problematik der gesamten Untersuchung aufzeigen. Das von der Autorin gewählte methodische Instrumentarium steht einer Rückfrage nach dem historischen Jesus grundsätzlich entgegen. Die Texte werden in geradezu klassischer Weise mit Hilfe der formgeschichtlichen Methode Rudolf Bultmanns analysiert. Damit wird auch der implizite historische Skeptizismus der frühen Bultmannschule übernommen; fast der gesamte synoptische Überlieferungsstoff wird nachösterlichen Gemeindebildungen zugerechnet. Die methodische Diskussion im Rahmen der "third quest for the historical Jesus" findet keine Berücksichtigung. Es stellt sich mir die Frage, ob man auch angesichts des heutigen Forschungsstandes noch mit einer solchen vermeintlichen Sicherheit zwischen "echten" und "unechten" Jesusüberlieferungen unterscheiden kann, wie es die Vfn. tut. Auch erscheint es mir nicht unproblematisch, eine antike eschatologisch bestimmte Buß- und Erneuerungsbewegung an den Maßstäben moderner Gleichberechtigungsvorstellungen zu messen und zu bewerten. An dieser Stelle scheint mir die Fremdheit neutestamentlicher Texte zu schnell überspielt worden zu sein.

Trotz dieser kritischen Anmerkungen hat die Autorin zum Thema "Frauen im Umfeld Jesu" einen beeindruckenden Beitrag geliefert, um den die künftige Diskussion nicht herumkommen wird. Als unaufgebbares Resultat der Studie möchte ich die Einsicht festhalten, daß ganz offensichtlich die synoptische Überlieferung, die hinter ihr stehenden Trägerkreise und auch der historische Jesus das Thema "Frauen" als eigenständiges Thema nicht im Blick hatten. Die einschlägigen Texte sperren sich gegen eine vorschnelle Funktionalisierung im Sinne moderner emanzipatorischer Kategorien.