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Ausgabe:

Januar/1999

Spalte:

45 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Davies, W. D. and Dale C. Allison

Titel/Untertitel:

The Gospel according to Saint Matthew . A critical and exegetical Commentary. III. Commentary on Matthew XIX-XXVIII.

Verlag:

Edinburgh: Clark 1997. XVIII, 789 S. 8 = The International critical Commentary on the Holy Scriptures of the Old and New Testament. Lw. £ 39.95. ISBN 0-567-08518-X.

Rezensent:

Hans Theo Wrege

Der umfangreiche Mt-Kommentar (Vol. III bearbeitet auf 727 Seiten ’nur’ die Kapitel 19-28) ist aus einer Zusammenarbeit der beiden Autoren erwachsen, wobei aus dem Vorwort hervorgeht, daß für Bd. III Allison die Hauptlast getragen hat.

Der Vf. geht so vor, daß er die einzelnen Perikopen je für sich nach dem einheitlichen Schema (1) Struktur, (2) Quellen, (3) Exegese, (4) Zusammenfassende Beobachtungen (hier kann die Funktion der jeweiligen Perikope für das Gesamt des Mt erwogen werden); (5) spezielle Bibliographie behandelt. Die enge Perikopenbindung wird tendenziell auch in der Passionsgeschichte beibehalten. Sie bewirkt, daß die Quellenfrage für jeden Abschnitt neu diskutiert wird. Zwar wandelt der Vf. dabei in der Regel auf den Pfaden der 2-Quellentheorie, ohne diese jedoch zum fraglosen ’Dogma’ zu erheben. So sieht der Vf. angesichts des Problems der Weherede cap. 23 u. Lk 11 (vergleichbare Inhalte bei stark abweichender Terminologie) keine Möglichkeit, den Wortlaut einer Q-Quelle zu rekonstruieren (283: we despair of reconstructing a common Q source). Der Einfluß von Streeter ist auch dort allgegenwärtig, wo er nicht ausdrücklich zitiert wird. Als Beispiel sei auf 26,69-75 (Petrus verleugnet) hingewisen. Der Vf. würde zunächst gerne - im Rahmen der 2-Quellentheorie - davon ausgehen, daß Mt Mk 14,66 ff als Vorlage benutzt und bearbeitet habe. Aber drei keineswegs belanglose Übereinstimmungen zwischen Mt und Lk gegen Mk wollen bedacht werden. Denn Mt und Lk stimmen gegen Mk darin überein, daß sie 1. nur einen Hahnenschrei kennen, 2. die zweite Verleugnung in direkter Rede formulieren und 3. das bitterliche Weinen des Petrus an den Schluß setzen. Mögliche Lösungen: Entweder benutzte Lk den Mt, oder wir haben es mit dem Einfluß mündlicher Tradition zu tun, oder unser Mk lag Mt und Lk in anderer Form vor (542. vgl. auch z. B. 668 Anm. 33). Der Vf. zeigt dem Leser also ein Spektrum von Meinungen, veranlaßt ihn so zum selbständigen Nachdenken, ohne seine eigene Lösung (mit Streeter: Lk 22,62 sei eine Interpolation aus Mt) als solche sakrosankt zu setzen.

Das Strukturverständnis des Vf.s ist vor allem geprägt durch den inhaltlichen Aufbau der Perikope, andererseits durch die zugeordnete Terminologie und nicht zuletzt durch deren Verbindung mit der jeweiligen Satzsyntax.

Exkurse geben dem Vf. die Möglichkeit, inhaltliche Schwerpunkte im Meer der Einzelaussagen als solche kenntlich zu machen und zugleich den abschließenden Rückblick vorzubereiten (692 ff.). Hier gibt der Vf. eine Selbstinterpretation, die sich zu einer umfassenden theologischen Ortsbestimmung des Mt in der Geschichte eines christologisch gefestigten (Juden-) Christentums auswächst. Seine Ergebnisse seien im folgenden skizziert. Der Vf. hatte schon im Kommentar dargelegt, daß sein auf Jesus bezogenes Eschatologieverständnis längere zeitliche Verläufe einschließt (331.340. ’history is in God’s hands’). Der möglicherweise beiläufig klingende Satz ist in Wirklichkeit theologisches Programm und schließt die ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Echo des Mt bei den Kirchenvätern ein.

Der Aufbau des Mt ist als System innerer Balancen und Entsprechungen zu erkennen (z. B. 656). Der Vf. interpretiert Mt konsequent universalistisch, d. h. ’panta ta ethnee’ 28,19 schließt die Juden (684) ein, jedoch ist die durch den römischen Hauptmann repräsentierte Zuwendung des Christlichen zu den Heiden für Mt keinesfalls mit einer korrespondierenden Verwerfung Israels verbunden (636.605). Sowohl Mt als auch das zeitgenössische Judentum sind aus der Situation nach der Niederschlagung des antirömischen Aufstandes und der Tempelzerstörung zu verstehen. Innerhalb des Judentums droht die Gefahr einer völligen Zersplitterung (693 ff.). Ihr versucht der Pharisäismus, der als einzige funktionsfähige Gruppe überlebt hat, durch eine den inneren Frieden fördernde, jeweils situationsgerechte Gesetzes-Auslegung zu wehren. Mt steht dem irenischen Geist der Gesetzesauslegung des Johannan ben Zakkai nahe (693.699: v. Dobschütz). Das aus einer Tendenz zur ethnischen Selbstabschließung erwachsende Gefälle zur Aggressivität des Pharisäismus (694 f.) muß für die Christen des Mt-Bereichs zur Herausforderung werden. Der Vf. meint, daß Mt ihr in der Weise begegnet, daß er für Heidenchristen eine Art Gesetzesfreiheit einräumt, für Judenchristen jedoch den ganzen Gesetzesgehorsam einfordert (397 ff.). So habe er auch selbst die Beschneidung praktiziert - freilich ohne jeden Anhalt im Text (703).

Der Kommentar besticht durch seinen grundsoliden Aufbau, spricht die Prediger mit seiner Offenheit für die Belange der Homiletik an, und stellt mit seiner dezidierten Zuweisung des Mt zur Geschichte des (Juden-)Christentums einen wichtigen Beitrag zum christlich-jüdischen Gespräch dar. Daß er hinsichtlich seiner theologischen Axiomatik überaus deutlich die Strukturen einer angelsächsischen Kultur-Theologie (697, 700 ff.) hervortreten läßt, darf auf dem Kontinent als Zeichen ökumenischer Bereicherung verstanden werden (s. o. zum Verständnis der Eschatologie).

S. 230 muß sich ’the passage about the book’ doch wohl auf den Busch der Theophanie von Ex 3,2 ff beziehen, vgl. 222: ’in the part of the bush’).