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Ausgabe:

Juni/1999

Spalte:

622 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Angstenberger, Pius

Titel/Untertitel:

Der reiche und der arme Christus. Die Rezeptionsgeschichte von 2Kor 8,9 zwischen dem zweiten und dem sechsten Jahrhundert.

Verlag:

Bonn: Borengässer 1997. LVII, 373 S., 1 Falttaf. 8 = Hereditas, 12. Pp. DM 74,-. ISBN 3-923946-31-7.

Rezensent:

Otto Merk

In einer kurzen "Einführung" wird bereits die reizvolle und theologisch ergiebige Nachzeichnung der Rezeptionsgeschichte von 2Kor 8,9 angezeigt und der methodisch klare Aufbau der Untersuchung skizziert (3-6).

Das I. Kap. "Zur Paulinischen Christologie: Exegese von 2Kor 8,9" (7-24) bietet die wichtigsten exegetischen Fragestellungen und berücksichtigt hilfreich den "Kranz" jener Bibelstellen, die bei den Kirchenvätern im Umfeld von 2Kor 8,9 relevant werden (z. B. Phil 2,5-11; 1Petr 2,22-25; Mt 21,5; 11,28-30; Mt 25,31-46; Joh 1,14.16; Kol 2,9; Hebr 2,14.17; 1Tim 2,5; Ps 40 (41), 2; 33 (34), 7.11; 9,13 b.14; 69,30.34; 109,16). Wenn abschließend in diesem Kap. Problembereiche wie "der Gedanke vom wunderbaren Tausch", speziellere soteriologische Fragen und "das Anliegen der Personeinheit Christi" in Verbindung mit 2Kor 8,9 aufgegriffen werden, zeigen sich hier auch paulinische Christologie übergreifende dogmatische Fragestellungen. Etwas zu kurz kommt in den gut orientierenden Ausführungen die theologische Verankerung von 2Kor 8,9 im Kontext der beiden Kollektenkapitel 8 u. 9 (doch vgl. 10 f.), sowie die - gesehene - Gewichtung der Präexistenzaussage; die Literaturauswahl ist sinnvoll; doch fehlt hier wie in der gesamten Untersuchung eine der wenigen einschlägigen Monographien: Hilarion Henry Kistner, The Meaning of 2Cor 8,9: a historico-exegetical study, 1962 (= The Catholic University of America Studies in Sacred Theology. Second Series, 140 [mit Aufarbeitung reicher patristischer Auslegung]). Besonders lehrreich sind die folgenden Kap., in denen das reiche patristische Material dargeboten wird. Schon S. 6 waren dafür methodische Gesichtspunkte genannt: "Für die Darstellung wird der historisch-chronologische Weg eingeschlagen". Es werden zunächst die Zeugnisse der griechischen Väter erörtert, denn es läßt sich zeigen, "daß aufs Ganze gesehen ... die theologiegeschichtliche Entwicklung" bei den lateinischen Vätern des Westens erst "etwa 100 Jahre später" einsetzt. Ein eindrückliches, der Untersuchung beigelegtes Schaubild verdeutlicht dies. Weiter hält der Vf. schon im Vorfeld der Einzelnachweisungen mit Recht fest, daß die ausgewerteten Quellen ganz verschiedenen Bereichen zugehören: etwa Briefen, Predigten, Paränesen; Abhandlungen verschiedener Art, Mönchsregeln, Heiligenriten. Da mehrfach in einem einzelnen Beleg verschiedene Aspekte erkennbar sind, geht der Vf. auch darin behutsam vor, daß er das Material in zumeist größerem Kontext (im Zusammenhang der oft gleichzeitig von Kirchenvätern herangezogenen Bibelstellen) unter Berücksichtigung der Vielfalt angewandter Schriftauslegung vorstellt, die mit ,allegorisch’ nur teilweise zu erfassen ist.

Das II. Kap. berücksichtigt die "Griechischen Autoren" (25-198), beginnend mit Klemens von Rom und Melito von Sardes, wobei für beide die methodisch offene Frage bleibt, wie die Nichtzitierung von 2Kor 8,9 exegesengeschichtlich ausgewertet werden soll. Erst mit Origenes sind sichere Belege (vornehmlich in Ausdeutung auf die Kirche) gegeben. Aus der Fülle der vom Vf. bei 31 griech. Autoren beigebrachten, vielfach zitierten und erörterten Belege seien nur genannt: Euseb von Caesarea (sechs direkte Belege mit starkem Gewicht auf die Armut des Menschen Jesus; 57 ff.); bei Athanasius sind die fünf Belege weithin umstritten (bei dem Vf. vielleicht doch zu sichere Hinweise auf ,echte’ Belege; 72 ff.); bei Cyrill von Alexandrien ist mit 40maliger "Aufnahme ... von 2Kor 8,9 ... der Höhepunkt der Rezeptionsgeschichte" gegeben (155-189; Zitat 155; vgl. auch H. J. Vogt, Art. Cyrill von Alexandrien, LThK3, Bd. II, 1994, 1369, in dem des Vf.s Ergebnisse schon aus dem MS übernommen sind; s. Vogts "Geleitwort" zu vorliegender Untersuchung). Im Ergebnis wird dabei festgehalten: 2Kor 8,9 dient Cyrill "als biblische Begründung" für Grundfragen der Christologie, nämlich zur "Unterscheidung der zwei Naturen bei gleichzeitiger Sicherstellung der Personeinheit" und zum Verstehen der "Christologie als Soteriologie" (188).

Im III. Kap. "Syrisch-semitische Autoren" (199-223) wird begründet auf "die Struktur und Antithetik von 2Kor 8,9 als Grundzug syrisch-semitischen Denkens" verwiesen (219). - Das IV. Kap. gibt Hinweise auf "Armenische Autoren" (224 f.). Das V. Kap. ist den "Lateinische(n) Autoren" gewidmet (226-336), einsetzend mit Cyprian, der jedoch 2Kor 8,9 nicht unmittelbar aufgreift. Hier zeigt sich, daß der Vf. diesen zentralen Kirchenvater der abendländischen Kirche nicht einfach übergehen wollte, da dieser für die Christologie des Westens bis zumindest hin zu Augustin und Gregor d. Gr. von erheblichem Belang ist (226 ff.). Das aber ist im Hinblick auf eine Exegesengeschichte von 2Kor 8,9 bedenklich und vom Vf. auch nicht genug begründet, während für die übrigen 24 abendländischen Theologen erstaunlich zahlreich einschlägige Belege beigebracht werden können: So etwa bei Ambrosius von Mailand (243 ff.), Hieronymus (263 ff.); Augustinus, der in seiner Rezeption von 2Kor 8,9 vielfach auf Ambrosius von Mailand zurückgreift (277 ff.), bei Leo d. Gr. (hier geht die diesbezügliche Linie mit begründeter Wahrscheinlichkeit von Ambrosius über Augustinus; 311 ff.). - Im VI. Kap. "Synopse und Ausblick" (337-369) hält der Vf. zurecht fest: "Die große Aufmerksamkeit, die in der frühen Kirche 2Kor 8,9 geschenkt wird, läßt sich aus dem Ringen um ein angemessenes Christusbild, um die Einheit von Gott und Mensch in Christus erklären" (337). Diesen Sachverhalt zeigt er im Vergleich der Aussagen der behandelten patristischen Autoren zusammenfassend auf (337 ff.), um dann aber im Nachweis "christologische(r) Modelle" und noch deutlicher im Abschnitt "die soteriologische Rolle Christi: der Tauschgedanke" und bei weiteren christologischen Gesichtspunkten (358 ff.) durchaus ,dogmatische’ Überlegungen über die frühe Kirche hinausgehend einzuflechten, ohne die mit 2Kor 8,9 verbundenen und vielfach angeführten ethischen Motive auszusparen.

Die Eruierungen des Vf.s sind aufschlußreich auch in den sich überschneidenden Überlegungen bei den einzelnen Kirchenvätern; vielleicht ist es nicht verwunderlich, daß A. Grillmeiers Hauptwerk "Jesus der Christus im Glauben der Kirche", Bd. 1 (21979), Bd. 2/1 (1986), 2/2 (1989) ihn wie auch die patristischen Autoren begleitet. - Ein umfangreiches Quellen- und Literaturverz. (XXVII-LVII) bestätigt die entsagungsvolle Spurensuche des Vf.s, der an einem Einzelbeispiel die fächerübergreifende Bedeutung der arg vernachlässigten Exegesengeschichte neu und ermutigend aufdeckt.