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Ausgabe:

Februar/2014

Spalte:

268–270

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Fornet-Ponse, Thomas

Titel/Untertitel:

Ökumene in drei Dimensionen. Jüdische Anstöße für die innerchristliche Ökumene.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2011. 516 S. = Jerusalemer Theologisches Forum, 19. Kart. EUR 52,00. ISBN 978-3-402-11023-2.

Rezensent:

Gregor Etzelmüller

Einer um sich greifenden ökumenischen Resignation stellt diese Salzburger Dissertation, die 2011 mit dem Regensburger Dr. Kurt-Hellmich-Preis für Ökumenische Theologie ausgezeichnet worden ist, die These entgegen: Die ökumenischen Dialoge werden nur dann fruchtbar weitergeführt werden können, wenn die innerchristlichen Dialoge ihre Israelvergessenheit überwinden (vgl. 15.83) und ökumenische Theologie konsequent »unter Einbeziehung des Judentums als Subjekt« betrieben werde (18). Dass sich auf diesem Wege ökumenisch fruchtbare Erkenntnisse gewinnen lassen, will die Arbeit im Blick auf das Papstamt als »größtes Hindernis der Ökumene« (Paul VI.) darlegen.

Im Anschluss an die interkulturelle Philosophie bestimmt Thomas Fornet-Ponse die Aufgabe ökumenischer Theologie dahingehend, dass diese »gegenüber Versuchen, die theologische und konfessionelle Pluralität zu homogenisieren […], die theologische und konfessionelle Diversität als Reichtum« zu erschließen habe (77). Konsequent wird deshalb die Konzeption eines »differenzierten Konsenses« kritisiert (95–101), da in dieser die konfessionellen Differenzen primär unter dem Aspekt einer vermeintlich notwendigen Versöhnung betrachtet werden. Demgegenüber sollten die Konfessionen »als letztlich differente Christentumstypen verstanden« werden (113), deren immer schon vorgegebene Einheit nicht in einem differenzierten Konsens, sondern im gemeinsamen Zu­sammenleben und im gemeinsamen Austausch der Kirchen und Christen ihren Ausdruck finde (vgl. 111 f.366.451). Insofern plädiert die Arbeit für eine Ökumene des Vertrauens: »Verschiedenheit war für die altkirchliche Tradition schon von Anbeginn an charakte­ristisch; solange die verschieden geprägten Ortskirchen einander vertrauten, ›war ihre Unterschiedenheit keine Ursache für Spaltung, sondern im Gegenteil eine Bereicherung für die Gesamtkirche‹ [Ernst Christoph Suttner]« (138). Zu einem solchen Vertrauen könne die Ökumenische Theologie beitragen, indem sie »nicht nur die Legitimität, sondern sogar die Notwendigkeit einer Vielfalt der Glaubensaussagen und liturgischen Ausdrucksgestalten aufweist« (177). Obwohl dies nach F.-P. vor allem im Blick auf die Differenzen zwischen der römisch-katholischen Kirche und den orthodoxen bzw. den orientalischen Kirchen gilt, deutet er zumindest an, dass auch im Blick auf die Differenzen zwischen der römisch-katholischen Kirche und den reformatorischen Kirchen »nach dem posi­-tiven Charakter dieser Differenzen zu fragen ist« (142).

Eine solcherart differenzhermeneutisch operierende Ökumenische Theologie entspräche auch der Praxis des Judentums. Vielfalt und Pluralität erschienen im Judentum »als direkte Konsequenz eines Offenbarungsverständnisses, welches die Verantwortung jedes Einzelnen für die Anwendung der einmal ergangenen Offenbarung auf die konkrete Situation betont. […] Indem Meinungsverschiedenheiten als legitim erachtet werden und innerhalb der einen Gemeinschaft ausgetragen werden können und keine Letzt­instanz existiert, die befugt ist, zwischen beiden zu entscheiden, gibt es viel weniger Positionen, die den Zusammenhalt der Ge­meinschaft bedrohen und daher bekämpft werden (müssen).« (353) Vom Judentum könne das Christentum – entsprechend seiner grundlegenden Angewiesenheit auch auf das nachbiblische Israel (vgl. 78 f.) – lernen, mit Vielfalt zu leben (360.449).

M. E. verschenkt F.-P. in der Grundlegung seines Ökumenemodells freilich Erkenntnisgewinne, indem er die Israelperspektive nicht konsequent genug berücksichtigt. Karl Barth, dessen Aussage, dass es »nur eine tatsächlich große ökumenische Frage gibt: unsere Beziehung zum Judentum«, als Motto der Arbeit vorangestellt ist (vgl. 15), hat die Funktion Israels dahingehend bestimmt, dass es die Gemeinde Gottes zum Hören auf die Schrift ruft. »Eben darum muß aber das israelitische (das »jüdische«!) Achthaben auf Satz, Wort und Buchstaben in der Kirche weitergehen, darf es sich auf keinen Fall in freie Spekulation verwandeln und verlieren.« (KD II/2, 257). Der Pluralismus der theologischen und konfessionellen Positionen sowohl im Judentum als auch im Christentum ist gerade durch den Bezug auf die Schrift von einer vagen Pluralität unterschieden.

Im letzten Kapitel erprobt F.-P. sein ökumenetheologisches Mo­dell anhand der Frage nach dem päpstlichen Primat. Dabei wird zu­nächst aufgrund der behaupteten differenten Konstitutionsbedingungen von Israel als Volk und dem Christentum als Religionsgemeinschaft die hierarchiekritische Stimme des Judentums stark beschnitten: »Ist aber wie im Christentum das Bekenntnis der primär entscheidende Identitätsmarker, dürfte eine Institution mit der Kompetenz, letztverbindliche Entscheidungen hinsichtlich dieses Bekenntnisses zu treffen, nicht nur sinnvoll, sondern geradezu notwendig sein.« (427) Man könnte demgegenüber fragen, ob nicht die Kirchen konstitutiv ebenso auf die Schrift bezogen sind wie Israel auf die Tora, wodurch die vermeintliche Differenz der Konstitutionsbedingungen relativiert würde. Die kritische Stimme des Judentums bringt F.-P. demgegenüber so zur Geltung, dass der Papst nicht der Einheitlichkeit der Kirche, sondern der »Einheit als Gemeinschaft« zu dienen habe (412), indem er dafür Sorge trage, »dass sich jede Perspektive gebührend einbringen kann« (445). Der Papst diene der Einheit der Kirche, indem er ihre Pluralität wahre und fördere (446).

In seinen Ausführungen zum Papstamt nähert sich F.-P. wieder dem Konzept eines differenzierten Konsenses an, indem er vorschlägt, dass alle Kirchen dem Bischof von Rom einen Ehrenprimat zuerkennen sollten, der das Recht einschließt, Konzilien einzuberufen, dort den Vorsitz zu führen und »in Krisenzeiten« die Einheit des Glaubens zu wahren (415; vgl. 448). Dieser »Pastoralprimat« des Papstes könnte von Katholiken als Auslegung der Dogmen des I. Vaticanum verstanden werden, ohne »von anderen Christen eine positive Rezeption diese[r] Dogm[en] zu verlangen.« (448) Obwohl eine solche Konzeption, die für die römische Kirche Reformpotential bietet, möglicherweise auch lutherische und vereinzelt reformierte Ökumeniker (in der Nachfolge Jean-Jacques von Allmens) überzeugen könnte, blendet sie das rasante Wachstum solcher Christentumstypen aus, die kongregationalistisch organisiert sind (Megachurches ebenso wie die Pfingstbewegung) – und gerade darin eine größere Nähe zum Judentum aufweisen (vgl. 394).

In der Logik der Arbeit läge es m. E. stattdessen zu fragen, ob nicht auch zwischen solchen Konfessionen, die sich zur Unfehlbarkeit und Jurisdiktionsgewalt des Papstes bekennen, und solchen, die auf Weltebene keine letztgültige Instanz kennen, aber auch kongregationalistisch organisierten ein Vertrauen wachsen kann, das in der jeweils anderen Form einen bereichernden Ausdruck der einen Kirche Jesu Christi erkennt. Dabei würde das Petrusamt der römisch-katholischen Kirche, wenn es sich in die von F.-P. vorgezeichnete Richtung entwickelt, gerade von den theologischen Einsichten und Organisationsformen der anderen Kirchen lernen. Entsprechend würde die Existenz eines zentralen Petrusamtes in der römischen Kirche die anderen Kirchen vor die Frage stellen, wie diese verhindern, dass die in ihnen gelebte Vielfalt zur Beliebigkeit verkommt.

Die Arbeit stellt einen bedeutenden Beitrag zur ökumenischen Theologie und zur innerkatholischen Diskussion um die rechte Ausgestaltung des Petrusamtes dar. Sie weist auf die Be­deutung der jüdischen Theologie(n) für den ökumenischen Dis­kurs hin und bringt deren hierarchiekritische Sicht fruchtbar in den innerkatholischen Diskurs ein. Man mag der Arbeit auf beiden Feldern Wirkung wünschen. Nicht zuletzt dokumentiert sie die Fruchtbarkeit des Theologischen Studienjahres Jerusalem, das Studierende für die Bedeutung ökumenischer Differenzen und die »grundlegende An­gewiesenheit des Christentums auf Israel« (79) sensibilisiert.