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Ausgabe:

Februar/2014

Spalte:

266–268

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Birmelé, André, u. Wolfgang Thönissen [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Johannes Calvin ökumenisch gelesen.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt; Paderborn: Bonifatius 2012. 245 S. Kart. EUR 26,90. ISBN 978-3-374-03019-4 (Evangelische Verlagsanstalt); 978-3-89710-483-9 (Bonifatius).

Rezensent:

Friedrich Weber

Dieses Buch ist nötig, um vorhandene Fehlurteile zu Johannes Calvins Theologie zu bearbeiten, es ist ökumenisch hilfreich, weil katholische Wissenschaftler ganz neue Zugänge zu Calvin entfalten, es stärkt die innerprotestantische Ökumene, weil Lutheraner ihresgleichen zeigen, dass die Reformation viele Namen trägt. Formal bietet der Band die Vorträge der Straßburger Konferenz von 2010 des Seminars für Reformierte Theologie an der Universität Münster, des Ökumenischen Instituts der Universität Bochum, des Instituts für Ökumenische Forschung des Lutherischen Weltbundes und des Johann-Adam-Möhler-Instituts in Paderborn zur Si­ cherung der Ergebnisse des Calvinjahres 2009. Indem sich reformierte Theologen neu mit der Theologie Calvins beschäftigen (Beintker, Plasger, Smit, Weinrich), finden Lutheraner (Birmelé, Dieter) und Katholiken (Faber, Neumann, Rahner, Thönissen) und Straßburger Theologen (Arnold, Vial) Stoff und Impulse, sich auf ihre Weise mit der Theologie des Reformators auseinanderzusetzen. Dabei ging es nicht um Fortentwicklung eines ökumenischen Konsenses, sondern darum, das »liegen gebliebene theologische Ge­spräch vergangener Jahrzehnte neu auszuloten«.

Indem Beintker Calvins Zuordnung von Rechtfertigung und Heiligung und ihre ökumenische Relevanz untersucht, beschreibt er zugleich das Potential, das Calvins Rechtfertigungslehre für ökumenische Lehrgespräche darstellt. Wichtig ist auch sein Hinweis darauf, dass es in der Kirche starke Tendenzen zu selbstausbeuterischem Engagement gebe und dass aus christlicher Sicht alle Verabsolutierungstendenzen der Arbeit kritisch betrachtet werden müssen. Neumann versteht die Rechtfertigungslehre als »soteriologische Interpretation der Christologie« und findet eine weitreichende Übereinstimmung zwischen der Christologie Calvins mit der der römisch-katholischen Kirche.

Arnold warnt zu Recht vor einer allzu schnellen Vereinnahmung Calvins als eines Vorkämpfers der Ökumene. Inwieweit dieses Urteil aus – so Arnold – Calvins ablehnenden Urteilen über die Versuche Melanchthons und Bucers, einen Kompromiss mit den Altgläubigen zu erreichen, abgeleitet werden kann, lässt sich mit Weinrichs Ausführungen zu dem Unionstheologen Calvin hinterfragen. Die Darstellung Calvins als ökumenischen Diplomaten für eine Union wird vertieft anhand der Bearbeitung der Auseinandersetzung Calvins mit Caroli und findet eine großartige Vergegenwärtigung im Blick auf das ökumenische Engagement Visser’t Hoofts, in dem Weinrich beide Dimensionen des ökumenischen Wollens Calvins wiederfindet: Drängen auf verbindliche und theologische Klarheit und pragmatische Suche nach Wegen »gedeihli­chen Zusammenlebens bei bleibenden Unterschieden«. Eindrucks­voll sind Thönissens Hinweise auf Calvins synthetisches Denken, das er in dessen empathischer Argumentationsfähigkeit entdeckt und das er auch im Verhältnis zur katholischen Theologie und Lehre geltend macht. Diskussionswürdig und provokant ist seine kritische Forderung, Struktur und Logik des synkategorematischen Ausdrucks solus in der evangelischen Theologie sorgfältiger zu entwickeln.

Birmelé geht von der Frage nach dem Verhältnis von Grund und Gestalt aus. Wenn der Bezug jeder Ekklesiologie der der Kirche ge­genüberstehende, nicht zu vereinnahmende Christus ist, so ist dies kein evangelisches Sonderbekenntnis, sondern – so zeigt Birmelé – ökumenischer Konsens. Über die Beschreibung der geglaubten Kirche und ihrer Gestalten – Birmelé kann sagen, dass »wir nicht an die Kirche glauben […] wir aber die Kirche glauben« – hält er mit Calvin fest, dass die geglaubte wahre Kirche nicht im Gegensatz zur sichtbaren Kirche gesehen werden dürfe. Hilfreich für die weitere ökumenische Arbeit sind dann noch die Hinweise Birmelés auf die vestigia ecclesiae, so z. B. in der Taufe. Könnte das nicht nahelegen, endlich ernsthaft an einer von der Taufe her entwickelten Ekklesiologie weiterzuarbeiten?

Drei Beiträge beschäftigen sich mit dem Thema »Amt« (Faber, Plasger und Vial). Spannend dabei sind die Differenzen zwischen den Darstellungen des reformierten Theologen Plasger und der katholischen Theologin Faber, deren Ergebnisse wiederum vom Straßburger Theologen Vial in ähnlicher Weise entwickelt werden. Die Tiefenbohrungen Fabers bringen Aspekte der Amtstheologie Calvins ins Gespräch, die auch die reformierte Auseinan­der­setzung mit dem Thema neu befruchten werden – so die Nähe im Verständnis des Dienstamtes bei Calvin und der ka­tholischen Ämterlehre. Wertvoll sind die ökumenischen Impulse und Herausforderungen, die Plasger in der Herausarbeitung von Funktionalität und Kollegialität als den entscheidenden Kategorien des Verständnisses vom gegliederten Amt bei Calvin identifiziert.

Wenn Smit seinen Beitrag zum Abendmahlsverständnis Calvins mit dem Untertitel »Calvins Verständnis von Eucharistie als ökumenisches Angebot?« versieht, im Abendmahls das Geschenk des lebendigen Christus selbst sieht, das durch »die Zeichen vom Geist allen gegeben wird, die kommunizieren, das durch den Glauben empfangen wird und das Dankbarkeit und dankbare Selbsthingabe hervorruft«, so fasst er damit die neuere Forschung zusammen. Deutlich wird, dass Calvins Beschreibung der Präsenz Christi ökumenisch anschlussfähig ist. Allerdings bemerkt er kritisch, dass sich viele reformierte Kirchen weit von Calvins Lehre entfernt hätten. Rahner fragt in ihrem Beitrag nach der Freiheit des Menschen hinsichtlich der Möglichkeit des Ankommens Gottes in der Sakramentstheologie Calvins. Nach ihrem Ansatz ist es die »Unwiderstehlichkeit der Liebe«, die die Freiheit des nun »Selbstliebenkönnens« schafft.

Im abschließenden Text resümiert Dieter, dass die Beiträge zeigen, »was für ein großes und bisher nur wenig genutztes ökumenisches Potenzial in der Theologie Calvins […] steckt.«

Dem ist nur hinzuzufügen, dass dieser Band in faszinierender Weise zeigt, welchen Beitrag gründliche theologische Arbeit für den Fortgang des ökumenischen Gesprächs leistet.