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Ausgabe:

Februar/2014

Spalte:

262–263

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schäfer, Daniel, Müller-Busch, Christof, u. Andreas Frewer[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Perspektiven zum Sterben. Auf dem Weg zu einer Ars moriendi nova?

Verlag:

Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2012. 201 S. m. 4 Tab. = Ars morienda nova, 2. Kart. EUR 39,00. ISBN 978-3-515-10189-9.

Rezensent:

Martina Plieth

In diesem von Daniel Schäfer, Christof Müller-Busch und Andreas Frewer verantworteten Sammelband geht es um die Herausbildung einer neuen Sterbekunst (Ars moriendi nova) und damit um die Frage nach einem sinnvollen Lebensende für Menschen in unserer Gesellschaft im Übergang zur Postmoderne.

Grundlegend im wahrsten Sinne des Wortes ist dabei der an den Anfang des Werkes gestellte konzise Einstiegsessay der Herausgeber, in dem der Ist-Zustand gegenwärtiger Sterbekultur (zentrale Stichworte: Säkularisierung, Liberalisierung, Individualisierung [Privatisierung], Pluralisierung, Ökonomisierung sowie Techni­sierung) kenntnisreich und präzise beschrieben und eine knappe, aber erhellende Analyse aktueller Umstände und Trends im Um­feld von Sterben und Tod geboten wird (zentrale Stichworte: Wissensvermittlung und Bewusstseinsbildung [mentale, visuelle, pädagogische und pragmatische] Sterbevorbereitung, aber auch Recht auf Nicht-Wissen und Nicht-Auseinandersetzung). Ihm folgen zunächst durchaus umfängliche Ausführungen aus den Bereichen Philosophie, Ethik, Geschichte, Psychologie, Soziologie, Recht und Medienwissenschaften zu geschichtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen heute stattfindenden Sterbens und dann kürzere Kommentare und Diskussionsbeiträge, in denen sich sachkundige Autoren und Autorinnen aus Theorie und Praxis direkt mit dem ihnen vorgegebenen Einstiegsessay auseinandersetzen.

Interdisziplinarität und Mehrperspektivität können vor diesem Hintergrund als Qualitätsmerkmale des gesamten Buches bezeichnet werden, und das ist fast so etwas wie eine Garantie für facetten- und abwechslungsreiche Lektüre, die auch dann nicht ermüdet, wenn (was durchaus häufiger der Fall ist) komplexe Ge­dankengänge mitzuvollziehen sind. Außerdem ist das publizierte Material insgesamt gesehen nicht nur von erfreulich hoher Fachlichkeit, sondern auch von beeindruckender Authentizität geprägt. Neben nüchtern dargestellten, aufschlussreichen Fakten finden sich an vielen Stellen engagierte und durchaus emotional gefärbte Stellungnahmen für oder gegen bestimmte Arten der Kultivierung von Sterbeprozessen; und auch Einblicke in tiefinnerlich-persönliches Erleben in konkreten Lebensende-Kontexten werden gewährt. Auf diese Weise ist ein vielschichtiges Ganzes entstanden, das sowohl als komplett durchzuarbeitendes Kompendium – also als orientierender Leitfaden – in der zunehmenden Unübersichtlichkeit der heutigen Kommunikation zum Thema Sterben/Sterbekultur zu verwenden ist als auch als Gedanken- und Ideenpool, dem schon durch selektive Lektüre einzelne Reflexionsanregungen entnommen werden können.

Unabhängig davon, für welche Art der Rezeption die Leser sich letztlich entscheiden, werden sie auf dem von Schäfer, Müller-Busch und Frewer sowie etlichen anderen gewiesenen Weg hin zu einer modernen bzw. postmodernen Ars moriendi auf jeden Fall neben vertrauten auch eine Vielzahl unbekannter und manchmal überraschender Perspektiven zum Sterben vermittelt bekommen. Sie können mit ihrer Hilfe sowohl die Unterschiede zwischen alter, zum Teil noch auf mittelalterlichen Einstellungen beruhender, und neuer Sterbekunst (z. B. den zwischen Jenseits- und Diesseitsorientierung oder den zwischen von außen verfügter Reglementierung und freier Selbstinszenierung bzw. unkritischem und kritischem Umgang mit bestimmten Sterbe-Imaginationen und -[Vor-]Bildern) sehr klar erfassen als auch wahrnehmen, dass und warum es in Zukunft immer wichtiger wird, eine Ars bene moriendi im Sinne einer Ars bene vivendi auszubilden und zu erhalten. Insbesondere im Blick auf Letzteres ist es wichtig anzumerken, dass es dabei keineswegs um ein Plädoyer für eine Lebensoptimierung um jeden Preis, sondern um eine wohl abgewogene Ermutigung zu einem positiv-unterstützenden Eintreten für Lebensschutz am Lebensende geht.

Zu einer solchen gehört auch der Aufruf zu gewissen Verzichtsleistungen wie z. B. der Aufgabe einer einseitigen Orientierung am ständigen Nochmehr zugunsten einer um­sichtigen Ausrichtung auf ein überzeugtes Genug. Damit ist eine kluge, das heißt lebenspraktische Auseinandersetzung mit sich auf den Tod zubewegendem Leben gemeint, die nicht ohne Not abgekürzt werden sollte. Zu ihr gehören maßgeblich solche elementaren Tu­genden wie die der Hochschätzung eigenen und fremden Lebens, der weisen Differenzierung zwischen wichtigen und unwichtigen Dingen und der Solidarität mit Hilfsbedürftigen. Wer mehr und Detaillierteres über deren Bedeutung für die Entwicklung und Förderung einer neuen Sterbekunst erfahren möchte, tut gut daran, sich mit diesem Sammelband zu befassen.