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Ausgabe:

Februar/2014

Spalte:

251–252

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Reitz, Daniela

Titel/Untertitel:

Wunschkinder. Präimplantationsdiagnostik aus der Perspektive der Prinzipienethik und der feministischen Ethik.

Verlag:

Göttingen: Edition Ruprecht 2011. 227 S. = Edition Ethik, 8. Geb. EUR 34,90. ISBN 978-3-7675-7139-6.

Rezensent:

Friedemann Voigt

Die feministische Ethik hat in den letzten Jahrzehnten den (bio-) ethischen Debatten wichtige Impulse verliehen. Diese bestanden zunächst in der Betonung der Selbstbestimmung der Frau, die in den 1960/70er Jahren geltend gemacht wurde. Mit den Untersuchungen Carol Gilligans zu einer weiblichen Ethik der Fürsorge (Care-Ethik) ist dann ein weiterer Aspekt feministischer Theorie wichtig geworden. Die anfangs noch stereotyp erscheinende Unterscheidung von männlicher Konflikt- und weiblicher Beziehungsorientierung musste dazu in einer den Feminismus transzendierenden Gender-Theorie von ihrem Schematismus befreit werden, um zur Beschreibung der ethischen Problemlage etwa bei Schwangerschaftsabbruch und Präimplantationsdiagnostik neue, »kontextsensitive« Perspektiven zu gewinnen. Diese sind von großer, in den Debatten noch nicht ausgeschöpfter Bedeutung. Es macht einen entscheidenden Unterschied, ob die Präimplantationsdiagnostik (PID) als ein Instrument beschrieben wird, das zum Austrag konkurrierender Lebensrechte von Eltern und Kind benutzt wird, die sich gleichsam fremd gegenüberstehen, oder ob sie als ein Medium aufgefasst wird, das zu einer verantwortlichen Wahrnehmung von Elternschaft genutzt werden kann. In der Me­dizinethik spielt die Vermittlung dieser prinzipienethischen und kontextualisierenden Elemente eine zentrale Rolle.

Mit ihrer Dissertation hat die Gynäkologin und Medizinethikerin Daniela Reitz eine Untersuchung vorgelegt, welche die femi­-nis­tische Bioethik darstellt und auf anwendungsorientierte Fragen der PID hin in Anschlag bringt. Zunächst ausgehend von dem ethischen Ansatz von Beauchamp und Childress und der Darstellung der wohlbekannten Prinzipien von Autonomie, Nichtschaden, Wohltun und Gerechtigkeit stellt R. die Konzeption der kanadischen Medizinethikerin Susan Sherwin ausführlich dar. Sherwin hält am Prinzip der Autonomie fest, legt aber einen Akzent auf die sozialen Bedingungen, welche die Fähigkeit zur Selbstbestimmung fördern bzw. behindern. So steht ihr Konzept von Autonomie in engem Zusammenhang mit einer Theorie der gesellschaftlichen Gerechtigkeit. Als zentrales Motiv Sherwins ermittelt R. die »Befreiung von Unterdrückung«. Bei ihr wird die PID daher unter dem Gesichtspunkt betrachtet, inwiefern sie als Machtinstrument gesellschaftlicher Repression der Frau anzusehen ist, welches die Selbstbestimmung der Frau gegenüber dem ärztlichen Handeln zurückdrängt und die Frau auf die Rolle der Gebärenden festschreibt. Sherwin gelangt zu einer zögerlichen Bejahung der PID, die letztlich doch als Instrument weiblicher Selbstbestimmung bewertet wird. Bei den ihr nahestehenden deutschen Bioethikerinnen wie Regine Kollek, Sigrid Graumann und Hille Haker wird die PID hingegen mit der Begründung abgelehnt, durch sie werde nicht nur das Lebensrecht von Embryonen verletzt und es erfolge ein Dammbruch zur Diskriminierung behinderter Menschen, sondern durch sie würden Frauen repressive Handlungszwänge auferlegt. Die Geschmeidigkeit, mit der etwa bei Haker feministische und katholisch lehramtliche Positionen in der Ablehnung der PID zu­sam­mengehen, hätte durchaus Anlass sein können, Fragen nach den darin wirkenden Machtverhältnissen zu stellen. Von der Ärztin R. werden die Thesen von der Repressivität der modernen Medizin al­lerdings ohne eindringlichere Kritik übernommen. Sie selbst stimmt schließlich wie Sherwin der PID zu, will aber den Begriff der medizinethischen Kontextsensitivität (im Sinne von Tanja Krones und Gerd Richter, in deren Umfeld die Arbeit entstanden ist) über die betroffenen Paare auf die gesellschaftlichen »Strukturen von Dominanz und Unterdrückung« er­weitert wissen. So gelingt es ihr allerdings nicht, die Kluft zu schließen, die sie zwischen der am ärztlichen Handeln orientierten Prinzipienethik von Beauchamp und Childress einerseits und einer auf »die Gesellschaft« zielenden feministischen Gerechtigkeitstheorie andererseits aufreißt.

Die Arbeit leistet dennoch einen wichtigen Beitrag zur Er­schließung und Präsentation feministischer Ethik in der gegenwärtigen medizinethischen Debatte. Die weitgehende Ausblendung der gen­dertheoretischen Anfrage an den Feminismus, die Macht- und Ex­klusionsstrategien der eigenen Konstruktion zu reflektieren, führt allerdings zu einer recht eingeschränkten Wahrnehmung der ethischen Problemlage. Erst wenn das erfolgt, können die wichtigen gendertheoretischen Potentiale für die bioethischen Debatten entbunden werden, während sich der deutschsprachige Feminis­mus in einer medizin- und technikkritischen Attitüde zu erschöpfen droht.