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Ausgabe:

Februar/2014

Spalte:

249–251

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Chatterjee, Deen K. [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Ethics of Preventive War.

Verlag:

Cambridge: Cambridge University Press 2013. 280 S. Kart. £ 17,99. ISBN 978-0-521-15478-9.

Rezensent:

Volker Stümke

Angewandte Ethik ist wichtig, weil es immer mehr konkrete Problemfelder gibt, die nur angemessen erfasst und ethisch beurteilt werden können, wenn die moralischen und die jeweiligen Fachexpertisen zusammengebracht und austariert werden. So ist für das Bedenken politischer Ethik eine Einbeziehung des Militärs erforderlich. Doch herrscht im deutschsprachigen Raum merkliche Zurückhaltung gegenüber einer »Militärethik«, aufgrund fehlender personaler Verbindungen zwischen Ethikern und Offizieren, doch noch mehr wegen der Vorbehalte gegenüber dem je anderen Gebiet und dessen Denkungsart. Wie solche militärethischen Dis­kurse aussehen können, zeigt diese von dem US-amerikanischen Rechtsphilosophen Chatterjee herausgegebene Aufsatzsammlung, in der zumeist US-Amerikaner, aber auch Briten und Australier veröffentlicht haben.

Die Debatte über die Legitimität von Präventivkriegen knüpft an die Unterscheidung von präventiven und präemptiven Kriegen an, die seit 2002 durch die NSS (Nationale Sicherheitsstrategie der USA) allgemein bekannt geworden ist. Während der Präventivkrieg eindeutig verboten sei, solle das für präemptive militärische Maßnahmen nicht gelten, sofern die Bedrohung zeitlich und räumlich unmittelbar (imminent and immediate) gegeben sei. Das erste Kapitel des Buches beschreibt aktuelle politische Herausforderungen, die sowohl diese Differenzierung wie die darin implizierte Aufweichung des Verbots plausibilisieren sollen. Für Jean Bethke Elshtain gehört der Präventivkrieg zur Souveränität vor allem des mächtigen Staates, so dass es nur darum gehen könne, solche Kriege zu begrenzen. Sie empfiehlt drei Kriterien: Nur wenn es keine vernünftige Alternative gebe, wenn es sich nicht um einen nationalen Alleingang handele und wenn es die Ausnahme bleibe, sei ein Präventivschlag akzeptabel. Chris Brown stimmt diesen Kriterien zu und George Lucas, Jr. assistiert, indem er festhält, dass die traditionelle Lehre vom gerechten Krieg kein Rechtsdokument, sondern ein Diskurs sei, der um die neuen post-Westfälischen Konditionen ergänzt und dementsprechend modifiziert werden müsse. In diesen Beiträgen dominiert der politische Realismus in der Perspektive eines mächtigen Staates. Moralische Bedenken sind bestenfalls relevant für die Urteilsbildung des politischen Herrschers, aber keinesfalls bindende Vorgaben.

Das zweite Kapitel soll demgegenüber den rechtlichen Rahmen darlegen. Michael Blake eröffnet die Analyse, indem er zunächst das völkerrechtliche Verbot des Präventivkrieges darlegt, dann aber fragt, wie sich ein Staat verhalten solle, der moralisch meint, dennoch kämpfen zu sollen. Weder der deontologische Verweis auf die Achtung des internationalen Rechtssystems noch der teleologische Rekurs auf die Gefahr einer instabilen Welt könnten sich gegen dieses moralische Gefühl durchsetzen, so dass nur der pragmatische Hinweis bleibe, man möge zuvor die Faktenlage klar eruiert und sich um Verbündete bemüht haben, bevor man einen Präventivkrieg beginne. Nachdem Richard Falk diplomatische Drohgebärden aufgelistet hat, greift Larry May wieder auf die traditionelle Lehre zurück und hält fest, dass der Präventivkrieg schon in der frühen Neuzeit ethisch umstritten war. Während Gentili ihn akzeptiert habe, kritisiere Grotius, dass die Furcht vor einem Angriff keine rechtlich akzeptable Größe sei. Daher habe das Völkerrecht als Kompromiss nur den Präemptivkrieg akzeptiert. Nunmehr diskutiert er, wer feststellen könne, ob es sich bei einem Krieg um eine präventive oder eine präemptive Maßnahme handele, und verweist auf den Internationalen Strafgerichtshof. Insgesamt bleiben die Darlegungen des Völkerrechts im zweiten Kapitel aber blass, weil sie wiederum dominiert werden vom politischen Realismus, der festhält, dass dieses Recht nicht durchsetzungsstark sei, so dass eine »coalition of the willing« erfolgversprechender sei.

Im dritten Kapitel kommen kritische Stimmen zu Wort. Jeff McMahan blickt auf die betroffenen Personen und hält dementsprechend fest, dass ein Präventivkrieg die absichtliche Tötung Unschuldiger bedeute und damit moralisch inakzeptabel sei – zumindest soweit Zivilisten betroffen sind. Mit Blick auf Soldaten konzediert er, dass sie ein höheres Risiko tragen müssten; sie dürften also bei einem Präemptivkrieg getötet werden, sofern dieser Krieg (als Reaktion auf eine unmittelbare Bedrohung) gerecht wäre, weil sie als Berufsgruppe zu dieser Bedrohungslage beitrügen. Stephen Nathanson plädiert für die Beibehaltung der klassischen Kriterien des gerechten Krieges und gegen deren Fokussierung allein auf die causa iusta, nämlich Verteidigung, wie sie bei Michael Walzer vorliege. Gerade mit Blick auf den Präventivkrieg komme Walzer in Schwierigkeiten, sofern er einer präemptiven Gewaltanwendung nicht mehr widersprechen könnte – sie sei schließlich eine Form der Verteidigung und erfülle damit die (einzig übriggebliebene) Bedingung für einen gerechten Krieg. Die klassische Lehre hingegen rekurriere auf fünf weitere Kriterien, von denen insbesondere das Merkmal der ultima ratio zunächst einmal gegen jede Form eines Erstschlags spräche. Allerdings müsse dieses Kriterium nunmehr abgeglichen werden mit der Pflichtenkollision zwischen dem Recht auf Selbstverteidigung einerseits und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit andererseits: Wann hat welches Recht die Priorität? Hier helfe die Lehre vom gerechten Krieg nicht weiter, weil sie nur frage, ob militärische Gewalt legitim sei, nicht aber einbeziehe, welche anderen Mittel zur Verfügung stünden, um diesen Rechten Geltung zu verschaffen. Genau dies leiste der Regel-utilitarismus, indem er unterschiedliche Mittel prüfe und so präziser bestimme, wann militärische Gewalt das letzte Mittel (also ultima ratio) sei. Alex Newton kritisiert Voten für den Präventivkrieg, indem er die aktuelle Situation im Iran analysiert und mit dem Krieg 2003 gegen den Irak vergleicht. Beide Male müsse man kriegerische Gewalt als Erstschlag gegen eine vermutliche nukleare Aufrüstung ablehnen. Dieses Kapitel birgt sehr interessante und weiterführende Impulse. Selbst wenn McMahans Vorliebe für Analogieschlüsse gewöhnungsbedürftig ist, so wird deutlich, wie in einer Militärethik die Moralphilosophie sich Geltung verschaffen kann. Und Nathansons Plädoyer für den Regelutilitarismus zur Präzisierung der ultima ratio ist schlicht überzeugend.

Das vierte und letzte Kapitel erweitert den Horizont, indem neben die Lehre vom gerechten Krieg die Aspekte des Friedens und der Sicherheit gestellt werden. Tony Coady kritisiert die schleichende Rechtfertigung von Präventivkriegen. Zwar gebe es Terrorismus, humanitäre Katastrophen und die Proliferation von Massenvernichtungswaffen, aber es müssten andere Wege gegen diese Bedrohungen gefunden werden als der Rückgriff auf militärische Gewalt. Um solche Wege zu erkennen, schlägt Deen Chatterjee den Paradigmenwechsel vom gerechten Krieg zum gerechten Frieden vor, den beide großen Kirchen in Deutschland ebenfalls fordern. Präventive Maßnahmen seien sehr wichtig, sie sollten jedoch auf Demokratisierung, Bekämpfung der Armut und Umsetzung der Menschenrechte gerichtet sein. Damit schlagen die beiden letzten Beiträge vertraute Töne für deutsche Ohren an, deren Klang aber auf dem Hintergrund der hier präsentierten angloamerikanischen Debatten neue Anregungen evoziert.