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Ausgabe:

Februar/2014

Spalte:

244–245

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Küster, Volker

Titel/Untertitel:

A Protestant Theology of Passion. Korean Minjung Theology Revisited.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2010. XX, 209 S. m. Abb. u. Ktn. = Studies in Systematic Theology, 4. Geb. EUR 94,00. ISBN 978-90-04-17523-5.

Rezensent:

Christine Lienemann-Perrin

In der Publikation werden Texte leicht revidiert wieder abgedruckt, die Volker Küster zwischen 1994 und 2005 auf Deutsch oder Englisch veröffentlicht hat. Der umfangreichste Teil (Kapitel 3 bis 10) ist dem Buch Theologie im Kontext. Zugleich ein Versuch über die Minjung-Theologie (1995) entnommen. K. ist der südkoreanischen Minjung-Theologie seit Langem eng verbunden. Erstmals hat er sich 1987/88 während der entscheidenden Transition von der »Entwicklungsdiktatur« zur Demokratie in Südkorea aufgehalten. Seit 2003 besucht er das Land häufig. Wichtig sind diese Ortsbesuche zum einen, weil sich die gesamtgesellschaftliche Situation seit Ende der 1980er Jahre stark verändert, zum andern, weil Minjung-Theologie sich nicht allein im Modus akademischer Texte niederschlägt, sondern fließende Übergänge zu bildender Kunst, Poesie, Tanz, mündlichen Erzählungen und Musik aufweist. Während K. sich zunächst eher mit schriftlichen Quellen befasst hat, basieren seine späteren Texte vor allem auf Interpretationen minjung-theo­logisch inspirierter Künstler, deren Werke im Anhang abgebildet sind (168–209).

Im Prolog führt K. in die Kennzeichen kontextueller Theologie ein, der er auch die Minjung-Theologie als eine protestantische Variante der Befreiungstheologie zurechnet. Nach Hinweisen auf den gesellschaftlichen Kontext des minjung-theologischen Paradigmas erörtert er im 2. Kapitel dessen Schlüsselthemen im Spiegel der Minjung-Kunst. Im Zentrum steht das Leiden (koreanisch: han) des unterdrückten und verachteten Volkes (koreanisch: minjung), das mit Jesu Lebensweg und seinem Leiden am Kreuz »zusammenfließt«. Den Hauptteil des Buches bilden biographisch-theologische Porträts von vier Minjung-Theologen der ersten Generation, die während ihres akademischen Wirkens Bibelwissenschaft, Missionswissenschaft und Systematische Theologie bzw. Ethik vertreten, dann aber die etablierten Fachdisziplinen hinter sich gelassen und neue Formen und Inhalte des Lehrens und Forschens erkundet haben: Ahn Byung-Mu, Suh Nam-Dong, Hyun Young-Hak und Kim Yong-Bock. Als fünftes Beispiel wird die seit 1996 in New York lehrende Theologin Chung Hyun-Kyung porträtiert. Das anschließende 9. Kapitel befasst sich mit der Rezeption der Minjung-Theo logie und kontroversen Diskussionen, die während der 1980er und der frühen 1990er Jahre in verschiedenen Ländern und Kontinenten über sie geführt worden sind. Die Resonanz, die sie auch in der or­ganisierten Ökumene gefunden hat, kommt ebenfalls zur Sprache.

Was ist seitdem aus der Minjung-Theologie geworden? Dieser Frage widmet K. das 10. Kapitel. Sie ist für ihn und alle, die kein Koreanisch lesen können, schwer zu beantworten, weil minjung-theologische Literatur nur noch sehr selten in europäische Sprachen übersetzt wird. K. beobachtet einen Wandel der Themenfelder, mit denen sich die drei Generationen von Minjung-Theologen hauptsächlich befasst haben: Volk & Christus – (Minjung-)Kirche & Ökologie – Leben & Kultur/Kunst. Im Blick auf die dritte Theologengeneration befasst sich K. im Detail nur mit den neueren Ent wicklungen in der Kunstszene. Politische Themen treten bei Künstlern seit den späten 1990er Jahren deutlich in den Hintergrund – mit Ausnahme von Hong Song-Dam, der im demokra­-tischen Südkorea grausame Gefängnis- und Foltererfahrungen ge­macht und sich in seinem Werk als Therapieversuch damit auseinandergesetzt hat (140 f. mit Abb. 37–39). Im Fokus stehen ansonsten Alltagsszenen, Naturdarstellungen sowie religiös-kulturelle Themen. Etliche radikale politische Künstler wie Lee Chul-Soo sind nach der politischen Wende aufs Land gezogen und betreiben ökologische Landwirtschaft. Der Eindruck eines Rückzugs der Künstler aus dem öffentlichen Raum liegt nahe. Während K. sich eingehend für die veränderten Kultur- und Kunstszenen interessiert, bleibt die Frage nach der Rolle von (Minjung-)Theologie und Kir che in der entscheidenden gesellschaftlichen Konsolidierungs­phase, die dem Übergang zur Rechtsstaatlichkeit und Demokratie gefolgt ist und bis heute andauert, weitgehend ausgeblendet. Der Epilog endet etwas ratlos mit dem Hinweis auf den offenen, fließenden und ambivalenten Charakter kontextueller Theologien.

K.s Buch ist eine kenntnisreiche Darstellung der Minjung-Theo­logie und ihrer Autoren. Sie eignet sich – z. B. im Vorfeld der diesjährigen Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen im südkoreanischen Busan – als kompetente Einführung in den ge­sellschaftlichen Kontext, in dem sie zur Entfaltung gebracht worden ist. Kenner der Minjung-Theologie und ihrer Entwicklung bis Mitte der 1990er Jahre werden vom Buch eher enttäuscht sein, weil sie über deren Rolle und Entwicklung unter den gesellschaftlichen Bedingungen Südkoreas während der letzten 20 Jahre – abgesehen von der Kunstszene – nur am Rande informiert werden.