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Ausgabe:

Februar/2014

Spalte:

237–239

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Janke, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Wiedereinführung in die Philosophie. Platonismus – Nihilismus – Eksistentialontologie.

Verlag:

Würzburg: Kö­nigshausen & Neumann 2013. 306 S. Geb. EUR 38,00. ISBN 978-3-8260-5119-7.

Rezensent:

Philipp David

Staunen steht der Figur ins Gesicht geschrieben: Mit weit geöffneten Augen blickt die Bronzeplastik von Gerhard Marcks den Leser vom Umschlag eines philosophischen Entwurfs an, der nichts Geringes für sich beansprucht als eine »neue Ontologie« zu sein. Vorgelegt hat ihn Wolfgang Janke. Der im Jahre 1928 geborene Philosoph, Ehrenpräsident der Internationalen Fichte-Gesellschaft und TRE-Fachherausgeber für Philosophie, lehrte an den Universitäten Rochester, N. Y. (USA), Köln und Wuppertal.

Hervorzuheben sind seine Studien zu Fichtes Spätphilosophie (1993) und über »Die dreifache Vollendung des Deutschen Idealismus« (2009), aber auch seine Rückbesinnung auf die Sprachwelten der Dichtungen von Pindar, Hölderlin und Rilke (2005) sowie Platos »Antike Theologien des Staunens« (2007), deren gegenwärtige Bedeutung er nicht nur einfach wiederholt, sondern im Horizont der »Sinnkrise unseres gegenwärtigen Zeitalters« (2011) neu einholt und nach den antimetaphysischen Wendungen von Nietzsches Proklamation des »Todes Gottes« und Heideggers Verkündigung des »Endes der Philosophie« in eine »Wiedereinführung in die ›überwundene‹ Erste Philosophie (Metaphysik)« (13) einmünden lässt. Auch der Leser reibt sich verwundert die Augen und staunt nicht schlecht. Doch das ist gut so, denn er wird mitgenommen auf einen Weg, der ihm die Augen öffnet für einen neuen Blick auf die Geschichte der abendländischen Philosophie und ihrer heillosen Verstrickung in die politischen und humanitären Katastrophen des 20. Jh.s.

Im Rückgang (19–35) auf die antiken Bestimmungen von Philosophie als »Liebe-zur und Suchen-nach Weisheit« meldet sich der platonische Vorbehalt, dass absolutes Wissen (Hegel) nicht erreichbar sei, klärt J. auf über das Staunen (thaumázein) als den durchherrschenden und sich immer mit vollziehenden Anfangsgrund platonischen Philosophierens, erinnert er an sokratische Weisungen und ihre lange Rezeptionsgeschichte, sich im Philosophieren ins Sterben und Totsein einzuüben und eine Angleichung an Gott anzustreben. In Nietzsches antiplatonischer »Kunst des Misstrauens« ist eine »Umwertung aller Werte« vorgenommen, an deren Ende der Untergang der Metaphysik und der Übergang zu pseudowissenschaftlichen Weltanschauungen der Unmenschlichkeit stehen. Auf diese Weise erzählt J. (Irr-)Wege der Philosophie nach, die in den totalitären Weltanschauungen ihren mörderischen und menschenverachtenden Ausdruck gefunden haben (Teil I: Beachtung von Zerstörung und Verfall der abendländischen Philoso-phie. Platonismus – Nihilismus – Weltanschauung). Diese »Riesenschlacht« um die Seinsfrage (Bestimmt das Bewusstsein das Sein oder das Sein das Bewusstsein?) zwischen Ideen- und Materiefreunden ist in Platos Dialog »Sophistes« präludiert und durchzieht die weitere Philosophiegeschichte als einen weltanschaulichen Verfall in die nationalsozialistische Ideologie und im Weg des dialektischen Materialismus zur totalitären Weltanschauung (Engels, Marx, Lenin, Stalin). Vor dem Hintergrund dieser tiefsten Krise in der Geschichte der abendländischen Philosophie (89) kommt J. zu dem Schluss, die Seinsfrage der Ersten Philosophie postnihilistisch grundlegend neu zu fassen. (68) Dazu dienen die drei folgenden Teile des Buches:

In Teil II (Wiederaufnahme philosophischer Präzisierungen. Erste Philosophie – Ontologie – Kategorienlehre) geht es ihm um eine Analyse, »welche die zu heilenden Nihilierungen und Ent-stellungen der Ersten Philosophie diagnostiziert« (89), um darauf aufbauend mittels des Methodenweges einer Restituierung »die Erforschung des ursprünglichen und wesenhaften Seins auf neuem Grund wiederherzustellen (in integrum restituere).« (89) Dabei macht er nicht Halt davor, »bedenkliche Präzisierungen aufzu­decken, welche die Platonische Philosophie selber vollzieht.« (90) Dazu gehört auch der folgenreiche Epochenwechsel im abendländischen Denken vom Mythos zum Logos, der archaische Weisheit abgeblendet hat. (93) Der Aristotelische Primat der Ersten Philosophie, die Aufstellung und Herstellung von Kategorien (120–136) sowie der Aufstieg der Einzelwissenschaften haben diesen Graben weiter vertieft und durch Seinspräzisierungen zur grundlegenden Verwissenschaftlichung der Welt beigetragen: »unsere präzisierte Welt ist wissenschaftsgläubig verwissenschaftlicht.« (103) Die Me­tapher der praecisio mundi et entis dient J. auch hier, wie in den vorangegangenen Werken, als hermeneutischer Schlüssel, um einen weltgeschichtlichen Vorgang einsichtig aufzuschließen. Sie bezeichnet das Abschneiden (praecidere) von Seinsverständnissen, die nicht den wissenschaftlich-positivistischen Idealen der Berechenbarkeit, Beherrschbarkeit und Exaktheit entsprechen. Dieser heillose Vorgang einer abendländischen Präzisierungsgeschichte verstümmelt die Vielbezüglichkeit menschlichen Seinsverständnisses (90), die ursprünglich in der vielfachen Sprachgestaltung der Welt als angemessener Ausdruck angelegt war. So nimmt es nicht wunder, dass am Ende des Werkes sprachphilosophische Restituierungen stehen (257–280), die den Streit zwischen den vier Sprachgestalten (Mythos, Logos, Lexis, Poiesis) zu schlichten suchen.

In Teil III (Durchgang durch Umkehrwege. Existentialismus – Fundamentalontologie – Ereignisfügung) wird Sartres atheis­-tischer Existentialismus in seinem scheiternden Verfallen an die marxistische Weltanschauung nachgezeichnet und Heideggers Fundamentalontologie von »Sein und Zeit« sowie sein Bedenken des »Seyns-Ereignisses« in den »Beiträgen zur Philosophie: Vom Ereignis« hellsichtiger Durchsicht unterzogen, um schließlich die Kehren von Heideggers Denkwegen und Seinsverstehen hinter sich zu lassen, die im dunklen Ungesagten und Unwegsamen einsam stecken bleiben.

Mit »Einführungen in die Restitutionsphilosophie« (Teil IV) wird nun ein eigener Weg angebahnt, der »auf einen neuen An­fangsgrund der alten Seinsfrage aus« ist und den »ungewohnten Titel einer [eksistentialen] Hyparchelogie« (191) annimmt, die den Zwist um die Vorrangstellung von essentia oder existentia zu überwinden sucht und in der Rede von der Ec-sistentia, die die Sonderstellung der Seinsoffenheit des Menschen betont, auch in der Lage ist, hinter moderne Existenzphilosophien (»L’existence précède l’essence.«) zurückzugehen. Denn der »Mensch ist das einzige Seiende, welches ec-sistiert, d. h. über sich und sein In-der-Welt-sein hinausragt« (193). Um diesen Vorrang zu verdeutlichen, wendet sich J. auf neue Weise den alten Fragen zu: nach der Wahrheit (Komplementäre Alethelogie), den Kategorien (Eksistentiale Kate­-gorienlehre), nach Sein und Haben (Restitutive Ktematologie), Leiden (Eksistentiale Pathologie), Zeit (Chronologie), Raum (Topologie), Fügung und Schicksal (Tychologie) und abschließend der Sprache (Glossologie).

Dass es sich nicht um eine romantische oder mythische Restauration handelt, zeigt die Umsicht dieses restitutiven Entwurfs, der sich der Brüchigkeit von Welt und Sprache bewusst ist, wenn er zu Recht daran erinnert, in welcher Gefahr sich menschliche Sprache zwischen Verführungsgewalt und Orientierungsleistung immer wieder neu befindet. Nicht zuletzt hat ein (Wieder-)Einlassen auf die vielfache Sprachgestaltung der Welt auch für eine religiöse Sprache Vorzüge, wenn ihr nach religions- und sprachkritischen sowie wissenschaftsgläubigen Abschreibungen wieder ein Eigenrecht eingeräumt würde. Zugleich müsste solch eine restituierte religiöse Sprache in der Lage sein, ihren eigenen Anspruch zu relativieren, um sich als einen möglichen Zugang zur Welt und (eksis­tentiellen) Wahrheit zu verstehen, der auch ohne Ressentiments offen lassen kann, ob er einen angeht oder eben nicht.

Ob dieses Werk auch andere als die absonderlich »Zukünftigen« Heideggers (188) erreicht, bleibt abzuwarten, wäre aber mehr als wünschenswert. Denn selten hat das gegenwärtige Bedürfnis des Menschen nach Antworten auf unausweichliche (metaphy­sische) Seinsfragen (15.16) solch gleichermaßen intellektuell wie existentiell anregende philosophische Gedankenwelten vor Augen geführt be­kommen. Waren es einst beim doctor universalis Albertus Magnus, den die Bronzeplastik vor den Toren der Kölner Universität darstellt, die Vorstellungen des Aristoteles, so sind es jetzt die Platos, die zu einer Neuformulierung der Metaphysik restituiert wurden. Wie auch immer die offene Seinsfrage weiter verhandelt wird, es wird unsere Sprache verraten und offenlegen, was uns wirklich be­troffen macht, denn: »Philosophieren nach Auschwitz ist niemals mehr ein folgenloses intellektuelles Spiel mit hochabstrakten Be­griffen in Vorspiegelung abstrakten Tiefsinns. Es ist Ernst, es geht um leidenschaftliche Entscheidungen über Sein und Nichtsein un­seres Existierens in einer menschlichen Welt.« (16)