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Ausgabe:

Februar/2014

Spalte:

228–233

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Schmidt-Biggemann, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Geschichte der christlichen Kabbala. 3 Bde.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2012–2013. Bd. 1: 15. und 16. Jahrhundert. 2012. XIV, 699 S. = Clavis Pansophiae, 10/1. Lw. EUR 128,00. ISBN 978-3-7728-2569-9. Bd. 2: 1600–1660. Hrsg. v. Ch. Lohr u. W. Schmidt-Biggemann. 2013. XIV, 383 S. m. 18 Abb. = Clavis Pansophiae, 10/2. Lw. EUR 88,00. ISBN 978-3-7728-2570-5. Bd. 3: 1660–1850. Hrsg. v. Ch. Lohr u. W. Schmidt-Biggemann. 2013. XVI, 440 S. m. 2 Tfn. = Clavis Pansophiae, 10/3. Lw. EUR 98,00. ISBN 978-3-7728-2571-2.

Rezensent:

Walter Sparn

Zu den wissensgeschichtlichen Vorgängen, die man aufklärerisch und aufklärungskritisch zugleich nennen darf, gehört die Wiederentdeckung der christlichen Kabbala: aufklärungskritisch, weil die Befassung mit ihr dem Verdikt der Aufklärung des 18. Jh.s (und ihrer positivistischen Erben bis heute) widerspricht, es handle sich um abergläubische Nicht-Wissenschaft; aufklärerisch, weil die erneute Lektüre der Quellen eine »Rettung« von Autoren darstellt, deren Anspruch auf Vernunft und Wissen ernst genommen wird. Es zeigt sich, dass die christliche Kabbala in allen Ausformungen in der Frühen Neuzeit zum (affirmierten oder kritisierten) »Kern des europäischen Denkens« (Bd. 1, 1) gehörte. Das ist die These von Wilhelm Schmidt-Biggemann, dessen Opus magnum seine Forschungen zur Philosophie und Theologie der Renaissance und des Barock krönt.

Der Vf. will zeigen, dass es zwischen 1450 und 1750 »eine mehr oder minder kanonische Gruppe christlicher Kabbalisten« (Bd. 1, 7) gab, verbunden durch das Projekt einer spekulativen, aber im Rahmen der christlichen Heilsgeschichte stehenden Philosophie und durch eine spezifische Methode: Sie verbindet eine allegorisierende »spekulative Philologie« vor allem der Heiligen Schrift mit dem patristischen, in der Renaissance intensivierten und um jüdische Kabbala erweiterten Komplex neuplatonischer Logoskonzeption, pythagoräischer Numerologie und hermetischer Topoi. Das Ergebnis ist eine theogonische Fassung der Trinitäts- und Schöpfungslehre, der johanneischen Christologie und einer origenistischen Eschatologie: Die Rekonstruktion der paradiesischen lingua Adamica mit allegorischen und kabbalistischen Techniken wie der Gematria dient der Wiedergewinnung ihres universalen Wissens und ihrer schöpferischen Kraft (Gen 2,18) und beschleunigt so die Wiederkunft des in Jesus fleischgewordenen Logos und die Vollendung der Welt, gereinigt von Materialität und Bösem (Dan 12,4). So die Einleitung, die den Leser fordert, aber auch neugierig macht (1–37). Die Lektüre der schwierigen Materie wird erleichtert durch den Stil des Vf.s, die weitgehende Abwesenheit von Druckfehlern (einige Unstimmigkeiten bei Zahlen und Titeln sind stehen geblieben), genaue Inhaltsverzeichnisse, Transkription der hebräischen Buchstaben und Verzeichnisse der Namen und Bibelstellen.

Kapitel 1 (38–69) setzt ein mit der Theologie des göttlichen Na­mens bei Maimonides und der des Namens Jesu bei Bernhardin von Siena und Nikolaus von Kues, der das Tetragramm und die pythagoräische Tetraktys integriert: Mit »Jesus« kann der Gottesname in trinitarisch voller Bedeutung ausgesprochen werden. Die neuplatonische Dialektik des Einen und des Ersten Grundes als möglich und wirklich zugleich (possest) wird eine zentrale Figur negativer Theologie sein (38–69). Kapitel 2 (70–130) erläutert das universalwissenschaftliche Konzept Pico della Mirandolas, seine Rezeption jü­-discher Kabbala und seine Platzierung der christlichen Kabbala in der Heilsgeschichte seit der Offenbarung an Adam. Der Vf. situiert, auch in den folgenden Kapiteln, die Doxographie biographisch und prüft die (zum Teil intrikate) Quellenlage.

Pico wird als Begründer der christlichen Kabbala gewürdigt, Johannes Reuchlin in Kapitel 3 (131–207) als ihr Begründer als hebraistisch kompetenter Disziplin im Rahmen der philosophia perennis, dem Synkretismus griechischer, jüdischer und christlicher Weisheit, und als Kämpfer für ihre christliche Orthodoxie (Franziskaner eher pro, Dominikaner contra). Der Vf. expliziert die Idee »wirkendes Wort« im ersten Klassiker, De Verbo mirifico (1494), und die trinitarische Deutung des En Sof und der Sefirot in De Arte Cabbalistica (1517) (145 ff.164 ff.). Als Verteidiger Reuchlins und als Übersetzer führt Kapitel 4 (209–262) den konvertierten Juden Paulus Ricius ein; er verband die paulinische Adam-Christus-Ty­po­logie mit der seit Philo tradierten Figur des Adam Kadmon in der Idee des kosmischen Christus (226 ff.). Kapitel 5 (263–346) erklärt den Impetus der christlichen Kabbala zur Judenmission, verbunden mit dem seit Raimundus Martinis Pugio Fidei (13. Jh.) formulierten und z. B. auf Martin Luther wirkenden Antijudaismus. In diese »schwarze Spur« stellt der Vf. die Konvertiten Mithridates (Lehrer Picos) und Paulus de Heredia sowie Agostino Giustiniani und Petrus Galatinus (271 ff.); Letzterer führte eine kosmisierte franziskanische Mariologie in die christliche Kabbala ein (316 ff.). Den Impetus politischer Eschatologie, zeitweilig vom Papst gefördert, belegen Kapitel 6 und 7 an Aegidius von Viterbo (347–383) und Francesco Zorzi (384–449), dessen später indiziertes Hauptwerk De Harmonia Mundi (1525) auch als »Meisterwerk christlicher Spiritualität« gelobt wird (391 ff.; Bibelkommentar 416 ff.).

Zorzi verbindet die Namen Gottes, Jesu und Maria eng mit Magie; Agrippa von Nettesheim betreibt Kabbala dann ganz im Dienst der pythagoreischen Magia naturalis, in der die Kräfte der oberen Welten für die elementare Welt nutzbar gemacht werden sollen (Kapitel 8, 450–476). Der Vf. zeichnet einen »skeptischen Magier«, hin- und hergerissen zwischen Wissenschaftsskepsis und Glauben an die Kraft des göttlichen Wortes (455 f.). Dem bis heute ge­lesenen De occulta philosophia (1530/2) schreibt der Vf. den »un­durchdringlichen Dschungel« zu, der gemeinhin mit »Kabbala« verbunden werde (458 ff.).

Nachdem noch der Kommentator Zorzis und Verteidiger Picos, der Hebraist Arcangelo da Borgonovo vorgestellt wird (Kapitel 9, 477–509), wendet sich der Vf. einer exzeptionellen Figur zu, mit dem die christliche Kabbala auch Frankreich erreicht: Guillaume Postel, Astronom, Kosmograph, Sprachgenie, Orientalist, spekulativer Philologe, politischer Theologe und auch Kabbalist, bewegt von der unmittelbar bevorstehenden Vereinigung aller Religionen und Vollendung der Welt (Kapitel 10, 510–657). Er fasste seine endzeitliche Rolle nicht nur als prophetische, sondern auch als messianische auf, als geistiger Erstgeborener der himmlischen Eva resp. kosmischen Sophia. Trotz Indizierung seiner Schriften und Arrestierung als »verrückt« (1555) übersetzte und kommentierte Postel weiterhin kabbalistische Texte – den Jezira (572 ff.), Bahir (582 ff.), die Genesis-Teile des Sohar (597 ff.638 ff.) u. a. – große Manuskripte, für deren Entzifferung und Erklärung man den Vf. bewundert. Ein glänzendes, abenteuerliches Kapitel!

Dem schrillen Postel kontrastiert der Vf. das »katholisch assimilierte« Erbauungsbuch De los nombres de Cristo (1583/1585) Luis’ de León, eines der wenigen Beispiele christlicher Kabbala in Spanien (Kapitel 11, 658–677). Dass die christliche Kabbala attraktiv blieb, belegt die Ars Cabbalistica (1587) des badischen Bibliothekars Johannes Pistorius; seine sorgfältige Ausgabe der Werke Ricius’, Reuchlins, Arcangelos und einer Jezira-Übersetzung etablierte eine Art Quellenkanon christlicher Kabbala (Kapitel 12, 678–683).

Der zweite Band präsentiert die, übrigens auch ästhetisch anspruchsvolle, christliche Kabbala des frühen Barock. Der para­-celsisch orientierte Mediziner Heinrich Khunrath reformulierte die Kabbala als theosophische Grundlage seiner Alchemie (Kapitel 1, 1–60). Der Vf. erläutert auch die allegorischen Kupferstiche im Am­phitheatrum Sapientiae aeternae (1595; postum 21609, hier erstmals »christliche Kabbala«; ND 2012). Die Verbindung von christlicher Kabbala und Enzyklopädie knüpfte der englische Arzt Ro­bert Fludd in Utriusque Cosmi Maioris et Minoris scilicet Metaphysica, Physica atque Technica Historia (1617–1621/25; ND 2013), einem Schlüsselwerk der frühneuzeitlichen Medizin und Astrologie (Kapitel 2, 61–146). Das von M. Merian gestochene Titelkupfer wird nun vollständig erklärt: Sophia (resp. apokalyptische Ma­ria und kabbalistischer Engel Metatron), die Himmel und Erde als Welt-seele und als Vorbild der menschlichen, die Naturoffenbarung nachahmenden oder eitel nachäffenden Künste verbindet. Epistemologie und Kosmologie (68 ff.) zielen auf die göttliche Harmonie des universalen Werdeprozesses (89 ff.). Für seine rosenkreuzerische Verbindung von Naturtheologie und Reformpolitik (139 ff.) ist Fludds Streit mit J. Kepler, P. Gassendi und M. Mersenne erhellend (144 ff.): Deren Leitwissenschaft ist nicht Chemie, sondern Physik, und ihre Methode ist nicht die anagogische Bibelauslegung, sondern die Mathematik mechanischer Vorgänge (Kapitel 3, 147–183).

Kapitel 4 (187–243) klärt die (strittige) Kabbala Jakob Böhmes: Er fasst Topoi christlicher Kabbala zusammen im Kontext, aber auch in ihrer Unabhängigkeit von jüdischer Kabbala und naturalisiert die traditionelle Theosophie im Sinne der Alchemie, der Astrologie und der (paracelsischen) Medizin (191 ff.233 f.). Mit Abraham von Franckenberg stellt Kapitel 5 (235–257) den Kabbalisten unter Böhmes Schülern und seine Werke vor, vor allem Raphael oder Artzt-Engel, entstanden 1639 (241 ff.). Überzeugt, in der alten Kabbala philologisch unanfechtbare Argumente zur Verteidigung der Trinitätslehre gegen die Sozinianer zu finden, edierte und kommentierte der Königsberger Orientalist Johann Stephan Rittangel (Ka­-pitel 6, 258–314) 1642 die 32 Wege der Weisheit, den Sefer Jezira und dessen Tikkunim (264 ff.283 ff.). Sein bei Juden und Antitrinitariern zugleich brauchbarer Traktat De veritate Religionis Chris­tianae (272 ff.) indiziert aber auch schon, dass die Trinitätstheologie im Christentum selbst unsicher wurde (313). Die Durchsetzung der Kabbala mit Gottesnamen einer unitarisch-deistischen Gottesvorstellung um 1700 trug wesentlich zum Kreditverlust auch der christlichen Kabbala bei (271).

Die dritte große Enzyklopädie, Athanasius Kirchers SJ Oedipus Aegyptiacus (1652–1654, ND 2012) lässt davon freilich noch nichts erkennen; sie verdankt sich auch einem privilegierten Platz im Collegium Romanum (Kapitel 7, 315–374). Kircher passt die orientalische Kultur in die biblische Universalgeschichte ein, adamitische und hermetische Weisheit verbindend (328 ff.); für die Kabbala des Alphabets und der Gottesnamen findet er die ägyptischen Pendants (353 ff.367 ff.). Freilich kam sein Nachweis, dass die Kabbala das Prinzip aller monotheistischen Religionen sei, zu spät: Die philologische Kritik wies nach, dass das Corpus Hermeticum kein fast paradiesisch alter, sondern ein spätantiker pseudepigraphischer Text war. Nach Kirchers Tod 1680 war auf katholischer Seite die christliche Kabbala kein ernsthaftes Thema mehr; durch ihre radikale Historisierung seitens der Protestanten wurde sie ihres spekulativen Potentials beraubt (332 f.373 f.).

In diesem Schatten steht der dritte Band, der sich einer letzten Blüte der christlichen Kabbala zuwendet. Man fragt sich, wie stark davon die Rede sein kann. Denn Mercurius van Helmont (Kapitel 1,1–51), weniger Autor als spiritueller Anreger und gesellschaftlicher Vermittler, nimmt trinitäts- und schöpfungstheologisch kabba­listische Elemente auf, aber sein Interesse gilt dem Millenarismus, der Apokatastasis und der Seelenwanderung (32 ff.). Auch der Freund und Mitautor Henry More, Kapitel 2 (51–62), benutzt christliche Kabbala (Conjectura Cabbalistica [1563], 1679) nur qua christlichem Neuplatonismus und Pythagoreismus (55 ff.). Den Eindruck einer Blüte macht jedoch Christian Knorr von Rosenroth, dessen Verbindung zu den Genannten und dessen Übersetzungs- und Publikationstätigkeit im Geflecht von Naturtheologie, Arndtscher Bibelfrömmigkeit und millenaristischer Erwartung das brillante Kapitel 3 (63–148) schildert. Durch die Kabbala Denudata (1677–1684), »kompliziertes Geflecht von Übersetzungen, Zusam­menfassungen, Briefen, Lexika und Kommentaren« (70), führt der Vf. mit Bravour, vergleichbar mit Knorrs eigenen Loci Communes des Sohar, die auf 740 Seiten erstmals für Christen einen Zugang zum »schwer erschließbare[n] Dickicht der jüdischen Kabbala« (73) ermöglichen. Ein zweifelhafter Gewinn freilich: Zwar glaubt Knorr, dass Kabbala und Christentum im christologischen Kern übereinstimmen, aber er zieht der christlichen Kabbala die »reineren« jüdischen Quellen vor, um durch deren christologische Deutung die Judenbekehrung umso besser zu befördern (74 f.98 ff.); hierher gehört auch sein Plädoyer für die Toleranz der Juden (101 ff.). Und diese Quellen sind die K. Abraham Herreras (76 ff.), des vermeintlichen Ur-Sohar (114 ff.) und vor allem Isaak Lurias (124 ff.). Deren Verständnis vom Adam Kadmon, von Sefirot, Zimzum und Seelenwanderung ließ sich jedoch nicht mit trinitarisch-christlicher Kabbala verbinden (151 ff.). Dies belegt der Vf. mit der Kontroverse zwischen Knorr und More (Kapitel 4, 149–187). Allerdings schätzt er die christliche Kabbala, die More der lurianischen Schöpfungstheologie (als einer phantastischen jüdischen Philosophie) gegenüberstellt, als rationale christliche Metaphysik ein (181 ff.).

Die Philosophia Hebraeorum ersetzte nun gleichermaßen jüdische wie christliche Kabbala (so Bd. 1, 6). Die folgenden Kapitel führen diese Distanzierung der jüdischen Quellen der christlichen Kabbala vor – nicht zuletzt das paradoxe Ergebnis der Suche nach der lingua Adamica. Kapitel 5 (188–213) analysiert den Streit um Böhmes Kabbala in den 1690er Jahren in Hamburg: für den Orientalisten A. Hinckelmann gnostischer Neuplatonismus. Kapitel 6 (214–242) stellt die vor allem von Johann Georg Wachters Spinozismus im Jüdenthumb (1699, ND 1994) ausgelöste Ausweitung der Debatte dar; der Vf. sieht Wachter schließlich, wie schon Knorr, als »kabbalistische[n] Arianer« (235 ff.). Kapitel 7 (243–270) zeigt, wie Johann Franz Buddes De Spinozismo ante Spinozam (1701) die christliche Kabbala demontiert; übrig bleiben der philosophische Spinozismus einerseits, eine Philosophia Ebraeorum andererseits. Damit wird der spezifische Anspruch der christlichen Kabbala, das Christentum in den jüdischen Quellen zu entdecken, gegenstandslos. Der Vf. nennt dies eine nur »schwer zu überschätzen[de] Wendung« in der Geschichte der christlichen Kabbala (235.244 f.), die vielleicht sogar ihr Ende markiert, denn Buddes Introductio ad His­toriam Philosophiae Ebraeorum (1702) macht Knorrs Entchristianisierung der Kabbala vollständig. Für Philologen und Historiker, die aller »mystischer« Vernebelung abgeneigte Aufklärer waren, bleibt nur ein kurios-ärgerlicher jüdischer (!) Aberglaube übrig; so in der Bibliotheca Hebraica (1715–1733) Johann Christoph Wolfs (Kapitel 8, 271–298) und in der Historia Critica Philosophiae Jakob Bruckers (1742–1744). Der Vf. stellt trocken fest, dass ein »eigener Reiz« ihrer Spekulationen unverständlich geworden ist (Kapitel 9, 299–327).

Ohne dass der Vf. es eigens sagt, gehören die letzten Kapitel einer wiederum neuen Formation an, der Gegenaufklärung. Was hier an christlicher Kabbala auftritt, nennt der Vf. selber »Repristination«, schon in Kapitel 10 (328–346) über Friedrich Christoph Oetingers Lehrtafel der Prinzessin Antonia (1763). Der Weg von der Freimaurerei zur Restauration des 19. Jh.s bedeutet für die christliche Kabbala weitere Historisierung, Synkretismus à la Saint-Martin (Johann Friedrich Kleuker, Kapitel 11, 347–378; Johann Friedrich von Meyer, der 1830 eine kommentierte Übersetzung des Sefer Jezira publi­-zierte, Kapitel 12, 382–391) oder schellingianischen und dann doch martinistisch-theosophischen Gebrauch als (Straf-)Gesetz in der Rechtskonstitution der katholischen Kirche (Franz Joseph Molitor, Kapitel 13, 392–425). Der Vf. konzediert, dass die Kabbala fast un­kenntlich und ihr »mystisches Potential als Inzitament der christlichen Theologiereform und der christlich-jüdischen Ökumene« aufgegeben wird (425). Es ist wohl doch nur »die Idee uralten Wissens« (Bd. 1, 6), die diese Repristinationen in eine »Geschichte der christlichen Kabbala« aufzunehmen nahelegt.

Angesichts dieses kläglichen Endes ist es nur ein mäßiger Trost, dass es Molitors Werk war, das, nachdem es in die Hände von G. Scholem geraten war, zum Anlass einer neuen Lektüre der Kabbala wurde und zu ihrer Wiedergeburt im Judentum führte (Bd. 1, 7; Bd. 3, 392.425). Man darf sich aber damit trösten, dass der Vf. an die Studien Scholems anschließt, ihn aber weit überflügelt und dies nicht nur, weil inzwischen ansehnliche Detailforschung betrieben worden ist, die sich der Vf. kritisch zunutze macht (leider fehlt eine Literaturliste). Es ist seine herausragende Leistung, wohl alle einschlägigen Quellen christlicher Kabbala erschlossen und ein heute nachvollziehbares Verständnis entwickelt zu haben. Hoch zu loben ist seine historische Rekonstruktion, die von »christlicher Kabbala« zu sprechen erlaubt (im Unterschied zu andern frühneuzeitlichen Wissensformen, vor allem zur jüdischen Kabbala), die essentialistische Hypostasierungen aber vermeidet. Zwar schreibt der Vf. den Kabbalisten anfangs das Ziel eines »einheitlichen spekulativen System[s]« zu (Bd. 1, 2), doch kennzeichnet er ihr Verfahren durchweg als eklektisch oder synkretistisch und beschreibt die Konstellation kabbalistischer Topoi dem damaligen, enzyklopädischen Systembegriff entsprechend. Er imaginiert keine lineare Geschichte der christlichen Kabbala, auch keine Wirkungsgeschichte einer Idee »Kabbala«, sondern stellt Texte vor, die heterogene Gedanken rezipieren, um je ihren Zweck zu erreichen; dieser ist die Perspektive, in der ein Autor traditionelle Topoi untereinander und mit anderen Topoi innovativ vernetzt. Daher lassen sich die einzelnen Kapitel durchaus in »systematischer Stimmigkeit« (Bd. 3, 181) lesen. Nach der Kabbala – ein institutionell so instabiles, aber metaphorologisch-spekulativ ein lange auch so attraktives Phänomen – zu fragen, vermeidet der Vf. glücklicherweise.

Der Vf. hat eine Topik der historischen christlichen Kabbala vorgelegt, die ihrem Gegenstand angemessen ist und genau deshalb diesem erlaubt, neu zu denken zu geben – jedenfalls dem, der sich nicht abfinden will mit der bloßen Dissoziation von »christlicher Spekulation« und »philologisch-historischer Kritik«, an der nicht nur die christliche Kabbala scheiterte: »Es bleibt die Frage offen, ob sich die Christen auf ihre Kabbala berufen können, wenn sie ihr Christentum im Geist der Mystik reformieren wollen.« (425)