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Ausgabe:

Februar/2014

Spalte:

224–226

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Hegger, Susanne

Titel/Untertitel:

Sperare contra spem. Die Hölle als Gnadengeschenk Gottes bei Hans Urs von Balthasar.

Verlag:

Würzburg: Echter 2012. 568 S. = Bonner dogmatische Studien, 51. Geb. EUR 58,00. ISBN 978-3-429-03512-9.

Rezensent:

Volker Spangenberg

Die von Susanne Hegger vorgelegte Untersuchung zur Lehre von der Hölle bei Hans Urs von Balthasar ist mehr, als der Titel auf den ersten Blick erkennen lässt. Denn die im Wintersemester 2011/12 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum angenommene und für den Druck nur um ein Personenregister erweiterte Dissertation lässt sich zugleich als profunde Einführung in die komplexe Denkform des 1988 verstorbenen Schweizer Theologen lesen.

H.s Untersuchung der balthasarschen Höllenlehre spannt den Bogen weit und wird auf diese Weise zum eindrücklichen Versuch, eine systematische Erschließung der Grundstruktur und der Grundzüge des umfangreichen theologischen Werkes von Balthasars zu bieten. Dies geschieht nun eben nicht in Gestalt eines bloßen Überblicks, sondern im Hinblick auf das, was als Zentrum des balthasarschen theologischen Denkens gelten darf: die Selbstoffenbarung Gottes, wie sie sich zuhöchst im descensus Christi ad inferos ereignet. Dass sich H. bei ihren Ausführungen im intensiven Ge­spräch mit der mittlerweile stark angewachsenen wissenschaftlichen Literatur zu von Balthasars Werk – insbesondere der aus dem angloamerikanischen Bereich – befindet, bezeugt neben dem um­fangreichen Literaturverzeichnis auch der gewaltige Anmerkungsapparat mit insgesamt mehr als 2000 Fußnoten.

Die Studie ist klar strukturiert: Nach der Einleitung (11–25) erfolgt eine Einführung in von Balthasars Theologieverständnis (26–136). Das Korpus wird durch den mittleren Untersuchungsteil unter der Überschrift »Die Frage der Hölle im Konnex der theolo­-gischen Summe Balthasars« (137–464) gebildet. Daran schließt sich vor der »Schlussbetrachtung« (527–534) ein vorsichtig als »Ausblick« deklarierter Teil an (465–526), in dem H. die These zu begründen versucht, dass pathologische Angstformen als »Vorschattungen von Hölle im Sinne Balthasars begriffen werden können« (24).

Das Theologieverständnis von Balthasars, mithin auch sein spezifisches Verständnis der Integration von Theologie und Philosophie, erläutert H. ausführlich insbesondere unter Bezugnahme auf die balthasarsche Trilogie aus Theologischer Ästhetik, Theodramatik und Theologik. Was hier zu von Balthasars Ontologie, speziell zu seinem Verständnis der analogia entis, zum Wahrheitsverständnis, der Gotteserkenntnis oder zur Gestalt der Trilogie mitgeteilt wird, mag man auch anderswo (kürzer) lesen können. Der Teil dient H. jedoch über eine Grundlegung hinaus dazu, in das von der Balthasar-Rezeption viel diskutierte Verhältnis von Balthasars zum mystischen Werk der Adrienne von Speyr einzuführen. Da deren trinitarische Gotteslehre und Beichttheologie (modifizierten) Eingang in die baltharsarsche Höllenlehre gefunden haben, ist das im Rahmen der Untersuchung sinnvoll und notwendig. Vor allem aber versucht H. im Rahmen dieses ersten Untersuchungsteils, »Widersprüchlichkeiten und Brüche« im balthasarschen Denken aufzudecken und »werkimmanent aufzulösen« (130). Dies ge­schieht mittels einer Reihe behutsam, aber bestimmt vorgetragener (einander ergänzender) Einwendungen: gegen die primär passiv-rezeptive Rolle des Menschen im Prozess der Gottes­erkenntnis, gegen die Behauptung einer objektiven Evidenz der Offenbarung(sgestalt) Gottes und gegen die Vorrangstellung der Theologie vor der Philosophie. An einer solchermaßen vorgenommenen Ab­streifung von Relikten eines »seinsmetaphysischen Denkens […], das in den offenbarungstheologischen Grundlegungen Balthasars bereits überwunden ist« (135), ist H. nicht zuletzt deshalb gelegen, weil ansonsten kaum eine Anschlussmöglichkeit für das von ihr am Ende der Untersuchung in Aussicht genommene interdisziplinäre Gespräch mit der Theologie von Balthasars be­stünde.

Der Hauptteil entfaltet die balthasarsche Höllenlehre in vierfacher Hinsicht: aus der Perspektive des trinitarischen göttlichen Seins, aus anthropologischer, aus christologisch-soteriologischer und aus eschatologischer Perspektive. Jeder der vier mehrfach un­tergliederten Perspektiventeile arbeitet materialreich die Spezifika der balthasarschen Trinitätslehre, der Anthropologie und Freiheitskonzeption, der Christologie und der Eschatologie heraus, um diese dann jeweils in Konsequenzen für die Bestimmung des balthasarschen Höllenverständnisses münden zu lassen. Dass es bei diesem Vorgehen auch zu Überschneidungen und Wiederholungen kommt – die Leser werden häufig »noch einmal zur Erinnerung« aufgerufen –, ist H. bewusst (vgl. 139). Und auch der Vorbehalt, dass von Balthasar keine systematisch-theologische Höllenlehre zu entwickeln beansprucht, steht ihr klar vor Augen (vgl. 186). Dennoch ist auch hier das Bestreben unverkennbar, das die Studie insgesamt prägt, nämlich den balthasarschen »Gesamtentwurf in seiner Konsistenz und inneren Schlüssigkeit« (307) insbesondere in ontologischer Hinsicht nachzuvollziehen. Das geschieht immer wieder in streitbarer, zuweilen apologetischer Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur, der dann gelegentlich auch Oberflächlichkeit und mangelnde Einsicht in die Komplexität der Gedankenführung von Balthasars attestiert wird.

Inhaltlich gelangt die Untersuchung in ihrem tragenden Hauptteil zunächst zur Bestimmung des balthasarschen Höllenverständnisses als »absolute Starre« (187, dort kursiv) und als »egozentrische Selbstverschließung« (262, dort kursiv). Die Mitte der balthasarschen Höllenlehre wird dann in der Darstellung seiner Theologie des Karsamstages erreicht, wonach der descensus Christi als »Einstiftung von Gnade in die ewige Verdammnis« zu verstehen ist und so »Hölle« allererst »im eigentlichen christlichen Sinne hervorgebracht« wird (351). Dieses Geschehen, durch welches die Gottferne des Sünders durch die Gottverlassenheit des Sohnes »unterfasst« wird, eröffnet darum die Hoffnung auf die Errettung aller Menschen. Was hier im Blick auf die christologisch-soteriologische und die eschatologische Perspektive der balthasarschen Höllenlehre nur angerissen werden kann, wird von H. weit ausholend erläutert, und zwar mit einer Neigung für die ontologische Befassung auch mit dem, was bei »Hans Urs von Balthasar selbst […] nicht eigens unter ontologischen Aspekten erörtert« wird (353). Dabei treten mitunter die strenge Ausrichtung auf von Balthasars Höllenlehre im engeren Sinne und die Auseinandersetzung mit den ihr zugrundeliegenden exegetischen Einsichten und theologischen Entwürfen der Tradition etwas zurück.

Höchst anregend, aber nicht weniger problematisch, ist der letzte Teil der Studie. In ihm eröffnet H. ein Gespräch mit der sogenannten Daseinsanalyse in der von Medard Boss und Gion Condrau geprägten Gestalt, wie sie maßgeblich aus den »Zollikoner Seminaren« (1959–1969) Martin Heideggers mit Psychiatern hervorgegangen ist. Ziel dieses am Ende der Untersuchung stehenden »Ausblicks« ist es, zu prüfen, »ob sich Berührungspunkte zwischen Balthasars Theologie und dem daseinsanalytischen Verständnis pathologischer Formen von Angst ausmachen lassen« (489) und sich die balthasarsche Höllenlehre als fruchtbar für eine noch zu erarbeitende »Theologie pathologischer Angst« (464, dort kursiv) erweisen lässt. Was hier angeregt wird, stößt freilich – wie H. selbst einräumt – auf mancherlei Widerstände. Die Frage, ob nicht von Heidegger bzw. der Daseinsanalyse her die balthasarsche Auffassung zu korrigieren wäre, dass der gläubige Mensch ohne Angst sei, und die Frage, ob sich nicht andererseits von der Theologie bzw. Höllenlehre von Balthasars her der heideggersche Ruf des Gewissens im daseinsanalytischen Verständnis »vertieft als Ereignis des göttlichen Rufs« (519) begreifen ließe, bleibt in der vorliegenden Form einstweilen nur eine Anregung zu einer weiteren Untersuchung. In deren Rahmen wäre dann auch zu erörtern, ob sich die in der Studie »nur angedachte These, dass neurotische Ängste als Vorschattungen von Hölle ausgewiesen werden können« (520), als be­lastbar erweist.

Dass die Untersuchung von H. in starkem Maße zitierend vorgeht, darf man bis zu einem gewissen Grade dem eigentümlichen, die Pfade des Schulmäßigen immer wieder verlassenden balthasarschen Sprachstil zuschreiben. Dass diese materialreiche und eindrucksvolle Auseinandersetzung mit der Theologie Hans Urs von Balthasars kein Stichwortregister enthält, ist jedoch ausgesprochen schade.