Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2014

Spalte:

213–215

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Wallraff, Martin

Titel/Untertitel:

Sonnenkönig der Spätantike. Die Religionspolitik Konstantins des Großen.

Verlag:

Freiburg u. a.: Verlag Herder 2013. 221 S. m. Abb. Geb. EUR 22,00. ISBN 978-3-451-30708-9.

Rezensent:

Adolf Martin Ritter

Das Buch, im Umfang relativ bescheiden, in der Ausstattung umso opulenter, sehr gut geschrieben, äußerst leserfreundlich präsentiert und mit 32 Illustrationen reich bebildert, zielt bewusst auf ein breiteres Leserpublikum, weniger auf das Gespräch mit der Fach­-literatur ab, das – explizit – kaum stattfindet. In neun Kapiteln schreitet Martin Wallraff den gesamten Themenbereich ab, der vor Augen stehen muss, wenn es um die Religionspolitik Konstantins in all ihren Bezügen und Aspekten gehen soll. Dem Textteil (7–184) folgen relativ knappe Endnoten, ein Verzeichnis ausgewählter Literatur, ein Abbildungsnachweis und ein Namen-, Orts- und – in Auswahl – Sach- bzw. Themenregister. W. beabsichtigt, ein – in Fachkreisen kaum noch – verbreitetes Bild von Konstantin als dem »Vater des christlichen Abendlandes«, aufgrund neuerer Forschung, zurechtzurücken und dem ein anderes, neues Konstantinbild entgegenzustellen, das den Kaiser »zwar nicht weniger christlich als bisher angenommen zeichnet, aber doch in seinem Chris­tentum anders als den zeitgenössischen Theologen lieb sein konnte und als es sich viele moderne Gelehrte vorstellten«; so der Klappentext, ganz in Übereinstimmung mit dem – in mehrfacher Hinsicht – aufregenden 1. Kapitel (»Drei Mauern: Wege und Abwege der Konstantinforschung« [7–33]).

Wie ist das Buch mit seinen steilen Ansprüchen innerhalb der neueren Konstantinliteratur, deren Produktion in den letzten Jahren in der Tat »fast industrielle Züge« angenommen hat (7), zu verorten? Dies wenigstens anzudeuten kann allein der primäre Zweck und Inhalt dieser, zwangsläufig kurzen, Besprechung sein.

Nun, von dieser seiner »Konkurrenz« vermittelt das Buch ein eher undeutliches Bild. Nicht nur, dass ganz selten einmal »Ross und Reiter« genannt werden, so dass sich manche fachkundigen Leser besorgt fragen werden: »Herr, bin ich’s«? Es entsteht vielmehr auch der Eindruck, als genüge eine Portion gesunden Menschenverstands, um »das Drehen des [sc. Forschungs-]Kaleidoskops nicht ganz im Bereich des Spielerischen und damit Beliebigen« (10) verbleiben zu lassen. Dass das jedoch schwerlich zutrifft, liegt, denke ich, auf das Hand. Es gibt stattdessen triftige Gründe, die das – bei allem (von W. allerdings teilweise wieder aufgekündigten) Forschungskonsens in der Beurteilung wesentlicher Tatbestände – noch immer nicht völlig überwundene Auseinandergehen der Mei­nungen halbwegs verständlich machen. Niemand kommt nämlich in dieser schwierigen Thematik um Hypothesenbildung herum, wovor man allerdings auch nicht zurückschrecken darf, falls es nur so gelingt, einer in sich widersprüchlichen Überlieferungsmasse sinnvollen Zusammenhang abzugewinnen. Die Be­dingung lautet allerdings, dass eine Hypothese mehrfach und mit voneinander unabhängigen Argumenten begründet sein muss und – besonders wichtig! – dass sie kein einziges Überlieferungsstück vernachlässigen darf, eine Bedingung, die, wie nicht zuletzt die lang anhaltende Konstantindebatte zeigt, nur sehr schwer zu erfüllen ist.

Dieser Bedingung wird m. E. auch W. nicht immer gerecht. Das betrifft nicht zuletzt die Hauptthese seines Buches, die wohl in folgender Passage (178) anzutreffen ist:

»Um es kurz und mit einem Wort zu sagen: Konstantins Intention war auf Integration gerichtet. Das gilt bereits für seine Eingriffe und Stellungnahmen im innerchristlichen Bereich […] Es gilt aber auch über die Grenzen des Chris­tentums hinaus. Konstantin hatte keinerlei Interesse an einer Förderung des Christentums auf Kosten aller anderen« – dem ist, im Unterschied zur Fortsetzung, zuzustimmen, »sondern an der Integration des Christentums in die Welt der römischen Religion. Diese Welt war schon seit langem eine sehr plurale […] So sollte auch die Vereinbarung, die 313 zwischen Konstantin und Licinius in Mailand geschlossen wurde, nicht so sehr als ›Toleranzedikt‹« – das sowieso nicht! –, »sondern als ›Integrationsprogramm‹ bezeichnet werden«.

Diese These steht in einem flagranten, jedenfalls unausgeglichenen, aufzuhellenden Widerspruch zu nicht wenigen sogenannten »Selbstzeugnissen« Konstantins, d. h. wenn schon nicht von ihm selbst formulierten, so doch wenigstens gebilligten, schriftlichen Äußerungen (dazu nach wie vor unübertroffen H. Dörries, Das Selbstzeugnis Kaiser Konstantins, Göttingen 1954). Darin meldet sich eine eher »zornige Toleranz« (N. H. Baynes, Constantine the Great and the Christian Church, London 1972 [Nachdr. d. Ausg. 1929], 357) gegenüber der alten, heidnischen Religion zu Wort. – W. möge den althergebrachten Sprachgebrauch verzeihen; aber er kritisiert seitenlang (28–33) die Verwendung der Begriffe heidnisch und pa­gan, ohne einen praktikablen Gegenvorschlag zu machen. Das wird deutlich, wenn beispielsweise von »Irrenden« die Rede ist, die zu »bessern« und »auf den rechten Weg zu bringen« sind, wenn auch durch das Vorbild der (wahrhaft) »Gläubigen« und »Gutgesinnten«, nicht durch die Anwendung von Gewalt, und ihre Gotteshäuser als »Tempel des Trugs« bezeichnet werden im Unterschied zum »lichten Haus« der göttlichen »Wahrheit«, das »wir [sc. Christen]« besitzen (so im richtungweisenden Brief Konstantins an die östlichen Provinzialen von 324 [Euseb, Leben Konstantins 2, 56]). Überhaupt werden die literarischen Quellen in diesem Buch weniger gründlich und vollständig bedacht und gedeutet als die nichtliterarischen, denen das besondere Interesse W.s gilt (der für den frühen Konstantin möglicherweise so wichtige Laktanz z. B. kommt, anders als Euseb, fast gar nicht vor).

Wären die Gewichte anders verteilt, so hätte W. auch nicht so leicht entgehen können, dass es »in der schriftlichen Hinterlassenschaft« Konstantins, einschließlich der Inschriften, »nicht ein einziges Dokument gibt, das als ein eindeutiges paganes Selbstzeugnis angesprochen werden könnte« (K. M. Girardet, Der Kaiser und sein Gott, Berlin 2010, 98; vgl. die Zusammenstellung ebd., 98–103). Dann wäre er z. B. auch nicht bedenkenlos der jüngst von keinem Geringeren als P. Zanker bekräftigten Archäologenmeinung ge­folgt, die »Inschrift« auf dem Konstantin-Bogen in Rom könne »nur jene Divinitas meinen«, »die uns die Reliefs des Bogens leibhaftig vor Augen führen«, nämlich den »Unbesieglichen Sonnengott« (62, mit Anm. 78). Das klingt zwar überzeugend, ist es aber mitnichten; denn warum sprachen es Stifter und der zu Ehrende nicht offen aus? Wohl weil es Letzterer nicht wollte, weil ihm gerade an der Ambiguität lag, welche allen, Heiden wie Christen, eine Anknüpfungs- und Identifizierungsmöglichkeit bot; es ist das eine Interpretation, die an der literarischen Bezeugung wie am Regierungshandeln Konstantins eine stabile Stütze finden dürfte.

Es wäre noch manch andere kritische Rückfrage an W. zu richten; doch muss ich mir das hier, aus Raumgründen, versagen und es der – erhofften, ja, für unbedingt notwendig erachteten – Fachdiskussion überlassen.

Ich will nicht missverstanden werden: Es ist ein wichtiges, ein interessantes, ja (in mehrfacher Hinsicht) aufregendes Buch, das W. vorgelegt hat; es stellt erneut seine Belesenheit in Quellen und Literatur und seine (von mir neidlos bewunderte) Sicherheit im Um­gang vor allem mit nichtlitarischen Zeugnissen glänzend unter Beweis. Doch um sich mit seiner Hauptthese (s. o.) zu be­haupten, so wage ich vorauszusagen, muss er argumentativ gewaltig zulegen. Auch die Titelwahl (»Sonnenkönig der Spätantike«) bedarf wohl einer einleuchtenderen Begründung, als er sie einstweilen gegeben hat (167 f.). Was haben Konstantin und Ludwig XIV. schon gemein? Nicht einmal den Königstitel, von anderem, Wichtigerem (Toleranz etwa) ganz zu schweigen!