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Ausgabe:

Februar/2014

Spalte:

212–213

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Wallraff, Martin

Titel/Untertitel:

Kodex und Kanon. Das Buch im frühen Chris­tentum.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2013. XV, 78 S. m. 18 Abb. = Hans-Lietzmann-Vorlesungen, 12. Kart. EUR 19,95. ISBN 978-3-11-030712-2.

Rezensent:

Hans Förster

Die im Jahr 2010 von Martin Wallraff gehaltene Hans-Lietzmann-Vorlesung erscheint mit einem relativ ausführlichen Vorwort von Christoph Markschies (V-XV), das den Vortragenden vorstellt und an dessen Ende Markschies bemerkt, dass es »viel spannender« sei, Referate von Martin Wallraff als Referate über Martin Wallraff zu lesen (XV). Tatsächlich hat W. ein höchst spannendes »Heft« vorgelegt, das es verdient, weite Rezeption zu finden. Die Vorlesung gliedert sich in eine kurze Einleitung, der dann sechs Abschnitte folgen.

W. beginnt mit »Medienhistorischen Vorüberlegungen« (Ab­schnitt 1: 3–7). Dort geht er auf die verschiedenen Trägermedien ein und spannt den Bogen bis hin zu modernen Medien wie CD-ROM und USB-Stick. Es schließen sich Überlegungen zum »Kodex im frühen Christentum« (Abschnitt 2: 8–25) an. W. zeigt unter Verweis auf Martial, dass der Kodex als Medium für die Epigramme dieses Satirikers im Gebrauch war (10): »Nebenbei erfahren wir von einem enormen praktischen Vorteil: Das Büchlein kann mit einer Hand gefasst und gelesen werden ( me manus una capit), während ein rotulus immer mit beiden Händen geöffnet und gerollt werden muss.« Sorgfältig werden die verschiedenen Hypothesen abgewogen, die immer wieder für den Wechsel von der Rolle zum Kodex diskutiert werden, wobei W. vor allem davor warnt, angesichts der Quellen­lage in Spekulationen zu verfallen (17). Er erwägt auch die Möglichkeit, dass der Wechsel als Teil des Ablösungsprozesses des Chris­tentums vom Judentum verstanden werden könnte (18). In diesem Zusammenhang zeigt W., wie sehr der Wechsel von der Rolle zum Kodex auch das Leseverhalten verändert hat (24): »Tatsächlich eignet sich der Kodex besser, um einen zentralen (›kano­-nischen‹) Text nach Strich und Faden durchzuarbeiten, immer wieder an unterschiedlichen Stellen zu konsultieren und zu kommentieren.« Der »Kanon im frühen Christentum« (Abschnitt 3: 25-37) stellt dann das zentrale Kapitel dar.

Mit der Erläuterung der Kanones des Euseb, welche die vier Evangelien in der Bezeugung paralleler Abschnitte erschließt und so eine synoptische Lektüre ermöglicht, verbindet W. eine interessante These, die es verdient, etwas ausführlicher zitiert zu werden (35): »Was wir gewöhnlich als Text bezeichnen, sollte eigentlich eher als filum bezeichnet werden, eine Reihe von Buchstaben und Wörtern, eine eindimensionale Zeichenkette. In diesem Sinn enthält das Evangeliar vier einzelne fila über das Leben Jesu Christi, vier unabhängige, aber teilweise parallele Berichtstränge (strings) über dieselben Ereignisse. Die Erfindung der synoptischen Kanones verlinkt sie miteinander; […] Es ist ein Text par excellence, durch den die vier Evangelien zu dem einen Evangelium werden: ein textus zusammengewoben aus mehreren fila durch den Ka­non.« Diese Sicht von Text wirft natürlich die grundsätzliche Frage auf, wie der literarische Charakter bzw. die literarische Selbständigkeit der einzelnen Evangelien – und hier natürlich in be­sonderer Weise des Johannesevangeliums – zu bewerten ist. Es schließen sich Ausführungen über das »spätantike Buch als Ge­samtkunstwerk« (Abschnitt 4: 37–48) an. In diesem Abschnitt räumt W. auch mit der These auf, dass die »Vollbibel« das »Standardformat« einer antiken Bibel gewesen sein könnte. Unter Verweis auf Codex Amiantinus kommt er zu dem Schluss (38–39): »Ab­gebildet ist […] Cassiodor, stilisiert als alttestamentlicher Priester Esra. Hinter ihm befindet sich das ›Normalexemplar‹ der Bibel in neun Bänden in einem Schrank.« Zwei weitere Abschnitte runden die Vorlesung ab. Es geht zum einen um die »Performative Valenz des Buches« (Ab­schnitt 5: 48–53) und um einen »Ausblick: Kodex und Koran« (54-62).

16 Abbildungen (Abschnitt 6: 63–78) finden sich als Anhang dieses höchst lesenswerten »Heftes«, das durch die klare Vorordnung des aus vier Evangelien bestehenden Evangeliars vor die einzelnen Evangelien wohl auch für Diskussion im Bereich der neutestamentlichen Exegese sorgen wird.