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Ausgabe:

Februar/2014

Spalte:

208–210

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Brown, Peter, and Rita Lizzi Testa [Eds.]

Titel/Untertitel:

Pagans and Christians in the Roman Empire: The Breaking of a Dialogue (IVth–VIth Century A. D.). Proceedings of the International Confer­ence at the Monastery of Bose (October 2008).

Verlag:

Münster u. a.: LIT Verlag 2011. 639 S. m. Abb. u. Tab. = Christianity and History, 9. Kart. EUR 79,90. ISBN 978-3-643-90069-2.

Rezensent:

Jörg Rüpke

Der umfangreiche Band basiert auf einer Tagung, die sich vorgenommen hatte, 50 Jahre nach Arnaldo Momiglianos Aby Warburg Vorlesungen (1958/9), die 1963 als »The Conflict between Paganism and Christianity in the Fourth Century« erschienen, eine erneute Sichtung des Feldes vorzunehmen. Das Ausmaß der Veränderungen in den Forschungsfragen und Interpretationsmodellen kommt einem Paradigmenwechsel gleich. Der Band dient aber nicht dem Resümee dieser Veränderungen. Nach einem intensiven Rückblick auf das Werk Momiglianos und seine italienische Übersetzungsgeschichte, Momiglianos »kurze Spätantike« und die Zentralität von Religion in seinem späten Denken bieten die insgesamt 32 englisch-, italienisch- und französischsprachigen Beiträge Problem­erörterungen und exemplarische Neuansätze, die den veränderten Forschungsstand weniger darstellen als vielmehr aufnehmen und weiterführen. Das tun sie in unterschiedlicher Tiefe und Originalität.

Mancher Beitrag geht kaum über Miszellencharakter hinaus – große Namen sind für Herausgeber nicht immer leicht zu handhaben. Aber insgesamt entsteht hier ein Kaleidoskop der spätantiken religiösen Situation, das Spezialisten neues Material liefert und zugleich in seiner klaren Problemorientierung auch einen breit angelegten Einstieg in das Verständnis der Epoche liefern kann. Peter Browns »Schlussbemerkungen« (599–608) bieten allerdings keine Zusammenfassung, sondern noch einmal eine persönlich akzentuierte Skizze neuer Forschungsfragen. Das betrifft den Hinweis auf das Fehlen des spätantiken Judentums in Momiglianos Werk – aber, wie festzustellen ist – weitgehend auch in diesem Band. Dass sich Konflikte nicht eindimensional als religiöse verstehen lassen, sondern spätantike Kultur mannigfaltige Felder von Dialog und Wettbewerb aufwies, zeigt der Band deutlich. Nicht als Erster, aber mit großer Deutlichkeit hebt Brown am Ende die Intellektualisierung hervor – die neue Bedeutung, die dogmatische Fragen und überhaupt Texte quer durch die sozialen Schichten hindurch bekommen hätten. Dass Brown mit dieser Entgrenzung intellektueller Auseinandersetzung über die Elite hinaus eine wichtige Ermöglichungsbedingung für Intoleranz sieht (607), ist eine starke, aber auch intensiver Diskussion bedürftige These.

Aus den Beiträgen seien nur einige herausgehoben. Der Beitrag von Hervé Inglebert zur Geschichtsschreibung des 4. Jh.s n. Chr.(93–108) schlägt vor, die Trennlinien nicht zwischen paganer und christlicher Historiographie, sondern in einer ersten Phase zwischen klassischer und christlich-klerikaler und nach 360 radikalisiert zwischen pagan-hellenischer und christlich-klerikaler anzusiedeln. Dazu passt, dass Johannes Hahn (109–120), vor allem mit Blick auf Libanius, feststellt, dass es Julian nicht gelungen sei, in der Elite hinreichend Unterstützung für sein religiöses Reformprogramm zu mobilisieren.

In einer Sichtung christlicher Dichtung des 4. und 5. Jh.s in griechischer Sprache arbeitet Gianfranco Agosti (193–215) das Dialog­-angebot von Bibeldichtung in ihrer Verbindung von klassischen Strukturen und biblischen Inhalten heraus: Ohne an der Überlegenheit der Botschaft Zweifel entstehen zu lassen, wird die Sprache und Rhetorik der Adressaten akzeptiert und gepflegt, bis hin zur Centonen-Dichtung. Das sind keine für die Schule bestimmten Texte, und ihre Verbreitung werde sicher unterschätzt. Zu lesen ist diese Argumentation allerdings zusammen mit Alan Camerons Hinweis (517–525), dass Vergil selbst ein prominentes Symbol für Paganismus blieb.

Mit sprachlichen Strategien befasst sich auch der Beitrag von Kate Cooper über die Passio Sebastiani, der zu Predigten im 5. und 6. Jh. führt (245–269). Diese Texte, so argumentiert sie überzeugend, werten zum einen die Verkündigung auf, indem sie die Analogie zur verbalinspirierten Rede der Märtyrer nahelegen. Zum anderen verbinden sie eng die Pflege verwandtschaftlicher Beziehungen und die Erfüllung ethischer Forderungen.

Weiterer Verfolgung bedarf die Beobachtung von Claude Lepelley, der in den Städten Nordafrikas eine fortschreitende Säkularisierung des öffentlichen Raumes beobachtet, die erst nach einem Prozess der Schwächung im letzten Drittel des 6. Jh.s in eine christliche Resakralisierung umschlägt (273–289). Dem lassen sich die epigraphischen Beobachtungen Silvia Orlandis an die Seite stellen, die nach der Bezeugung von Priesterämtern der spätantiken senatorischen Elite fragt (425–466). Sie stellt eine scharfe Differenzierung von Inschriftengattungen fest, die in der Regel nur das für eine dokumentierte Handlung unmittelbar relevante Amt be­zeugt; religiöse Ämter sind damit auf Ehren- und Grabinschriften konzentriert. Den Bereich senatorischen Handelns erschließt auch der Beitrag von Christophe Goddard (371–400 [diese Seite fehlt leider im Druck]). Er zeigt zunächst die Eröffnung des Adventus-Rituals für die Senatoren und seine Bedeutung, etwa in der Ikonographie für junge Provinzgouverneure seit Valens. In der Wahrnehmung und Interpretation von Details dieses Rituals durch Zeitgenossen zeigt sich, wie offen das Ritual angelegt war und wie unterschiedlich, bis hin zu dezidiert konfessionellen Aussagen es gelesen oder umgesetzt werden konnte. Fortführung und Neuinterpretation von Ritualen illustriert auch die Divinisierung von Kaisern, die die Möglichkeit bot, aus der allgemeinen Praxis Einzelne durch das Anlegen besonderer ethischer Maßstäbe herauszuheben ( Giorgio Bonamente, 339– 370).

Rita Lizzi Testa fragt nach der Reichweite der im Codex Theodosianus dokumentierten Gesetze und kommt zu einem differenzierten Befund (467–491). Zwar müssen die aufgenommenen Normen nicht die einzig erlassenen sein, aber vielfach dürfte dennoch der Rahmen der Konflikte und der Gegenmaßnahmen lokal geblieben sein. Im Einzelfall blieben Normen, die gerade diese begrenzte räumliche und zeitliche Reichweite deutlich machten, außerhalb der Sammlung.

Alles in allem handelt es sich um einen weiterführender Band mit einer hohen Dichte vorzüglicher Beiträge. Wenn meine im We­sentlichen zustimmend referierende Rezension dennoch mit einer kritischen Note schließt, betrifft sie die Anzeige eines weithin ge­teilten konzeptuellen Problems. Der Titel des Bandes wie auch viele Formulierungen in ihm (und vielen anderen Büchern) suggeriert etwas, was in zahlreichen Beiträgen gerade dekonstruiert wird: Paganismus und Christentum waren keine zwei sich gegenüberstehenden Religionen, von denen die eine siegte und die andere unterging. Dieses Bild ist, wie zumal Maijastina Kahlos (187–192) zeigt, ein Produkt bestimmter Akteure, die gerade diese Gestalt als Christentum entwerfen wollen. Die Behauptung einer kohärenten und umfassenden Lebensführung aus der Teilnahme an manchen Ritualen und der Übernahme eines definierten Glaubenssystems heraus, die das Verhalten des Einzelnen in nahezu allen Lebenslagen vorhersagbar macht (oder als deviant erscheinen lässt), nimmt Trends von wachsender Institutionalisierung, Intellektualisierung und vereinzelter Radikalisierung auf. Sie beschreibt aber nicht angemessen die zahlreichen Veränderungen und Diskrepanzen im Umfang religiöser Thematisierung und Klassifizierung »säkularer« Lebensbereiche von der Politik bis zur Poetik. Die Beiträge zeigen, dass die Spätantike diese Aufgabe nicht weniger dringend stellt als unsere Gegenwart.

Indizes runden den Band ab. Den längeren Kapiteln hätten durchgehende Zwischenüberschriften zu schnellerer Erschließung verholfen, gerade bei einem mehrsprachigen Band. Die direkte Kombination von unterschiedlichen Anführungen (» und „) ist typographisch hässlich.