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Ausgabe:

Februar/2014

Spalte:

195–197

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Wagner, Thomas

Titel/Untertitel:

Gottes Herrlichkeit. Bedeutung und Verwendung des Begriffs kābôd im Alten Testament.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2012. XVI, 493 S. = Supplements to Vetus Testamentum, 151. Lw. EUR 161,00. ISBN 978-90-04-22337-0.

Rezensent:

Bernd Janowski

Dem deutschen Begriff »Herrlichkeit« entspricht im Hebräischen das Wort kābôd, das ursprünglich die »Schwere« oder das »Gewicht« einer Person oder Sache und damit ihre soziale Stellung bzw. ihren sozialen Wert bezeichnet (Gen 31,1 u. ö.). Der Übergang von der konkreten (»Schwere«) zur abstrakteren Bedeutung (»Herrlichkeit, Ehre«) lässt sich an der Anwendung des Begriffs auf Größen wie das Land (Jes 8,7 u. ö.), das Volk (1Sam 4,21 f. u. ö.) oder Jerusalem/Zion (Jes 66,11 u. ö.) ablesen. So ist die »Herrlichkeit« eines Landes nicht so unmittelbar wahrnehmbar wie diejenige eines Waldes, sie zeigt sich vielmehr an der Größe seiner Städte, der Blüte seiner Kultur, dem Funktionieren seines Handels usw., also an Phänomenen, die die »Blüte« dieses Landes ausmachen. »Herrlichkeit« ist deshalb ein Funktionsbegriff, der einen bestimmten ideellen Gehalt wie »Fülle«, »Zierde« oder »Schönheit« so thematisiert, dass sein materielles Substrat erhalten bleibt. Das gilt nicht nur für den Gebrauch von kābôd im Sinn von »(sozialem) Ansehen« und »(materiellem) Reichtum«, sondern auch für die ästhetischen Aspekte des Begriffs, die entsprechend altorientalischen Analogien (vgl. akk. melammu »Schreckensglanz« u. a.) den Lichtcharakter der »Herrlichkeit JHWHs«, d.h. seine »Ausstrahlung«, seinen »(numinosen) Lichtglanz« und seine »Aura« bezeichnen. In ihrem wunderbaren Buch »La splendeur divine«, Paris 1968 hat die 2011 verstorbene Assyriologin E. Cassin anhand der akkadischen Lichttermini eine Einführung in die Mentalität des antiken Mesopotamien gegeben.

Das sind einige der Fragen, denen sich die Monographie von Thomas Wagner, ursprünglich eine 2011 an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel angenommene Habilitationsschrift, zu­wendet. Gleichzeitig mit ihr erschien eine weitere Arbeit zum Thema, die nicht mehr berücksichtigt werden konnte: Sh. Z. Aster, The Unbeatable Light. Melammu and Its Biblical Parallels (AOAT 384), Münster 2012 (Kapitel 6: »Kebod YHWH and Divine Radiance« und Kapitel 7: »Radiant Kebod YHWH in Isaiah 60«). Im Unterschied zur Monographie von Aster, die ausführlicher auf die akkadischen Lichttermini eingeht (melammu, namurratu, puluḫtu, rašubbatu u. a., vgl. Wagner, 16–19), untersucht der Vf. die theologische Bedeutung von kābôd in der Priesterschrift, bei Jesaja, bei Ezechiel, in den Psalmen sowie in weiteren Kontexten (vor allem Pentateuch, Vordere und Hintere Propheten). Der Vf. beginnt seine Darstellung mit einer »Einleitung« (1–51), in der zunächst eine Übersicht des alttestamentlichen und altorientalischen Belegmaterials gegeben (2–25) und sodann die Forschungsgeschichte skizziert wird (25–47). In elf Punkten benennt er anschließend die Probleme, die bei der Analyse des theologischen Gebrauchs von kebôd JHWH zu beachten sind. Er entscheidet sich dabei dafür, die vier Textbereiche Priesterschrift, Jesaja, Ezechiel und Psalmen zu untersuchen, in denen das Syntagma kebôd JHWH schwerpunktmäßig erscheint. »Dabei wird jeweils nach dem literarischen Wachstum des Textes und sich daraus ergebenden redaktionsgeschichtlichen Zusammenhängen ge­fragt. Im Anschluss wird die Bedeutung von kābôd unter Aufnahme von Traditionen, die mit der Darstellung im einzelnen Text beziehungsweise in seiner redaktionellen Schicht verbunden sind, aufgezeigt« (50). Der Vf. hofft, auf diese Weise »die Zusammen­hänge zwischen einzelnen mit kābôd verbundenen Motiven sichtbar« zu machen (ebd.). Konsequenterweise beginnt jedes der vier Hauptkapitel mit einer redaktions- bzw. entstehungsgeschichtlichen Hinführung (52 ff.123 ff.238 ff.286 ff.).

Das zweite Kapitel (52–122) analysiert das Syntagma kebôd JHWH in der Priesterschrift (gestaffelt in Pg, Ps, Rp, mit zum Teil problematischen redaktionsgeschichtlichen Entscheidungen wie derjenigen, dass Ex 40,34 f. und nicht Ex 29,42–46 der Höhepunkt von Pg sein soll, vgl. 116 u. ö.) und kommt zu dem Ergebnis, dass innerhalb von P drei Stadien deutlich werden: »Pg schildert die besondere Nähe der Wüstengeneration durch die Herstellung des Heiligtums, Ps betont die herausragende Rolle der Aaroniten für den an diesem Heiligtum durchzuführenden Kult und Rp relativiert schließlich die Bedeutung der Wüstengeneration, indem die Zusage des Einzugs in das Land von der Wüstengeneration auf die folgenden Generationen übertragen wird. Im Rahmen dieser Fortentwicklung wird der kābôd JHWHs als Visualisierung göttlicher Gegenwart verwendet« (122). So oder ähnlich hatte das bereits die ältere Forschung von C. Westermann bis Th. Pola gesehen.

Im dritten (123–237) und vierten Kapitel (238–285) wendet sich der Vf. dem kābôd JHWHs im Jes- und im Ez-Buch zu, wobei die Textanalysen wiederum den redaktionsgeschichtlichen Vorgaben bzw. Vorentscheidungen folgen. Der Vf. kann auch hier wieder auf gründliche Einzeluntersuchungen zurückgreifen (bes. O. Keel, F. Hartenstein u. a.), die er geschickt bündelt und hier und da weiterführt. Wenig überraschend ist dabei sein Ergebnis, dass im Jes-Buch »das Motiv von JHWH als königlichem Herrscher auf dem Zion, das alle Textanteile des Buches prägt, eng mit der Vorstellung von seinem kābôd verbunden ist« (236). Und im Ez-Buch (Ez *1–3; *8–11 u. a.) wird der kābôd JHWHs als »die Vergegenwärtigung Gottes dargestellt, mit der der Prophet in Kontakt kommt« (283). Diese Feststellung ist so allgemein wie richtig.

Im Psalter, dem das fünfte Kapitel (286–366) gewidmet ist, kommtkābôd mit Bezug auf JHWH an mehreren Stellen vor, die dem Vf. zufolge der vorexilischen (Ps 24,7–10; 29*) und der nachexilischen Zeit angehören (Ps 26; 63; 66; 79; 113; 115; 138). Eine dritte Gruppe, zu denen er (warum eigentlich?) Ps 19; 57; (108); 96; und 97 zählt, haben die »Verkündigung des kābôd JHWHs« zum Thema (330–348). Und in den redaktionellen Ergänzungen von Ps 72,18 f.; 102,13–23; 104,31–35a (349–359) spielt die Rede vom kābôd JHWHs ebenfalls eine Rolle. Abgeschlossen werden die Textanalysen im sechsten Kapitel (367–420) durch Ausführungen zu ausgewählten Pentateuchtexten (Ex 33,18–23; Num 14,21 f.; Dtn 5,24) sowie zu 1Kön 8,10 f.; Hab 2; Sach 2; Mal 1 f.; Spr 25,2; Neh 9; 1 Chr 16 und 2 Chr 5,2–7,22. Den Schluss bildet dann das siebente Kapitel (421–453) mit dem Versuch einer traditionsgeschichtlichen (Begriffsentwick­lung von der vorexilischen über die exilische bis zur nachexi­lischen Zeit) und theologischen Auswertung der Einzelergebnisse. Leider spricht der Vf. erst am Ende seiner langen Arbeit die Frage der deutschen Übersetzung des hebräischen kābôd an und vertritt zu Recht die These, dass »der deutsche Begriff ›Herrlichkeit‹ einen intersubjektiven Zusammenhang (bezeichnet), der Erscheinung und Wahrnehmung verbindet. Etwas ist ›herrlich‹, weil es sich als solches zeigt, erweist und anerkannt wird« (453).

Derartige Überlegungen hätte man sich zu Beginn der Arbeit gewünscht, ebenso wie man (bzw. der Rezensent) sich gewünscht hätte, dass sich der Vf. durch das oben genannte Buch von E. Cassin hätte inspirieren lassen.

Diese Hinweise sollen die Verdienste des vorliegenden Buchs aber in keiner Weise schmälern. Es ist, was durch die ausführlichen Register (473–493) unterstützt wird, ein Kompendium zur »Bedeutung und Verwendung des Begriffs kābôd im Alten Testament«. Allerdings ist der Gegenstand aufgrund der Fülle der Belege für eine Monographie fast zu groß. Die künftige Forschung sollte den hier zum Teil nur summarisch, weil vornehmlich redaktionsgeschichtlich beschriebenen Zusammenhängen größere Aufmerksam­keit durch stärker auf die Semantik, Motivik und Metaphorik (!) achtende Einzeluntersuchungen widmen.