Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/1999

Spalte:

42–45

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Aune, David E.

Titel/Untertitel:

Revelation 1-5.

Verlag:

Dallas: Word Books 1997. ccxi, 374 S. = Word Biblical Commentary, 52A. gr.8. Lw. $ 29,99. ISBN 0-8499-0251-7.

Rezensent:

Traugott Holtz

Der vorzügliche Kenner der religions- und geistesgeschichtlichen Welt - gerade auch in ihrer gleichsam populären Ausprägung -, in die die neutestamentlichen Texte hineingehören, David E. Aune, hat sich der Erarbeitung eines großen Kommentars zur Apk angenommen. Man sieht dem Werk mit hochgespannter Erwartung entgegen. Sie wird in beeindruckender Weise bestätigt. Freilich wird auch eine Kehrseite sichtbar; sie wird schon daran erkennbar, daß der Kommentar auf drei Bände angelegt ist. Der vorliegende erste Band reicht bis Apk 5,14 (Bd. 2 wird die Kap. 6-16, Bd. 3 die Kap. 17-22 behandeln), bei fast 600 Seiten Umfang, wowon freilich "nur" 374 Seiten auf die eigentliche Kommentierung entfallen, von den restlichen Seiten 165 auf die "Introduction". In der Reihe "Word Biblical Commentary", die auch das (protokanonische) Alte Testament einschließt, sind nur noch dem LkEv drei Bände zugeteilt; selbst zwei Bände für eine Schrift sind nicht eben häufig. Allerdings scheint auch sonst ein Trend zu vielbändigen Kommentaren Platz zu greifen - nicht nur angesichts der Buchpreise eine bedenkliche Erscheinung. Sie gründet vermutlich nicht zuletzt in einer Unsicherheit über das Wesen eines Kommentars. Jedenfalls darf man fragen, ob so voluminöse Werke wirklich noch handhabbar und hilfreich sind für "the fledgling student, the working minister", an die als Rezipienten nach der "Editorial Preface" die Reihe sich doch zunächst richtet.

Die "Zunft der professionellen Gelehrten und Lehrer" freilich, an die die Hrsg. ebenfalls als Benutzer denken, erhalten ein überaus reichhaltiges Arbeitsinstrument, das in geradezu überwältigender Fülle das Material bereitstellt, durch das das Verständnis des schwierigen und vielschichtigen Buches Apk fundiert werden kann. Und zwar gilt das nicht nur hinsichtlich der Erschließung des historischen Horizonts, in den die Apk gehört, sondern auch mit Blick auf die in der exegetischen Diskussion vorgetragenen Interpretationsmodelle. Gleichwohl bleibt die Flut der Informationen gebändigt, A. beherrscht sie in der Regel souverän, ordnet sie übersichtlich und bewertet sie nachvollziehbar. Bei den häufig angeführten Zeugen aus den griechischen Zauberpapyri sowie verwandtem spätantik-synkretistischen Volksglaubens bleibt freilich bisweilen die Frage, ob sie von der Chronologie und dem Milieu her, in das sie gehören, nicht eher der Nachgeschichte der Apk und ihres Umfelds zuzurechnen sind. Auch finden sich häufiger Wiederholungen von Belegen. Wenigstens teilweise dürfte das dem Einsatz des Computers zu verdanken sein, von woher sich auch erklären wird, daß gelegentlich deutlich erkennbare fehlerhafte Angaben in wörtlich gleichen Sätzen wiederholt werden (wie 83 und 282 die Angaben zu den Belegen für pneuma im Singular in Apk). Ein etwas kritischerer Einsatz der elektronischen Hilfe hätte der Durchsichtigkeit und der Beschränkung des Umfang dienlich sein können.

Die umfangreiche Einleitung informiert unter weitgehender Einbeziehung der Diskussion in der Sekundärliteratur über die Fragen nach dem Verfasser der Apk, der Zeit ihrer Entstehung, ihrer literarischen Eigenart und ihrer Abhängigkeit von Quellen, sowie über die Überlieferung des Textes und über diesen selbst sowohl hinsichtlich seiner Syntax als auch seines lexikalischen Bestands. In ihrer vorliegenden Gestalt geht die Apk nach dem umsichtig begründeten Urteil von A. auf einen Autor-Editor mit Namen Johannes zurück, den wir indessen mit keinem der sonst im Neuen Testament begegnenden Träger gleichen Namens identifizieren können, und der offenbar auch nicht in einer besonderen Beziehung zu dem "johanneischen Kreis" steht. Er ist wahrscheinlich ein aus Palästina stammender Jude semitischer Muttersprache, der - wohl im Zusammenhang mit dem ersten jüdischen Krieg 66-70 n. Chr. - in die römische Provinz Asia wechselte und dort als christlicher Prophet ein prophetisches Buch schuf, mit dem er sich in der endgültigen Gestalt an die ihm gut bekannten dortigen Gemeinden richtete (vgl. dazu auch CXXI). Die Endgestalt ist nach A. in der Zeit am Ende der Herrschaft Domitians oder sogar - wahrscheinlicher - erst in der Anfangszeit Trajans entstanden. Die Erstgestalt indessen ist etwa eine Generation früher geschaffen worden, basierend auf schriftlichen und mündlichen apokalyptischen Traditionen, die in die 60er Jahre oder noch weiter zurückreichen.

Ein besonders schwieriges Gelände betritt A. mit dem Bemühen darum, die Gattung der JohApk zu bestimmen. Ihrer Form als Brief kommt nach seinem Urteil keine besondere Bedeutung zu, er weist die Analyse der Schrift als Brief durch M. Karrer ausdrücklich als "not successfull" zurück (LXXIII), obwohl er durchaus anerkennt, daß der briefliche Rahmen in einer unmittelbaren Beziehung zur Form der neutestamentlichen, vornehmlich paulinisch bestimmten Briefliteratur steht. Die Relativierung dieser Gegebenheit durch den Bezug auf den Kommunikationscharakter prophetischer und apokalyptischer Botschaften im geographischen und chronologischen Raum der Apk hängt offensichtlich mit dem weitgehenden Ausfall eigentlich theologischer Fragestellungen in dem Kommentar insgesamt zusammen. Die umfangreiche Einleitung enthält keinen Abschnitt zur Theologie der Apk, der jeweils letzte Teil jeder im Kommentarteil behandelten Textpartie, "Explanation", ist in der Regel mit Abstand der dünnste.

Zu Recht ist A. zurückhaltend im Urteil über eine Gattung Prophetie und die Zuweisung von Apk an sie, trotz der gewichtigen Rolle, die prophetische Strukturen und Formen in ihr spielen. Vielmehr weist er - nach ausführlicher, problembewußter Diskussion - das Werk der Gattung Apokalypse zu, in deren Bestimmung er sich trotz gewisser kritischer Distanzierungen im ganzen der berühmten Definition von J. J. Collins (Semeia 14, 1979) anschließt, näherhin dessen Typ IIb ("Apokalypses with Otherwordly Journeys with Cosmic and/or Political Eschatology"; LXXXII). Natürlich sieht er, daß diese Definition nur für Apk 4,1-22,9 zutrifft; deshalb ist für ihn Apk (jedenfalls in ihrer vorliegenden Gestalt [die allerdings die einzige ist, die als tatsächlich existierend bekannt ist]) schließlich doch ein "mixtum compositum" singulären Charakters, eine Verbindung von prophetischen mit apokalyptischen literarischen und inhaltlichen Elementen, also das, was auch die übrigen sogenannten Apokalypsen in der überkommenen Gestalt sind, bzw. wie uns literarisch apokalyptische Texte allein begegnen.

Schon die komplizierte, auch uneinheitliche literarische Struktur der Schrift zeigt nach A., daß sie nicht in einem Zug entworfen sein kann, sondern das Produkt einer langjährigen apokalyptisch-prophetischen Verkündigung und Reflexion ist, in das vielfältiges älteres Material einfloß. Gleichwohl legt er eine durchaus detaillierte Gliederung vor, durch die die vorliegende Endgestalt der Apk als ein Werk ausgewiesen wird, das bedacht gestaltet wurde. Das ist eine wichtige, und wie mir scheint richtige Einsicht, mag man über Einzelheiten einer derartigen Gliederung auch streiten können, sie auch nicht ganz mit vorangehenden Urteilen A.s über die literarische Struktur in Deckung zu bringen ist.

In der Frage der Quellenkritik folgt A. nicht der Linie des neuesten großen deutschsprachigen Kommentars zu Apk von H. Giesen, nämlich gar keine fixierten Quellen mehr vorauszusetzen (s. auch die radikale Wende von J. M. Ford in der angekündigten Neubearbeitung ihres Kommentars für die Anchor Bible, von der A. [CXI] berichten kann: Apk "a unity, with the possible exception of the seven letters", aber auch diese "an integral part of the original text"); viel eher deutet sich bei ihm bereits der Wendepunkt an, den M. Karrer in seiner Rezension von Giesen (ThLZ 123, 1998, 476) schon anvisiert. Nach seinem Urteil ist Apk in einem rekonstruierbaren literarischen Prozeß, der sich über einen ausgedehnten Zeitraum hin in mehreren Stufen vollzog, zu ihrer Endgestalt gekommen; dabei ist in allen Phasen der eine und gleiche Autor am Werk, der freilich ihm überkommene Traditionen verarbeitet. Vor allem sind zwei große Stufen erkennbar, eine erste Ausgabe, die wesentlich 1,7-12a; 4,1-22,5 enthielt, sich anonym, vielleicht pseudonym präsentierte und - natürlich - gänzlich apokalyptisch war. In einer zweiten Edition wurde diesem Werk mit 1,1-3 ein Titel, 1,4-6 eine briefliche Einleitung und eine Doxologie sowie 1,12b-3,22 eine Christusvision zur Beauftragung mit der Botschaft an die 7 Gemeinden und schließlich mit 22,6-21 ein Epilog und ein Buchschluß zugefügt; 1,1-6 enthält möglicherweise Elemente schon aus der ersten Edition, die ihrerseits in der zweiten verschiedentlich erweitert wurde. Diese Neuausgabe hat eine klare prophetische und paränetische Ausrichtung. Die literargeschichtliche Aufspaltung des Werkes gründet sich mithin entscheidend auf inhaltliche Kriterien, ein trotz seiner verbreiteten, geradezu wie selbstverständlichen Akzeptanz methodisch überaus problematisches Verfahren, das sich überdies nicht durch den Nachweis einer selbständig erhaltenen, gleichsam rein apokalyptischen Schrift in der Art der postulierten ersten Ausgabe der Apk aus der vorausliegenden Zeit legitimieren kann. Mir will freilich scheinen, daß man nicht nur bei der Gattungs-, sondern auch bei der Literarkritik ernster nehmen sollte, daß sozusagen reine "Apokalypsen" als literarisch selbständige Gebilde höchstens als Endpunkte einer Geschichte begegnen.

Anregend, auch erhellend ist der Versuch, eine Anzahl relativ selbständiger Texteinheiten zu isolieren, die in das Gefüge des Textes einmontiert sind. A. sondert 12 solcher Teiltexte aus, die alle vom Verfasser der Apk stammen, aber über einen langen Zeitraum hin und zu unterschiedlichen Anlässen entstanden sind, teils bereits in der vorchristlich-jüdischen Zeit des Verfassers in Palästina.

A. hebt selbst hervor, daß es sich um durchaus hypothetische Erwägungen handelt. Man muß aber zugestehen, daß mit solchen sehr beachtlichen Überlegungen ein Weg beschritten wird, der weiterführen könnte, auch wenn man hinsichtlich der genauen zeitlichen und inhaltlichen Fixierung zurückhaltender urteilen möchte; vor allem wird man noch nachhaltiger als A. es tut erwägen müssen, in welchem Umfang solche Teiltexte überkommenes Material enthalten, das nicht vom Verfasser der Apk stammt, von ihm aber be- und eingearbeitet ist, etwa zum Zwecke der christlichen Aufarbeitung solcher Vorstellungen, die in seinem und der angeredeten Gemeinden Umfeld lebendig und wirksam waren.

Der materialreiche Abschnitt zur Textüberlieferung schließt ab mit einer Liste von Lesarten, die A. abweichend von Nestle-Aland27 für ursprünglich(er) hält. Ihm folgt ein fast 50 Seiten umfassender Teil, in dem die Syntax der Apk minutiös präsentiert und (zurückhaltend) bewertet wird; auf gewisse sprachliche Besonderheiten der 7 Sendschreiben (Apk 2 f.) war A. schon vorher eingegangen (CXXXIII). In jedem Fall wird allen Interessierten eine Fülle von Material bereitgestellt. - Der abschließende Teil "Vocabulary" hat mehr statistischen Charakter.

Der eigentliche Kommentarteil, auf den bei diesem ersten Band nur noch kurz eingegangen wird, ist durchgehend nach dem Schema gestaltet, das für die Reihe insgesamt gilt. Der Text wird abschnittweise behandelt, größere Texteinheiten werden gelegentlich zunächst zusammenfassend analysiert (z. B. die 7 Sendschreiben). Am Beginn steht - wie übrigens auch bei allen anderen Teilen des Buches - eine reichhaltige Bibliographie, es folgt eine englische Übersetzung des Textstücks, anschließend zum Teil sehr ausführliche "Notes", die spezifische Textprobleme (Varianten, grammatische Fragen) behandeln. Der Abschnitt "Form/Structure/Setting" erörtert Strukturfragen, der Teil "Comment" die inhaltlichen Probleme (mit einer Flut erschließenden Materials aus der Antike und der modernen Exegese); er bildet den Schwerpunkt der Kommentierung und ist der ausführlichste Teil, noch bereichert durch eine Reihe von Exkursen. Der Abschluß bietet die "Explanation", über die oben bereits etwas gesagt worden ist; von den insgesamt 55 Seiten zu Apk 5,1-14 ("The Investiture of the Lamb") z. B. beansprucht sie knapp eine Seite!

A. steht zweifellos im Begriff, einen monumentalen Kommentar zur Apk vorzulegen, der beherrschende Bedeutung für die Weiterarbeit an der Schrift erlangen kann. Das Werk reiht sich würdig ein in die Reihe der großen angelsächsischen Arbeiten zur Apk, erinnert sei hier besonders an R. H. Charles. Freilich sind gewisse Schwächen nicht zu übersehen. Inhaltlich liegen sie nach meinem Urteil vor allem im theologischen Bereich, sowohl hinsichtlich der theologiegeschichtlichen als auch der hermeneutischen Dimension. Im übrigen wäre dem Buch eine Überarbeitung vor Drucklegung gewiß zugute gekommen. Sie hätte vor allem die Vermeidung von Doppelungen wie überhaupt die Straffung des Materials im Augen haben sollen, aber auch zahlreiche Druckfehler und Versehen beseitigen können. Gleichwohl: Aune hat ein großes Werk vorgelegt.