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Ausgabe:

Februar/2014

Spalte:

182–184

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Byassee, Jason

Titel/Untertitel:

Praise Seeking Understanding. Reading the Psalms with Augustine.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2007. XIV, 290 S. = Radical Traditions. Kart. US$ 32,00. ISBN 978-0-8028-4012-7.

Rezensent:

Peter Walter

Es ist Mode geworden, der historisch-kritischen Exegese mangelnde pastorale Tauglichkeit und geistliche Unfruchtbarkeit vorzuwerfen und an ihrer Stelle eine andere, kirchlichere, ganzheitlichere oder wie auch immer geartete Schriftauslegung zu fordern. Jason Byassee, der Vf. des vorliegenden Buches, das aus einer an der Duke University in Durham, North Carolina (USA), angefertigten Dissertation hervorgegangen ist, stößt durchaus in dieses Horn, aber man sollte ihn nicht darauf reduzieren. Dazu wägt er das Für und Wider doch zu differenziert ab. Er möchte die historisch-kritischen Bibelkommentare keineswegs vernichten, sondern sie durch andere ergänzen. Wie zahlreiche seiner Gesinnungsgefährten hat er in der Begegnung mit der patristischen Schriftauslegung eine Art Erweckungserlebnis erfahren. Indem er die augustinischen Enarrationes in psalmos und deren Zugangsweise zum biblischen Text vorstellt, möchte er dazu anregen, »[to] read the Psalter like St. Augustine« (11), und die Fruchtbarkeit dieses Ansatzes zeigen. Aber er verschließt die Augen nicht vor den Problemen, die sich ihm dabei stellen.

Das Buch beginnt mit einem Überblick über das »Return to Allegory-Movement« in den USA, dem der Vf. Theologen unterschiedlicher konfessioneller Zugehörigkeit wie den Methodisten David Steinmetz, den Orthodoxen Andrew Louth, die Anglikaner Stephen Fowl und Lewis Ayres sowie die beiden römischen Katholiken Robert Wilken und Nicholas Lash zurechnet, denen er allesamt eine Art anglikanischer via media zwischen dem protestantischen Primat des Wortes und der katholischen Betonung des Sakramentes und des kirchlichen Lehramtes bescheinigt. Es ist zu fragen, ob er dem Anliegen dieser Gruppe und seinem eigenen mit dem Rück­griff auf das in der Geschichte der Schriftauslegung doch sehr di­ver­gente Modell der Allegorie bzw. Allegorese einen Gefallen tut.

Mit den Arbeiten dazu, die keineswegs ein einheitliches Bild ergeben, könnte man eine eigene Bibliothek füllen. Der Vf. möch-te mit der Empfehlung der allegorischen Auslegung der metho­-dischen Verengung auf die ausschließliche Suche nach der Autorin-tention entgegenwirken. Rennt er damit bei der heutigen Exegese nicht offene Türen ein bzw. zeigt, dass sein Bild der historisch-kritischen Exegese selber eindimensional ist? Augustins Psalmenauslegung ist durch und durch christologisch. Der Vf. spricht von »representational christology« (73), da Christus die Menschheit vor Gott und Gott gegenüber den Menschen repräsentiere. Ja, Christus repräsentiere für Augustinus die Menschen nicht nur, er verwandle sie (»transfigures« [ebd.]). Das ist ohne Zweifel eine dogmatisch korrekte Einsicht, aber ergibt sie sich aus der Exegese der Psalmen? Handelt es sich dabei nicht eher um eine »Eisegese« einer anderswo gewonnenen Einsicht in einen biblischen Text, der heutigen Interpreten unter gegenüber Augustinus veränderten hermeneutischen Rahmenbedingungen für eine solche Auslegung nicht mehr zur Verfügung steht? Es ist kein Wunder, dass in einem Werk, das sich den ästhetischen Idealen der »Radical Orthodoxy« verbunden fühlt, auch dem Thema der »Schönheit« ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Bereits der Obertitel des Buches »Praise Seeking Understanding«, der das von Anselm von Canterbury im Rückgriff auf Augustinus geprägte Wort fides quaerens intellectum im Hinblick auf die den Vf. leitende Absicht abwandelt (laus quaerens intellectum [199]), stimmt darauf ein und scheint auf den ersten Blick gut gewählt. Doch bei genauerem Hinsehen könnte man fragen, ob die Psalmen wirklich auf das Thema Lobpreis eingeengt werden können. Gibt es nicht auch eine Menge Klagelieder darunter? Freilich, es geht dem Vf. weniger um vordergründige Schönheit als um die Einbeziehung der Affekte, wie sie in der klassischen Rhetorik eine tragende Rolle spielten, die nicht nur belehren, sondern auch bewegen und erfreuen wollte. Die gegenwärtige Exegese dagegen hält er für langweilig (131). Eine durchgehende Allegorisierung eines biblischen Textes steht jedoch nicht weniger in der Gefahr, zu einer geistlosen Technik zu entarten, und es fragt sich, ob dies nicht auch für die zeitgenössischen Rezipienten häufig der Fall war.

Es spricht für den Vf., dass er dem Antijudaismus, den Augustinus gerade in den Enarrationes in psalmos an den Tag legt, nicht ausweicht, sondern sich diesem Problem in einem eigenen Kapitel stellt. Er meint, die antijudaistischen Entgleisungen des Kirchenvaters mit dessen eigenen Mitteln, vor allem mit dessen Christologie, überwinden zu können. Aber liegt nicht gerade in der konsequent christologischen Deutung des Psalters die Ursache für die einseitig vereinnahmende Lektüre dieses Textes der hebräischen Bibel durch die Christen? Muss eine heutige Psalmenexegese nicht die historischen und textkritischen Probleme, die nicht nur der hebräische Text, sondern auch die zahlreichen antiken Übersetzungen aufwerfen, ernst nehmen, statt sie im Gefolge Augustins zu harmonisieren oder hinwegzuerklären? Aber solche Fragen stellt der Vf. nicht, der übrigens in seinem ganzen Buch sämtliche Augus­tin-Zitate aus englischen Übersetzungen schöpft. Bei der Literatur ist es ähnlich. Zwar werden hier auch Autoren anderer Sprachen wie etwa Henri de Lubac, Jean Daniélou und Hans Urs von Bal­-thasar herangezogen, aber nur, insoweit ihre Werke ins Englische übersetzt sind. Das bislang nur auf Deutsch vorliegende gewichtige Werk von Michael Fiedrowicz: Psalmus vox totius Christi. Studien zu Augustins »Enarrationes in psalmos«, Freiburg 1997, wird zwar mit gehörigem Lob bedacht (59, Anm. 12), dann aber, wenn ich recht sehe, nur noch an zwei, allerdings nicht im Namen- und Sachregister genannten Stellen (108, Anm. 24; 198, Anm. 8) argumentativ einbezogen. Ein hilfreiches Verzeichnis der behandelten Psalmstellen (290) rundet das Werk ab.

Insofern es dem Vf. um understandig als Ziel der Schriftauslegung geht, kann man ihm voll und ganz zustimmen. Seine Absicht jedoch, die Bibel wie ein bestimmter Kirchenvater verstehen und damit hinter die neuzeitliche theologische Arbeitsteilung zurückgehen zu wollen, erscheint problematisch. Nicht umsonst gibt es in der Theologie unterschiedliche Aufgaben und Methoden. Exegese, Patrologie, Sys­tematische Theologie und Homiletik – um nur diese für das vorliegende Buch einschlägigen theologischen Fächer zu nennen – un­terscheiden sich und dürfen, ja sollen dies tun. Jede dieser Disziplinen leistet ihren ebenso spezifischen wie unersetzlichen Beitrag dazu, dass der christliche Glaube heute verantwortet bezeugt und verkündet werden kann. Vielleicht liegt das Problem derer, die ein Ungenü gen an der heutigen Exegese empfinden, darin, dass sie diese überfordern. Der Blick in die Geschichte der Schriftauslegung wie der Theologie als Ganzer ist dann hilfreich, wenn er nicht vergisst, dass man nicht zweimal in denselben Fluss steigen kann.