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Ausgabe:

Februar/2014

Spalte:

165–168

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Dunand, Françoise, u. Christiane Zivie-Coche

Titel/Untertitel:

Die Religionen des Alten Ägypten. Übers. v. M. Lauble.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2012. 768 S. m. Ktn. = Die Religionen der Menschheit, 8. Kart. EUR 179,00. ISBN 978-3-17-019942-2.

Rezensent:

Joachim Friedrich Quack

Das Buch stellt eine umfassende Behandlung ägyptischer Religion dar. Dabei ist der im Titel gewählte Plural »Religionen« durchaus explizites Programm. Wie die Autorinnen genauer erläutern, geht es ihnen dabei darum, dass spätestens ab dem 7. Jh. v. Chr. aufgrund der Anwesenheit von Ausländern in Ägypten mehrere verschiedene Religionen nebeneinander existierten. Nach einer kurzen Einführung, in der Methodenfragen und grundsätzliche Gegebenheiten der verfügbaren Quellen angesprochen werden, werden zunächst unter dem Titel »Die Religion der Anfänge« die spröden Quellen der Vorgeschichte und der ersten beiden Dynastien behandelt. Davon abgesehen ist die Darstellung eher systematisch nach thematischen Komplexen angeordnet, während historische Ent wicklungen weniger herausgearbeitet werden. Am ehesten ge­schieht dies noch in dem anschließenden Kapitel »Religion und Macht«, das insbesondere die Verbindungen zum Königtum be­handelt. Hier ist gerade die Behandlung der griechisch-römischen Zeit ziemlich detailreich.

Anschließend wird zunächst im Abschnitt »Die Welt der Götter« Grundsätzliches zu den Göttern gesagt; auch einige der besser be­zeugten Mythen kommen zur Sprache und die Amarna-Episode wird angesprochen. Im nächsten Kapitel »Bilder von der Welt« geht es insbesondere um Schöpfungsvorstellungen. Die Sektion »Die Götterverehrung« behandelt den offiziellen Kult in den Tempeln, Rituale und Feste. Darauf folgt in »Die persönliche Frömmigkeit« ein in seiner Definition besonders problematisches Thema; die Autorinnen bringen hier so disparate Dinge wie Hauskulte, Wall fahrten, Orakelpraktiken, Traumdeutung und Magie unter. Im Kapitel »Der Tod und die Toten« finden sich vorrangig Fragen der Praktik; die Behandlung gerade der großen funerären Textkorpora ist vergleichsweise kurz geraten.

Unter »Die Religionen in einer sich wandelnden Welt« werden recht ausführlich das Judentum sowie das frühe Christentum in Ägypten dargestellt. Und schließlich findet sich unter dem Titel »Die ägyptische Religion im Spiegel der Interpretationen« ein Überblick insbesondere über klassisch-antike Darstellungen Ägyptens, esoterische Sichtweisen sowie eine Diskussion der Thesen über den Zu­sammenhang zwischen Echnaton, Moses und dem Mo­­notheis­mus.

Register decken Götternamen, antike Personennamen, moderne Forscher und Ortsnamen ab (ein Sachregister fehlt). Dabei werden zu den Göttern in alphabetischer Abfolge auch kurze Charakterisierungen geboten. Das vor das Literaturverzeichnis gestellte Quellenverzeichnis (692–697) ist leider unbrauchbar, weil lediglich die zitierten Stellen als solche aufgeführt sind, aber die entscheidende Information fehlt, nämlich auf welcher Seite des Werkes sie behandelt sind.

Der Rezensent sieht hier und da Details anders und möchte dies zu­mindest an einigen Punkten illustrieren. Hinsichtlich der S. 115 vorgetragenen Interpre­tation des Gott-Zeichens im Zeichenpapyrus von Tanis sei auf die Korrektur in J. F. Quack, JAEI 5 (2013), 29 verwiesen. Während auf S. 160 behauptet wird, die Übersetzung der Formel »der eine, der sich zu Millionen macht« biete keine Übersetzungsschwierigkeiten, sei auf J. F. Quack, in: L. Gestermann, H. Sternberg-el Hotabi (Hrsg.), Per aspera ad astra. Wolfgang Schenkel zum neunundfünfzigsten Geburtstag (Kassel 1995), 121 mit Anm. 38 verwiesen, wo gezeigt wird, dass die Formel vielmehr als Vergangenheit »der eine, der sich zu Millionen gemacht hat« zu verstehen ist. Die auf S. 547 vertretene Ableitung der Unterweltsbücher aus dem Zweiwegebuch hält der Rezensent für dezidiert falsch; das Zweiwegebuch hat eine ganz andere Thematik (vgl. Quack, JAOS 126 [2006], 594–596), und gerade der Versuch, es in eine Linie mit Texten wie dem Amduat zu bringen, hat in der heiklen Datierungsdiskussion sehr ungünstig gewirkt. Gegen S. 654 ist der Tat der hermetischen Dialoge keineswegs mit Thot identisch, sondern vielmehr der personifizierte Djed-Pfeiler von Memphis. Der auf S. 670 erwähnte Hymnus an Amun, der angeblich aus der Amarnazeit stammt, ist, wie eine Überprüfung der Referenz rasch zeigt, vielmehr der be­kannte Hymnus des Suti und Hor aus der Zeit Amenhoteps III.

Ungeachtet solcher kleiner Meinungsverschiedenheiten, die in einer historischen Geisteswissenschaft kaum zu vermeiden sind, hält der Rezensent das Werk für eine sehr wichtige Darstellung, wobei als besonders lobenswert die inhaltsreiche und kompetente Behandlung auch der späten Epochen Ägyptens hervorzuheben ist. Doch gibt es einen wunden Punkt. Nach eigener Angabe (4) handelt es sich um eine Übersetzung aus dem Französischen, ohne dass explizit gemacht wird, worauf sie beruht. Tatsächlich ist es eine aktualisierte und überarbeitete Fassung dessen, was unter dem Titel »Dieux et hommes en Égypte« Paris 1991, 22006 erschienen ist. Dabei wird diese neue Fassung einstweilen nur in deutscher Übersetzung zugänglich sein. Insofern sollte sie eigentlich das Werk sein, auf das man prioritär rekurriert. Leider hat es einen wesentlichen Nachteil, nämlich die gelegentlich problematische Qualität der Übersetzung. Teilweise wirkt die Ausdrucksweise etwas un­-idiomatisch und lässt den französischen Ausgangstext noch zu deutlich durchscheinen, teilweise wählt der Übersetzer Ausdrücke, die im Fach unüblich und gelegentlich direkt unzutreffend sind.

Ein besonders eklatanter Fehlgriff findet sich auf S. 404, wo nur wenige Leser erahnen werden, dass sich hinter der Göttin »Or« das französische Wort für »Gold« verbirgt. Auf S. 115 ist »Valeurs« unübersetzt stehengeblieben. S. 51 bietet im deutschen Text eine »Volkszählung«, obgleich der »census« des Originals sich tatsächlich auf eine Viehzählung bezieht. Zumindest unglücklich ist S. 535 ausgefallen, wo der übersetzte Text behauptet, man habe die Komposition oft als »negative Beichte« bezeichnet – der übliche Ausdruck der deutschsprachigen Ägyptologie ist vielmehr »negatives Sündenbekenntnis«. Die Beispiele ließen sich leicht vermehren.

Ein Spezialproblem der Übersetzungsstrategie stellen die Zitate ägyptischer Quellen dar. Hier hat der Übersetzer normalerweise nicht den französischen Basistext übersetzt, sondern existierende deutsche Übersetzungen verwendet – gelegentlich auch mit expliziter Angabe von Divergenzen der Auffassung (z. B. 433, Anm. 22). Gelegentlich hat der Übersetzer nicht die beste deutsche Übersetzung gefunden, so auf S. 439, wo die verbesserte Übersetzung durch J. F. Quack, Demotische magische und divinatorische Texte, in: B. Janowski, G. Wilhelm (Hrsg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Neue Folge Band 4. Omina, Orakel, Rituale und Be­schwörungen (Gütersloh 2008), 331–385, dort 360 f., übersehen ist. Richtiggehend änigmatisch wird es allerdings z. B. auf S. 452, Anm. 296 oder S. 457, Anm. 316, wo der Übersetzer angibt »dt. nach Preisendanz, II, 133« bzw. »dt. nach Preisendanz, II, 105–107«, obgleich der betreffende Passus bei Preisendanz gar nicht vorhanden ist.

Eigentliche Druckfehler sind demgegenüber eher selten und erscheinen vorwiegend da, wo der gedruckte Text orthographisch richtig, wenngleich sachlich falsch ist: so auf S. 70 (korrigiere 30. Dy­nastie in 20. Dynastie), S. 297 (das letzte demotische Graffito datiert auf 452, nicht 450 n. Chr.) oder auf S. 547 (korrigiere Ramses IV. in Ramses VI.). Auf S. 146, Anm. 100 und S. 241, Anm. 95 sind intendierte Querverweise nicht eingesetzt.

Angesichts dieses Befundes bleibt der Gesamteindruck etwas zwiespältig. Sicher handelt es in mancherlei Hinsicht um eine der besten verfügbaren Gesamtdarstellungen ägyptischer Religion, aber die handwerklichen Mängel der deutschen Fassung machen sie nur bedingt empfehlenswert (auch wenn sie in Teilen aufgrund der Überarbeitung den verfügbaren französischen Versionen überlegen ist). So bleibt letztlich die Hoffnung auf eine (vielleicht nochmals überarbeitete) neue französische Fassung.