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Ausgabe:

Juni/1999

Spalte:

600–602

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Khosroyev, Alexander

Titel/Untertitel:

Die Bibliothek von Nag Hammadi. Einige Probleme des Christentums in Ägypten während der ersten Jahrhunderte.

Verlag:

Altenberge: Oros 1995. X, 195 S. 8 = Arbeiten zum spätantiken und koptischen Ägypten, 7. Kart. DM 60,-. ISBN 3-89375-107-6.

Rezensent:

Siegfried G. Richter

Seit im Jahre 1945 die Bibliothek von Nag Hammadi entdeckt wurde, lieferten die 13 Codices mit ihren 52 Traktaten den Anstoß für eine Vielzahl von Untersuchungen. Rankten sich die inhaltlichen Diskussionen u. a. um die Art des gnostischen Charakters der einzelnen Schriften, ihr Alter oder die Frage nach der Wechselbeziehung zwischen Gnosis und Christentum, so stand gleichzeitig die historische Verortung der Bibliothek, also ihre Entstehung, Führung und Bewahrung als aufzuklärende Frage im Raum. Da archäologische Grabungen in den 70er Jahren in der Nähe des vermeintlichen Fundortes keine Ergebnisse einbrachten, vermag nur noch die Sammlung als solche (also Textinhalt und Schriftträger) Aufschluß über deren "reale" Geschichte zu geben.

Die Untersuchung von Khosroyev dreht sich um das "koptische Milieu", in dem die Bücher angefertigt wurden, behandelt ihre technischen Charakteristika sowie die Sprache der Texte und versucht der Frage nach den möglichen Besitzern nachzugehen. Das letztlich entstandene Bild zum Forschungsstand beinhaltet nicht nur eine Analyse vieler Problemstellungen, sondern bietet auch mögliche Antworten, so daß das Buch bereits als Einleitungs- und Studienbuch zur Bibliothek von Nag Hammadi empfohlen wurde.

Im 1. Kapitel wird das Problem des Ursprungs der Bibliothek unter dem Gesichtspunkt behandelt, daß sich die Sammlung "allmählich aus verschiedenen Bücheranschaffungen bildete" (3). Aufgrund verschiedener Beobachtungen anhand der Paläographie, der Zusammensetzung der Traktate in den einzelnen Codices, der sich in den Bucheinbänden als Verstärkung befindlichen Papyri, aber auch z. B. des Kolophons von Codex VI werden drei, teils aus Codices unterschiedlicher Herkunft bestehende Sammlungen und zwei Einzelcodices unterschieden: Sammlung A (Codices II, VI, IX, XIII und vielleicht X); B (IV, V, VIII); C (I, VII, XI) sowie die Einzelcodices III und XII. Die Recherchen beinhalten Erklärungen zu Phänomenen wie der teils unterschiedlichen Schriftdichte und beziehen den vorauszusetzenden Kontext der Enstehung mit ein, das heißt die Wechselwirkung zwischen den Wünschen eines Auftraggebers und der Herstellung in einem Skriptorium.

Im 2. Kapitel beschäftigt sich der Autor unter Berücksichtigung der handschriftlichen Tradition mit dem Problem der verschiedenen Dialektmischungen oder -einflüssen in den aus griechischen Originalen entstandenen Texten. Das Problem besteht darin, daß sich in der Bibliothek in zwei Dialekten geschriebene Texte befinden (Sahidisch und Subachmimisch/ Lykopolitanisch), sich sahidische Texte subachmimisiert und subachmimische sahidisiert zeigen sowie Einflüsse anderer Dialekte nachzuweisen sind (27). In der Auseinandersetzung mit dieser Thematik, in deren Verlauf die verschiedenen Versionen von Schriften wie dem Apokryphon des Johannes oder der Sophia Jesu Christi untersucht werden, wird vertreten, daß im Gegensatz zur Übersetzung biblischer Texte, die von Anfang ihrer Überlieferung an ein hochstandardisiertes Koptisch aufweisen und eine planmäßige linguistische Vorarbeit, wahrscheinlich unter Aufsicht kirchlicher Autoritäten, voraussetzen, für Schriften, die nicht diesem sprachlichen Niveau entsprechen, Skriptorien anzunehmen sind, die keine so hohe Übersetzungs- und Abschreibqualität aufbringen konnten (dadurch auch einem stärkeren Einfluß der Umgangssprache ausgesetzt waren), und unter der Führung freier Gruppen standen, die sich als "wahre Christen" begriffen (38). Die Texte von Nag Hammadi mit all ihren Eigenheiten werden so als Produkt einer vielschichtigen handschriftlichen Überlieferung angesehen, die in den Händen ungebundener, am ehesten im kulturellen Milieu einer Stadt anzusiedelnden Christen mit einem gewissen Bildungsniveau lag.

Im 3. Kapitel wird unter Voranstellung und Ablehnung bisheriger Ansichten die Frage nach den vermutlichen Besitzern und Lesern dieser Texte gestellt. Besonders der Kritik an der These, daß eine nähere Verbindung zu den pachomianischen Klöstern bestanden habe, wird viel Raum gegeben, was als Frucht zu inhaltsreichen Ausführungen zum Pachomianismus und verschiedenen anderen religiösen Gruppen sowie deren Verhältnis zur Orthodoxie etc. führt. Daß gerade diese Argumentation großen Wert besitzt, zeigen seit dem Erscheinen des Buches niedergelegte Ansichten, in denen die eine Seite ihr Erstaunen darüber äußert, wie überhaupt noch jemand an so eine alte These glauben könne (Schenke, JbAC 40, 1997, 241), und die andere fleißig die alten von K. sehr ins Wanken gebrachten Argumente repetiert (Wisse, NHMS 44, 1997, 147).

Das 4. Kapitel befaßt sich mit der Möglichkeit der Wirkung einer Literatur wie der Nag Hammadi Texte auf den Manichäismus. Die vorhandenen Quellen zeigen, daß die Manichäer im letzten Viertel des 3. Jh.s sowohl in Lykopolis als auch in Alexandria ein missionarisches Zentrum besaßen. Da mehreren Quellen zu entnehmen ist, daß sie griechischsprachig waren und griechische Schriften benutzten, ist anzunehmen, daß gerade Alexandria als hellenistische Stadt Zielscheibe ihrer Mission war. Daß christliche Gemeinden zum bevorzugten Objekt ihrer Tätigkeit wurden, steht, betrachtet man die manichäische Literatur oder die christliche Polemik, wohl außer Frage. Zur Erklärung des Umstandes, daß sich selbst die platonische Schule von Lykopolis mit den Manichäern auseinandersetzen mußte, greift der Autor zu der These, daß der Manichäismus in einer "philosophisierenden" Weiterentwicklung einen philosophischen Einschlag erhielt. Aufgrund der Ähnlichkeit in der Begrifflichkeit manichäischer und gnostischer Texte folgert er weiter, daß die manichäischen Übersetzer in "gnostizistischen Kreisen von Alexandria", zu deren Lektüre "eine Literatur von der Art der Nag-Hammadi-Texte" passen würde, ihre "halbphilosophische Schulung" erhalten haben könnten (127).

Die Anhänge des Buches bieten Ausführungen zu den Schreibern der Nag Hammadi Texte, eine Diskussion der termini "Gnostizismus" und "Gnosis" sowie Bemerkungen zu den Antonius-Briefen, die deren "Echtheit" stark in Zweifel ziehen.

Ein Merkmal in der Argumentation dieser Arbeit liegt in der differenzierten Sichtweise, die den Facetten des religiösen Pluralismus im Ägypten dieser Zeit Rechnung zu tragen versucht. Die hervorragende Kenntnis der Quellen sowie die Untersuchung der Charakteristika der Bibliothek von Nag Hammadi führten so zu einem plastischen Entwurf, oder gar einem Panorama, sicherlich aber zu einem Wegweiser, mit dem die Entstehung und Entwicklung dieser Sammlung historisch greifbarer wird.