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Ausgabe:

Januar/2014

Spalte:

134–136

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Stache, Christa u. Wolfgang G. Theilemann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Evangelisch in Altrumänien. Forschungen und Quellen zur Geschichte der deutschsprachigen evangelischen Kirchgemeinden im rumänischen Regat. M. e. Vorwort v. Ch. Klein u. M. Schindehütte.

Verlag:

Sibiu/ Hermannstadt; Bonn: Schiller Verlag 2012. 645 S. m. Abb. Veröffentlichungen des Evangelischen Zentralarchivs in Berlin, 9; Miscellanea ecclesiastica, 9. Geb. EUR 24,90. ISBN 978-3-941271-70-8.

Rezensent:

Gisa Bauer

Der von der ehemaligen Leiterin des Evangelischen Zentralarchivs in Berlin, Christa Stache, und dem langjährigen Leiter des Zentralarchivs der Evangelischen Kirche A. B. in Hermannstadt, Wolfgang G. Theilemann, herausgegebene Band lässt allein schon mit seinem Titel aufhorchen – zu stark ist die allgemeine Assoziation von »evangelisch« und Siebenbürgen, als dass man in Altrumänien ein erwähnenswertes protestantisches Gemeindeleben vermuten würde. Dass dem dennoch so war und die evangelischen Gemeinden auf altrumänischem Gebiet eine der größten deutsch-evangelischen Auslandsdiasporagemeinschaften in Europa bildeten (26), so Stache und Theilemann in der Einleitung, zeigt der voluminöse Sammelband deutlich. Bemerkenswerterweise gerieten diese evangelischen Gemeinden bisher kaum in den Fokus wissenschaftlicher Untersuchungen, wie der Überblick zur Forschungslage (27–33) belegt – ein Umstand, der nach Lektüre des Bandes nahezu unverständlich erscheint.
Das Buch ist in drei Teile gegliedert, von denen der erste historischen Entwicklungen gewidmet ist, ein weiterer der archiva­lischen Situation und der dritte erstmalig edierte Quellentexte präsentiert. Dadurch wird ein mehrdimensionales Bild der historischen Entwicklungen der evangelischen Gemeinden in Altrumänien entwickelt, das nicht nur erste Einblicke in ein bisher vernachlässigtes Forschungsfeld bietet und dezidiert zu weiteren Untersuchungen anregen will, sondern das selbst bereits eine große Tiefenschärfe entwickelt, so dass sich der Band mitunter nahezu als Kompendium zum Thema evangelische Kirche/Gemeinden in Altrumänien liest. Insgesamt besticht der Sammelband nicht nur durch die Vielfalt seiner inhaltlichen Themen sowie die me­thodischen Zugänge einerseits und seine innere Stringenz andererseits, sondern auch durch die gute Lesbarkeit und die Eloquenz der Darstellung der meisten Beiträge.
Die meisten der unter historischen Gesichtspunkten versammelten Aufsätze des ersten großen Kapitels gehen auf eine Tagung zurück, die 2007 in der Evangelischen Akademie in Neppendorf (Rumänien) stattfand, und werden eingeleitet von Christa Staches Darstellung des Verhältnisses des Evangelischen Oberkirchenrates der altpreußischen Union und der altrumänischen deutschen evangelischen Gemeinden (41–64) sowie dem Aufsatz »Arbeitsmigranten, ›Agenten‹ und ›Verräter am Volkstum‹ – die evangelischen Stadtgemeinden Altrumäniens zwischen Ethnie und Kirche« (65–97) von Wolfram G. Theilemann. In diesen beiden Beiträgen werden bereits wesentliche Aspekte deutlich, die in verschiedener Akzentuierung in allen Aufsätzen des Bandes eine Rolle spielen, nämlich die originäre soziale Gemengelage in Rumänien, speziell in Altrumänien, hinsichtlich der Überschneidung religiöser und ethnischer Formationen und ihrer dauerhaft stabilen Deckungsgleichheit – das wird von wenigen Ausnahmen nur bestätigt. Dies führte zu einer ganz speziellen Mischung von kirchlichen, nationalen und politischen Interessen bis hin zu politischer Manipulation im kirchenpolitischen Gewand. Für Siebenbürgen sind derartige Konstellationen hinreichend belegt, aber für die evangelische Kirche in Altrumänien fehlten dazu bisher umfassende und detaillierte Forschungen. Ebenso deutlich wird die große Bedeutung der Unterstützung der altrumänischen Gemeinden durch deutsche Institutionen und Personen und die teilweise starke Abhängigkeit der Gemeinden von diesem Engagement. Darüber hinaus wird das wechselvolle und spannungsreiche Verhältnis der evangelischen Kirche in Siebenbürgen zu den evangelischen Gemeinden im Altreich beleuchtet.
Die Eindrücke, die die Beiträge von Stache und Theilemann hervorrufen, finden ihre Vertiefung in den folgenden Lokalstudien der Augsburger Historikerin Andrea Schmidt-Rösler über »Die deutschen evangelischen Gemeinden in der Dobrudscha« (98–121), der Herausgeberin Christa Stache über »Die deutsche evangelische Kirchgemeinde in Atmagea. Eine preußische Ge­schichte im Os­-manischen Reich« (122–144) sowie des rumänischen Sozialwissenschaftlers und Historikers Daniel Banner über »Die deutschsprachigen evangelischen und römisch-katholischen Kirchengemeinden im Donauhafen Turnu Severin ca. 1833–1939« (145–179).
Dem schließt sich die biographiegeschichtlich ausgerichtete Studie über den Bukarester Stadtpfarrer Hans Petri (1880–1974) (180–205) an, dargestellt vom ehemaligen Stellvertretenden Direktor des »Hauses des deutschen Ostens« in München, Udo W. Acker, gefolgt von zwei zeitgeschichtlichen Untersuchungen, zum einen der des Bukarester Pfarrers Andrei Pinte und zum anderen der des Bischofsvikars der Evangelischen Kirche A. B. Daniel Zikeli über »Erbe, Verlust und Verpflichtung: die Evangelischen Kirchengemeinde A. B. Bukarest in den Jahren 1944–1965« (206–234) und die »›Geschwister jenseits der Karpaten‹ – Die evangelischen Kirchengemeinden A. B. im rumänischen Altreich heute« (235–266).
Ausgesprochen originell im Kontext des Buches ist das zweite große Kapitel mit seiner Fokussierung auf die archivalische Lage zum Thema »Evangelisch in Altrumänien«. Drei Aufsätze, zwei von Wolfram G. Theilemann und einer von dem Münsteraner Oberstaatsarchivrat a. D. Wolfgang Knackstedt, gehen auf verschiedene Aspekte der schwierigen archivalischen Situation bezüglich der evangelischen Gemeinden Altrumäniens ein: »›Ein Archiv gibt es dort nicht!‹ – Überlieferungsgeschichte und Erschließung der evangelischen Gemeindearchive Altrumäniens 2004–2010« (267–355), »›Et habent sua fata archiva.‹ – Zur Verzeichnung des Archivs des evangelischen Bezirkskonsistoriums A. B. Bukarest in 2007« (356–373) und »Reste mit Zukunft? Ergebnisse des Low-Budget-Projektes Altrumänien 2004–2010« (374–404). Diese Beiträge liefern in erster Linie zukünftigen Forschern und Forscherinnen ausgesprochen komfortabel einen detaillierten Eindruck von der zu erwartenden Archivsituation und Antwort auf die Frage, wo welche Dokumente zu finden sind, darüber hinaus aber auch weitere Impressionen zur Geschichte und zu den Mentalitäten der evangelischen Gemeinden Altrumäniens.
Im letzten großen Kapitel (405–596) präsentieren und kommentieren die Herausgebenden des Sammelbandes 17 wenig bekannte bzw. schwer zugängliche Quellendokumente, speziell Reiseberichte, Generalvistitationsberichte der ersten Hälfte der 1920er Jahre sowie diverse Berichte und Dokumente zu den Gegebenheiten in verschiedenen evangelischen Gemeinden in der Zeit 1939 bis 1977, die den Facettenreichtum des evangelischen Lebens in Altrumänien illustrativ aufscheinen lassen und weitergehenden Forschungen den Weg ebnen. – Hinzu kommen Fotos (zwischen den Seiten 320 und 321), eine Übersichtskarte zur administrativen Gliederung der evangelischen Kirche in Großrumänien im Jahr 1922, Chronologien der Zeit von ca. 1840 bis 2010 von elf Stadtkirchengemeinden (603–629) und jeweils ein Orts- und Personenindex, so dass der Band keine Fragen und Wünsche offen lässt.
Eine gelungene Präsentation findet dieses profunde und vielschichtige Buch, das die Forschungen zur evangelischen Kirche in Rumänien generell ungemein bereichert, in der ansprechenden Verarbeitung des Hermannstädter Schillerverlags.