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Ausgabe:

Januar/2014

Spalte:

132–134

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Roth, Norbert

Titel/Untertitel:

Das Bischofsamt der evangelischen Kirche.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2012. 398 S. Kart. EUR 49,00. ISBN 978-3-7887-2555-6.

Rezensent:

Martin Hein

Während die ökumenische Literatur zum kirchlichen Amt kaum noch überschaubar ist, war eine umfassende Darstellung, wie das Bischofsamt evangelisch gedeutet und sein Verständnis für den interkonfessionellen Dialog fruchtbar gemacht werden könne, bisher eher selten. Diesem Umstand sucht die von Walter Sparn be­treute und 2010 vom Fachbereich Theologie der Philosophischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg angenommene Dissertation von Norbert Roth abzuhelfen. Die Tatsache, dass ich als der Rezensent selbst Inhaber eines solchen Amtes bin, hat beim Lesen eine nicht unwichtige Rolle gespielt: Was erfahre ich über das Amt, das ich wahrnehme?
Allein, die Lektüre beginnt mit einer Enttäuschung! Denn suggeriert der vom Verlag gewählte Titel einen weiten Blick auf das evangelische Bischofsamt, wie es sich historisch in Deutschland, aber auch in anderen Kontexten entwickelt hat, so lautete die ursprüngliche Aufgabenstellung der Dissertation weitaus ehrlicher: »Das Bischofsamt der Kirche; Anspruch und Wirklichkeit des bischöflichen Dienstes in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern im ökumenischen Vergleich«. Die Sicht ist also – entgegen dem verlegerischen Trick – begrenzt, und nur selten blickt R., zu­ mindest was evangelische Ausprägungen des Amtes Leitender Geistlicher angeht, über Bayern und das Luthertum hinaus. Das mag aus inhaltlichen Gründen nachvollziehbar sein, aber dann sollte es von vornherein gesagt werden!
R. verbindet mit der Beschreibung und Analyse des Bischofsamts in seiner bayerischen Heimatkirche und dem Vergleich mit Gestaltungsformen des Bischofsamts in anderen Konfessionskirchen (römisch-katholisch, orthodox, anglikanisch und methodis­tisch) einen explizit ökumenisch ausgerichteten Anspruch: Mit seiner Fragestellung will er aufzeigen, »wie die sichtbare Einheit der Kirche als Zeichen für das Reich Gottes noch in dieser Welt Wirklichkeit werden kann, und welchen Beitrag die Lösung der Frage nach dem Bischofsamt […] dazu zu leisten vermag.« (12) Dieses anspruchsvolle Programm sucht R. methodisch in drei Schritten, in die sich das Buch gliedert, zu erfüllen.
Entsprechend der empirischen Wendung in der Praktischen Theologie besteht das erste Drittel (43–162) aus der Darstellung und Auswertung von strukturierten Interviews, die R. mit sieben Trägerinnen und Trägern des bischöflichen Amts im evangelischen Bayern (Landesbischof und Regionalbischöfe) sowie drei weiteren Bischöfen und einer Bischöfin aus den Kirchen der Ökumene – diese gewissermaßen als Kontrapunkt bzw. Korrektiv – geführt hat und die – durch Siglen nur unzureichend anonymisiert (was die Lust am Dechiffrieren erhöht!) – ausführlich zu Wort kommen. Nicht nur methodisch ist die Frage, was Bischöfe eigentlich tun, völlig legitim. Allein: Die mündlichen Antworten geben in ihrer fröhlichen, oft jedoch recht unpräzisen Spontaneität zuallererst ein Abbild der jeweiligen Personen, die das Amt bekleiden – und die sind, wen wundert es, verschieden. Entsprechend differiert auch das Verständnis des Bischofsamts. Das ist nichts Neues, wird aber durch R.s Darlegung anschaulich untermauert. Ein einheitliches Verständnis der Aufgaben und der Wahrnehmung des Bischofsamts gibt es selbst in einer überschaubaren Größe wie der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern nicht – und auch nicht in der Ökumene, selbst wenn in manchen Kirchen das Bischofsamt konstitutiv für das Kirche-Sein der Kirche ist. Kritisch ist anzumerken, dass gleichwohl der Erkenntnisgewinn, von den mündlichen Antworten eines einzigen Landesbischofs und einer überschaubaren Anzahl bayerischer Regionalbischöfe auf »das« Bischofsamt zu schließen, trotz der Einsicht in die Notwendigkeit und Bedeutung empirischer Wahrnehmung letztlich fraglich bleibt. Ob es der em­pirischen Erhebung nicht besser getan hätte, wenn die Antworten auf den vorgelegten Fragenkatalog schriftlich erfolgt wären?
Verhältnismäßig kurz gerät der zweite Teil, der das »evange­lische Bischofsamt in der Geschichte Bayerns« beschreibt (163–204). Viel Bekanntes wird aus der zweibändigen »Geschichte der Evangelischen Kirche in Bayern« (hrsg. v. Gerhard Müller et al., I, 2002/II, 2000) referiert und mit knappen prosopographischen Bemerkungen zu den Leitenden Geistlichen bis hin zu Landesbischof Johannes Hanselmann garniert, um am Schluss die Beweggründe zu erläutern, warum es in Bayern anstelle der Bezeichnung »Kreisdekan« zu der des »Regionalbischofs« – und damit zu einem weiteren explizit bischöflichen Amt – kam.
Ausgesprochen kenntnisreich, wenn auch bisweilen überaus kleinteilig stellt R. im dritten Teil seines Buches »Das bischöfliche Amt in lutherischen Verlautbarungen« (206–265) und »im ökumenischen Gespräch« (265–317) dar. Inhaltlich ist damit die Schwierigkeit verbunden, dass viele diesbezügliche Veröffentlichungen zwar die Bedeutung des kirchlichen Amts – sei es eher im Miteinander mit der Gemeinde, sei es eher als Gegenüber – betonen, das Bi­schofsamt aber oft eigens nicht thematisieren. Anders gewendet: Kirchen, die ein entfaltetes Amtsverständnis haben, brauchen noch lange kein explizites »Bischofs«-Amt mit all den damit verbundenen besonderen Konnotationen und Anmutungen! Das weiß auch R., sieht aber in der Tatsache, dass alle Kirchen geistliche Leitung durch Personen kennen, eine große ökumenische Gemeinsamkeit. Die Leitungsfrage als solche sei nicht kirchentrennend (315). Aber dann folgert er: Die Durchsicht der interkonfessionellen Verlautbarungen zeige, »dass der Grundkonsens zwischen den Kirchen in dem liegt, dass die Kirche ein Bischofsamt haben sollte« (316). Hätte R. von »geistlichem Leitungsamt« gesprochen, könnte ich ihm unmittelbar zustimmen. Aber das »Bischofsamt«? Es haben sich nun einmal auch andere Gestaltungsformen und Amtsbezeichnungen der episkopé im Protestantismus herausgebildet. Das sollte in den ökumenischen Dialogen mit episkopalen Kirchen nicht als Defekt gewertet, sondern als legitime innerevangelische Entfaltung respektiert werden.
Im Schlussteil (318–376) bündelt R. den Ertrag seiner Analysen und Interpretationen auf dem Hintergrund von CA XXVIII. Interessanterweise konzediert er hier, »eine mögliche ökumenische Chance« bestünde darin, »dass der Begriff Episkope nicht verengt würde auf den Episkopat, sondern dass die Episkope in der Kirche neben der personalen Episkope eben auch durch synodale und kollegiale Elemente wahrgenommen werden kann« (343). Wie nun? Es sollte doch alles am »Bischofsamt« hängen? Erneut tritt m. E. eine begriffliche Unschärfe zutage, die R.s Argumentation phasenweise durchzieht: Episkopé bedeutet eben mehr als »Bischofsamt«!
Als Hauptaufgaben des eigentlichen Bischofsamts sieht R. Ordination, Kirchenzucht und Lehrzucht (351–358). Das ist keineswegs ungewöhnlich, lässt aber die Frage aufkommen, ob und in welcher Weise diese Aufgaben in evangelischen Kirchenordnungen auch an­ders geregelt sein können, ohne dass solche Kirchen kongregationalistisch verfasst sein müssten. R. jedenfalls sieht in der Tatsache, dass jede Sozialgestalt der Kirche Leitung benötige, die Herausforderung, dass sich die Konfessionskirchen strukturell annähern können. Das »satis est« von CA VII, das eine prinzipielle Ge­staltungsfreiheit impliziere, müsse von CA XXVIII her gelesen werden.
Ausgehend von seiner Leitidee, dass die sichtbare Einheit der getrennten Konfessionskirchen möglich sei, kommt R. am Schluss zu dem Fazit: »Letzten Endes steht und fällt alles mit dem Willen für die sichtbare Einheit. Gerade in der Frage nach dem Bischofsamt, die eine dezidierte Frage nach der Autorität in der Kirche ist, braucht es den Willen der Autoritätsträger, das heißt der Bischöfe, um den Willen zur sichtbaren Einheit der Kirche zu verinnerlichen und tatsächlich auch umzusetzen.« (376)
Ob ich das wirklich »wollen« soll, ist mir auf dem von R. be­schriebenen Weg eher zweifelhaft. Das Buch hinterlässt mehr offene Fragen, als es Antworten zu geben vermag. Aber vielleicht liegt gerade darin sein Beitrag für die weitere ökumenische Diskussion!