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Ausgabe:

Januar/2014

Spalte:

130–132

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Pavlovic, Irena

Titel/Untertitel:

Religion, Gewalt und Medien. Die serbisch-orthodoxe Kirchenpresse in den postjugoslawischen Kriegen.

Verlag:

Erlangen: Christliche Publizistik Verlag 2013. 428 S. = Studien zur Christlichen Publizistik, 21. Kart. EUR 25,00. ISBN 978-3-933992-22-2.

Rezensent:

Martin Illert

In ihrer von Johanna Haberer betreuten Erlanger Theologischen Dissertation legt die serbisch-orthodoxe Theologin Irena Zeltner Pavlovic eine überzeugende Analyse der zwischen dem Ausbruch der Gewalt in Kroatien im März 1991 und dem Friedensschluss von Dayton im Dezember 1995 erfolgten kirchlichen Kriegsbericht­erstattung vor. Ihr Quellenmaterial entnimmt die Vfn. den drei im Auftrag der Serbischen Orthodoxen Bischofssynode publizierten Zeitschriften Pravoslavlje (Orthodoxie), Glasnik (Bote) und Pravoslavni misionar (Orthodoxer Missionar).
Der einleitende Forschungsabriss (25–104) bietet eine kenntnisreiche Auseinandersetzung mit zentralen religions- und politikwissenschaftlichen Ansätzen zur Analyse des Verhältnisses von Re­ligion und Gewalt im Jugoslawienkonflikt. Mit diesem Einstieg hinterfragt die Vfn. kritisch problematische Erklärungsmuster wie etwa den »Primoridalismus«, der den Krieg als kulturellen Konflikt deutet, oder das Konzept »Ethnoreligion«, das ein in osmanischer Zeit entstandenes, bis in die Gegenwart hin wirksames ethnisch-religiöses Be­wusstsein der Konfliktparteien postuliert.
In dem anschließenden theoretischen Abschnitt zur »Rolle der Medien in den gesellschaftspolitischen Umbrüchen und der Ge­walteskalation« (105–134) untersucht die Vfn. kommunikationswissenschaftliche Antworten auf die Frage, »ob es in den Kriegsumständen eine besondere Art der Kommunikation geben« (114) solle, wobei dem »Friedensjournalismus« des norwegischen Friedensforschers Johan Galtung und dem vom österreichischen Sozialpsychologen Wilhelm Kempf entworfenen Modell des »kritischen Friedensjournalismus« besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Kempf vertritt ein zweistufiges Modell: Eine »deeskalationsorientierte Konfliktberichterstattung«, die sich u. a. durch die In­fragestellung von Gewalt als Mittel einer Konfliktlösung und durch die unverzerrte Darstellung der Ziele und Handlungen des Gegners auszeichnet, soll in eine »lösungsorientierte Konfliktberichterstattung« übergehen, bei der der Fokus u. a. auf gemeinsamen Rechten, Zielen und Interessen beider Konfliktparteien liegt. In Anlehnung an dieses Modell sollen die drei genannten Kirchenblätter auf den eskalierenden bzw. deeskalierenden Charakter ihrer Kriegsdarstellungen befragt werden.
Zu Beginn des zweiten Hauptteils der Arbeit bringt die Vfn. durch einen historischen Rückblick knapp in Erinnerung, dass die serbisch-orthodoxe Kirchenpresse im jugoslawischen Staat nach 1945 drei Phasen durchlebte: Auf eine Zeit der staatlichen Repression (1945–53) folgten eine Phase der rechtlichen Stabilisierung bei an­dauernder Zensur (1953–80) und ein Jahrzehnt allmählich nachlassender und schließlich endender äußerer Kontrolle (1980–90). Die Vfn. weist nach, dass die Zahl der Zeitschriften während dieser 45 Jahre zwar allmählich zunahm, die kirchliche Presselandschaft je­doch zu Beginn der 1990er Jahre im Vergleich zur Kirchenpresse der Zeit zwischen 1919 und 1941 »eher bescheiden als beträchtlich« (223) war. Die wenigen vorliegenden Zahlen zur Frage der Rezeption der Kirchenpresse unter Priestern und Laien deuten zudem auf eine geringe Nutzung dieses Mediums hin: »Das breite Publikum verfolgte nicht die kirchlichen Publikationen der Serbischen Orthodoxen Kirche.« (242) Die Wirkung der kirchlichen Blätter sei deshalb »über alle Phasen hinweg als sehr niedrig einzustufen« (243).
In dem anschließenden chronologischen Abriss zu Leitmotiven der Kommunikation in den kirchlichen Publikationen (244–264) zeigt die Vfn., wie zunächst Fragen der inneren Mission die Themen der Blätter bestimmten. Seit den 1980er Jahren erfolgte ein Umbruch, zu dessen Abschluss vielfach »eine äußerst problema­tische Affirmation der nationalen Komponente im Religiösen« (262) zu konstatieren ist. Mit Blick auf diesen Befund argumentiert die Vfn. plausibel, hier zeige sich »kein spezifisch konfessionelles Problem der Orthodoxie«, sondern »ein Spiegelbild des allgemeinen gesellschaftspolitischen Rahmens und eines drastischen Fehlens von theologischer Reflexion über gesellschaftspolitische Fragen«, als deren Grund sie ein »eklatantes Fehlen jeglicher Ressourcen« ausmacht: »Wenn man sich ein halbes Jahrhundert mit der poli­-tischen Sphäre nicht auseinandersetzen durfte, weil es schlicht verboten war, ist es tatsächlich keine Überraschung, dass anachronistische und fragwürdige Topoi […] ans Licht kommen« (263 f.).
Mit der Ausnahme des serbisch-orthodoxen Patriarchen Pavle (1990–2009), der unter Berufung auf die Gottesebenbildlichkeit des Menschen eine deeskalierende Position im postjugoslawischen Konflikt vertrat, stuft die Vfn. die Kommunikation der Kirchenpresse als »unisono eskalierend« (369) ein. Unterschiede der kirchlichen Kriegskommunikation zur Darstellung des Krieges in der weltlichen Presse Serbiens seien kaum auszumachen: »Es ist hervorzuheben, dass im Grunde die gleichen Topoi wie in der staatlichen Propaganda auch in den ausgewählten Blättern der SOK vorkamen« (369). Die Deckungsgleichheit zwischen kirchlicher Kommunikation und staatlicher Propaganda verdanke sich allerdings nicht staatlicher Einflussnahme, sondern sei von kirchlicher Seite aus »selbstgestaltend« (369) erfolgt. Dabei gilt nach Meinung der Vfn. zugleich: »Die Kirchenpresse der SOK konnte nicht konfliktverschärfend auf den Kriegsverlauf wirken, da die Nutzung der Kirchenpresse zu vernachlässigende Zahlen aufweist« (370). Zu­dem sei das Gewicht der versöhnlichen Stimme des Patriarchen un­­gleich höher als das der übrigen Autoren der Kirchenpresse, da Pavle »als eine Figur fungierte, die in breiterer Öffentlichkeit be­kannt war und Vertrauen genoss« (370).
Zum Abschluss ihrer lesenswerten Studie unterstreicht die Vfn. zu Recht, dass keine Religion von der Gefahr des »gewalttätigen re­ligiösen Aktivismus« ausgenommen werden kann (373), und entwickelt im Rückgriff auf Kempf und Galtung das Modell eines »ökumenischen Friedensjournalismus« (382).