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Ausgabe:

Januar/2014

Spalte:

127–128

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Chapman, Mark

Titel/Untertitel:

Anglican Theology.

Verlag:

London u. a.: T & T Clark International (Bloomsbury) 2012. 288 S. = Doing Theology. Geb. US$ 29,95. ISBN 978-0-567-00802-2.

Rezensent:

Hanns Engelhardt

Was häufig, auch von Mark Chapman, dem Vice-Principal des be­kannten Ripon College in Cuddesdon bei Oxford, englische »Reformation« genannt wird, unterscheidet sich grundlegend von den von Wittenberg, Zürich und Genf ausgegangenen reformatorischen Bewegungen.
Eher zutreffend für die Maßnahmen Heinrichs VIII. im 16. Jh. wäre schon die Bezeichnung »gallikanische Revolution« (Kenneth Ma­son). Auch Kardinal Gasparri hat – bei der Prüfung der Gültigkeit der anglikanischen Weihen – in der ihm eigenen Terminologie festgestellt, Heinrich VIII. habe »nicht über ein bloßes Schisma hinausgehen wollen«; für ihn gab es in Lehrfragen keinen Dissens mit dem Papst. Bei Elisabeth I., der eigentlichen Begründerin anglikanischen Kirchentums mag das etwas anders aussehen; aber auch ihre Kirchenpolitik war wesentlich von außen- und innenpoli­tischen Rücksichten, weniger von theologischen Interessen be­stimmt. Die jurisdiktionellen Veränderungen schufen freilich auch Raum für theologische Entwicklungen, die im Rahmen der päpstlich dominierten Kirche so nicht möglich gewesen wären; diese waren jedoch Folge, nicht Ursache der jurisdiktionellen Re­form, umgekehrt wie in Deutschland oder der Schweiz.
Dieser historische Ausgangspunkt machte im Ergebnis und trotz heftiger innerer Streitigkeiten eine große theologische Weite möglich. Das Fehlen einer einzelnen grundlegenden theologischen Lehre ließ – nach der Verteidigung gegen die römische Kirche (Jewel) und der Auseinandersetzung mit den Puritanern (Hooker)– schon im 17. Jh. Raum für die Ausbildung unterschiedlicher, ja ge­gensätzlicher theologischer Richtungen. Diese Unterschiede wurden durch das evangelical revival und die Oxford-Bewegung im 18. und 19. Jh. eher noch vertieft und führten teilweise sogar zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Im Lauf dieser ganzen Zeit sehen wir, was die theologisch vorherrschende Meinung angeht, immer wieder starke Schwankungen; von einem »Gnesio-Anglikanismus« kann – jedenfalls in lehrmäßiger Hinsicht wie etwa bei den »Gnesiolutheranern« – unter diesen Umständen nicht gesprochen werden.
Zutreffend ist, dass die verschiedenen Richtungen aus der Rück­schau heraus immer wieder versucht haben, angesehene Theologen früherer Zeit – vielleicht nicht immer ganz zu Recht – als ihre Vorläufer in Anspruch zu nehmen. Es wäre jedoch verfehlt, eine bestimmte theologische Epoche zu kanonisieren und zum Maßstab der früheren oder späteren zu machen; deshalb führt es auch nicht weiter, wenn man spätere Entwicklungen als Abweichungen von einer – damit doch wieder normativ verstandenen – früheren Richtung mindes­tens implizit abqualifiziert. Ohnehin wird der Charakter des anglikanischen Kirchentums noch weniger als der anderer, be­sonders reformatorischer, Kirchen von der Theologie bestimmt. Vielmehr steht eher die kirchliche Praxis im Vordergrund, die freilich theologisch begründet werden muss und wird, wenn auch zuweilen in recht unterschiedlicher Weise. Das muss man im Auge behalten bei einer Einschätzung der Bedeutung der Theologie und ihrer Entwicklung für den Anglikanismus gewissermaßen als »Ge­samtkunstwerk«.
Der Vf. ist zu Recht davon überzeugt, dass die Traditionen der Kirche von England im 19. Jh. in erheblichem Maße »reshaped and reformed« wurden, nicht zum Wenigstens in dem Bemühen, die englische Vergangenheit seit dem 16. Jh. zu verstehen und zu interpretieren. Sein Ziel ist es, »to bring these nineteenth century his­-torical visions into a dialogue with the history and theology of the Reformation and the seventeenth century«. Dieses Ziel hat er ohne Zweifel in bewundernswerter Weise erreicht. Zuzustimmen ist ihm wahrscheinlich auch, wenn er feststellt, dass die Anhänger der Oxford-Bewegung bei der Berufung auf die Theologen des 17. Jh.s den ihnen näherstehenden ein Gewicht beigemessen haben, das ihnen vielleicht statistisch nicht zukommt. Das ist verständlich, konnten sie in ihrer Verteidigung gegen die Angriffe ihrer innerkirchlichen Gegner doch schon glücklich sein, sich auf einige be­deutende Theologen der Vergangenheit berufen zu können. Wer die Theologiegeschichte nicht aus der Distanz des persönlich nicht betroffenen Historikers beschreibt, sondern selbst in der kirchenpolitischen Auseinandersetzung steht, wird auch bei der Betrach tung dieser Geschichte nicht ohne Wertungen auskommen können. Die Zahl der Vertreter einer theologischen Richtung muss für ihn nicht die ausschlaggebende Rolle spielen.
Mit Recht stellt der Vf. allerdings im 17. Jahrhundert eine entscheidende Wende in der anglikanischen Theologie- und Kirchengeschichte fest. Ob man diese unter den Titel »Invention of Anglicanism« stellen sollte, kann man bezweifeln. Wohl konnte Richard Hooker um die Wende vom 16. zum 17. Jh. noch eine Deckungsgleichheit von englischem Königreich und Kirche von England feststellen; für ihn war jeder englische Untertan Mitglied der eng­lischen Kirche und umgekehrt. Nach der Restauration von 1660 be­stand diese Möglichkeit jedoch nicht mehr; die Kirche von England wurde eine Kirche neben anderen. Das lag aber weniger an einer Änderung der Theologie als daran, dass die Nachkommen der Puritaner nicht zu der von ihnen schon immer bekämpften, bisher aber nur sehr unvollkommen durchgesetzten Uniformität bereit wa­ren. Der Vf. stellt dies auch völlig zutreffend dar.
Insoweit ist allerdings der engere Bereich der Theologiegeschichte überschritten. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass der Vf. ein kritisches Zitat aus dem Tagebuch von Samuel Pepys vom 22. Juni 1660 bringt, das durch Kürzungen den Eindruck erweckt, die Auffassung von Pepys selbst darzustellen, während der vollständige Text zeigt, dass er weitgehend die Äußerung eines Dritten wiedergibt, »who do talk as high for the Fanatiques as ever he did in his life«.
Im abschließenden Kapitel wendet der Vf. sich zunächst der gegenwärtigen anglikanischen Theologie zu, von der er feststellt, dass sie weniger englisch und weniger comprehensive sei als die der früheren Zeiten; indes findet er gerade im »globalen« Anglikanis­mus eine engere Anbindung an die protestantisch gefärbten Formulare und Auffassungen der europäischen Reformationszeit und zugleich einen antikolonialen Provinzialismus. Danach fasst der Vf. den umstrittenen »Anglican Covenant« ins Auge, der zur Überwindung der einseitig verstandenen provinzialen Autonomie beitragen soll, von einigen wichtigen Provinzen aber bereits mehr oder weniger definitiv abgelehnt worden ist; ihn betrachtet der Vf. mit Wohlwollen. Einen vielversprechenden Weg »of being ca­th­olic through a voluntary commitment to a non-coercive form of mutually shared authority« sieht der Vf. schließlich in dem von der Lambeth-Konferenz von 2008 angestoßenen »Indaba«-Prozess, einer Praxis, die aus der Zulu-Tradition kommt und durch Reden, Zuhören und Zurückhaltung in der Praxis auf lange Sicht zu einem Konsens führen soll. Damit ist aber wiederum der Bereich der anglikanischen Theologie im strengen Sinne überschritten und die anglikanische kirchenpolitische Praxis in die Thematik einbezogen.
Der Leser kann das indes nur begrüßen. Man kann nur wünschen, dass der beschriebene Weg zu einer Stabilisierung der gegenwärtig auf einigermaßen stürmischer See umhertreibenden Anglikanischen Gemeinschaft führt.