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Ausgabe:

Januar/2014

Spalte:

120–121

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Neijenhuis, Jörg

Titel/Untertitel:

Feste und Feiern. Eine theologische Theorie.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2012. 177 S. Kart. EUR 19,80. ISBN 978-3-374-03055-2.

Rezensent:

Hans-Martin Gutmann

Das Buch von Jörg Neijenhuis bietet über weite Strecken einen brauchbaren Literaturbericht zu anthropologischen (kulturan­thropologischen, soziologischen, philosophischen) Theorien zu »Fest« und »Feier«; in eingeschränkterem Maße kommen auch theo­logische Autoren zu diesen Gegenständen zu Wort. Die Darstellungsform ist – bis auf die letzten Abschnitte des Buches – dementsprechend so gewählt, dass nicht thematische Schwerpunkte bearbeitet werden, sondern dass aufeinanderfolgend verschiedene Autoren in ihren Gedanken zu Fest und Feier vorgestellt werden: vor allem Roger Callois und Odo Marquard, Sigmund Freud und Josef Pieper, Alain Ehrenberg und Rüdiger Bubner, Gerhard Schulze und Hartmut Böhme, Friedrich Otto Bollnow und Winfried Gebhardt. An theologischen Autoren kommen vor allem zu Wort: Friedrich Schleiermacher und Karl Barth, Harvey Cox und Gerhard Marcel Martin. Wer ein praktisch-theologisches oder systematisch-theologisches Universitätsseminar zu »Fest und Feier« plant, ist für die Literaturvorbereitung mit diesem Buch gut bedient, sollte aber auch die jeweils zitierte Primärliteratur ebenfalls lesen.
Auffällig ist schon an diesem Genus des Literaturberichtes, was fehlt, nämlich jede Erwähnung von Ritualtheorien (dies läge bei diesem Gegenstand doch immerhin nahe); und bei den Fest- und Feiertheorien fällt eine gewisse Enthaltsamkeit auf gegenüber phänomenologisch orientierten Ansätzen (z. B. Mircea Eliade), aber auch ethnologisch (z. B. Marcel Mauss) und philosophisch exponierten Gesprächspartnern (z. B. George Bataille).
Das Risiko dieser Darstellungsweise des Literaturberichtes liegt darin, dass sich der Vf. einen empirischen ebenso wie einen phänomenologisch orientierten Zugang auf seinen Gegenstand ebenso erspart wie eine – von den jeweils vorgestellten Gewährsleuten unabhängige – Interpretation der in Rede stehenden Sachverhalte. Es wird kein einziges Fest, geschweige denn eine Festkultur geduldig und nachvollziehbar beschrieben und gedeutet. Überraschend tauchen einige Thesen auf, die entweder schwer nachvollziehbar steil sind (in der gegenwärtigen Moderne fallen, so die hier artikulierte Annahme, Alltag und Fest mehr oder weniger in eins, Feste können nicht mehr als Unterbrechung des Alltags wirksam werden) oder aber erstaunlich wenig aufregend: so die in der Konklusion entfaltete Überlegung, dass Feste zur Vergewisserung von Sinn nötig sind, ja einen »Überschuss an Sinn« repräsentieren (131, im Anschluss an Jan Assmann). Manche Passagen, in denen Charakteristika der zeitgenössischen Moderne hervorgehoben werden sollen, fallen etwas hemdsärmelig aus, beispielsweise: »Aber Maßstäbe braucht jeder Mensch, insbesondere junge Menschen müssen sie sich noch erwerben. Findet diese Sozialisation mangels Bildung und Kultur nicht statt, werden Maßstäbe gefunden, die zu Extremen neigen und rein emotional begründet werden. Inhalte und Sachverhalte wird man darin vergebens suchen. Selbstreflexion hat nicht stattgefunden und kann nicht stattfinden, wenn der Sinn des Lebens allein in kurzlebigen und euphorischen Erlebnissen gesehen wird. Dann kommt es zu unreflektierten Weltanschauungen und Handlungen, die sich in extremen rechts- wie linkspolitischen Bereichen ebenso finden lassen wie in fundamentalistischen Strömungen und Religionen.« (127)
Interessant sind Überlegungen wie die, dass Feste die Mehrdimensionalität des Lebens gegen seine Eindimensionalität wahren können. Und schön und nachvollziehbar sind die auf den letzten 20 Seiten dieses Buches (leider weithin ohne Wahrnehmung der aktuellen praktisch-theologischen Debatte zu diesen Gegenständen und nur in lockerer Anknüpfung an die Literaturvorstellungen der ersten 145 Seiten) entwickelten Gedanken zu einer theologischen Theorie zu Festen und Feiern. Der Vf. entwickelt die religiösen Dimensionen von Festen und Feiern mit Blick auf kosmologische, schöpfungstheologische, soteriologische und eschatologische Deutungsmuster und beharrt theologisch auf dem nicht nur Vergangenheit vergegenwärtigenden und in kosmische Ordnung einführenden, sondern Zukunft und Hoffnung eröffnenden Sinnhorizont von Festen und Feiern. Im Kern gibt der Vf. eine rechtfertigungstheologische Deutung: »Da das Leben sich in der Differenz von Alltag und Fest abspielt und da das Leben eine nützliche, zweck­hafte und funktionale Seite ebenso hat wie das Nichtverzweckte, das Unverfügbare, sind es also das Fest und die Feier, die dieses Unverfügbare zum Ausdruck zu bringen vermögen. Erst Fest und Feier vermögen diese Unverfügbarkeit zu Bewusstsein zu bringen, was theologisch mit der Rechtfertigungslehre zu Wort gebracht wird. […] Dieser letzthinnigen Unverfügbarkeit des Le­bens und der eigenen menschlichen Existenz wird grundlegend Ausdruck verschafft dadurch, dass Gott als der gilt, dem das Leben und die eigene Existenz zu verdanken sind.« (162)