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Ausgabe:

Januar/2014

Spalte:

118–120

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Meyer-Blanck, Michael [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Sprache der Liturgie. Eine Publikation des Ateliers Sprache Braunschweig.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2012. 224 S. Kart. EUR 24,00. ISBN 978-3-374-03079-8.

Rezensent:

Ralph Kunz

Das kleine Bändchen ist die Frucht einer wissenschaftlichen Ta­gung, über der als Titel ein Zitat von Cato dem Älteren stehen könnte: »Rem tene – verba sequentur.« Wer sich an die Sache hält, hat keine Mühe, die richtigen Worte zu finden. Es gilt auch das Umgekehrte: Wer auf die Sprache achtet, kommt zur Sache. Im gottesdienstlichen Kontext liegt es nahe, an die Verkündigung zu denken. So ging es im Braunschweiger Atelier Sprache nicht um die Predigt, sondern um die Liturgie. Wie lohnend dies ist, das beweist schon die kurze, aber gehaltvolle Einführung des Herausgebers Michael Meyer-Blanck.
Natürlich ist Liturgie mehr als Sprechen. Sie ist Spiel, Musik und Bewegung. Aber man kann das Übersprachliche des gottesdienstlichen Gesamtkunstwerkes vom Verbalen her aufschlüsseln. Denn auch das Sprechen gehört zum Spiel und sorgt als ritualisiertes Sprechen für eine Spannung »zwischen Fremdsprache und Muttersprache«. Zwischen Befremden und Beheimaten entautomatisiert Liturgie das Sprechen, nimmt die Geschwätzigkeit und vermittelt, mehr noch: verleiht Sprache durch Form und Formierung. Die damit gegebene Dialektik von Aktivität und Passivität wird von Meyer-Blanck einerseits mit dem Terminus der »kontrollierten Regression« bedacht und andererseits als Kunst bezeichnet. Solche Kunst lerne man am besten »durch den organischen Rhythmus und Unterbrechung der Übung durch theoretische Symposien« und sie zeige sich dann letztlich wieder in der sprachlichen Qualität der liturgischen Texte.
Hans-Martin Gutmanns Beitrag handelt von der Sprache des Milieus und ihrer (un)möglichen Überwindung in der Liturgie. Die Klammer deutet Bedenken hinsichtlich der Reichweite und Leis­tungsfähigkeit der Milieustudien als kreative Impulse für liturgisches Sprechen an. Zu Recht mahnt Gutmann, dass Liturgie ein eigenes Milieu schafft und man den Anpassungsbedarf nicht überschätzen sollte. Man soll freilich auch den eigentlichen Impuls nicht übersehen und die Leute als Subjekte ihres Erlebens ernst nehmen. Wie das geht, zeigt Gutmann anhand eines historischen und zeitgenössischen Beispiels. – In eine ganz andere Welt führt der nächste Beitrag von Jochen Arnold. Sein Thema sind die Sprechakte in der evangelischen Abendmahlsliturgie, wobei die ökumenischen Seitenblicke recht viel Raum einnehmen. Die Diskussion, die Arnold entlang der Leitbegriffe Eucharistia und Promissio entfaltet, ist sowohl innerevangelisch wie ökumenisch relevant, geht es doch um nichts weniger als das rechte Verständnis des Herrenmahls. Arnold begründet seinen Weg zwischen den Extremen liturgie­theologisch. Sein Plädoyer für eine »möglichst große Klarheit in der Struktur der Kommunikation mit Gott und untereinander« (94) ist überzeugend, differenziert und pointiert.
Ein weiteres Grundproblem bearbeitet Alexander Deeg. Er sucht in der Spannung von Predigtsprache und liturgischer Sprache nach den Verbindungen zwischen Kunst und Bildung, Regression und Progression. Er wendet sich gegen die Vertreter einer liturgischen Eigensprachlichkeit, für die die Predigt ein Störfall ist (Mosebach, Ortheil und Rosenzweig). Deeg votiert seinerseits für ein spannungsvolles »Wechselspiel von Liturgie und Predigt«, das er »als ein ausgezeichnetes Kennzeichen gelingenden Gottesdienstes in unserer Welt« (118) ansieht. – Von derselben Spannung ist auch bei Erich Garhammer die Rede. Mit dem schönen Doppel »traditionsachtsam und gegenwartssensibel« wendet er sich auch gegen die einseitige Kritik von Mosebach und fragt, was Literaten – die Poeten – zur Sprache in der Liturgie sagen. In drei Porträts skizziert Garhammer die angezeigte Spannung. Sowohl Jan Lurvink als auch Arnold Stadler wie Peter Handke sehnen sich nach der urtümlichen Sprachkraft der Liturgie oder der Bibel. Im Tempel der Sprache ist man nicht Autor; man will Übersetzer sein. – Einen anderen Akzent setzt Andreas Mertin in seinem Beitrag »Reading the popular«. Er arbeitet mit Evidenzen. Ihm geht es darum, dass Predigt und Liturgie Jesus Christus so kommunizieren, »dass er quasi lebendig vor Augen steht« (152). Auf die gestellte Frage, was die Sprache der Liturgie von der Massenkultur lernen kann, antwortet er: »Zu­nächst einmal ganz sicher eine unbändige Experimentierfreudigkeit, dann auch die Entwicklung zur Professionalisierung.« (153) Hier ist keine Sehnsucht nach Form zu spüren, sondern es sind »Bilder, Töne und Worte« gefragt, »die den Nerv der Zeit treffen« (153).
Etwas fremd mutet Holger Milkaus Reflexion mit dem Titel »Zum Beten und zum Zählen braucht man die Muttersprache« an. Warum diese »kulturgeschichtlichen Impulse zu Sprache und Liturgie auf dem Erfahrungshintergrund der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Italien« den Weg über den Gotthard (oder den Brenner) ins Buch gefunden haben, wird nach der – durchaus amüsanten – Lektüre nicht ganz klar. – Das gilt nicht für Ilona Nord. Sie gehört wie Mertin zur Partei derjenigen, die auch den Zeitgenossen aufs Maul schauen, aber wie Gutmann, Deeg und Garhammer eine angemessene Gebetssprache suchen. Der Titel des Beitrags »Simple, fresh, relevant, not too doctrinal in tone or unreal in expression« ist ein Zitat und zugleich Programm. Es handelt sich um eine Umschreibung aus dem schottischen Book of Common Order, die Nord als Leitlinie dient. Sie sucht diesen richtigen Ton in den Texträumen der biblischen Schriften, aber auch in der Orientierung an der Sprachlust der öffentlichen Poesie. In der Kraft des Oralen, wie sie in der Slam Poetry zur Geltung kommt, erblickt sie ein Erneuerungspotential für die Liturgiesprache. Auf dieser Linie sind auch die beiden letzten Beiträge zu lesen: als Anleitung und Inspiration, liturgisch sprechen zu lernen. Der Kontrapunkt zu einer un­gebändigten Kreativität ist der angemessene Umgang mit der Überlieferung. – Das ist etwas anderes als Nachplappern vorgegebener Texte, wie man aus den Lehren lernen kann, die Siegfried Eckert von seinem Sprachlehrer Fulbert Steffensky übernommen hat. – Keine Lehre, aber Bausteine für eine liturgische Schreibwerkstatt bietet zuletzt Hiltrud Stärk-Lemaire.
Das Bändchen hat mit Reflexionen, Impulsen und Praxis eine auf den ersten Blick bestechend schlichte Dreiteilung. Nach der Lektüre stellt man fest, dass die Reflexionen Einsichten zur Praxis, die Impulse sehr viel Reflexionen und die Praxis auch Impulse bieten. Man fragt sich: Wo verläuft die Grenze zwischen Sache und Sprache der Liturgie? Das lässt sich offensichtlich nicht so genau definieren, was durchaus sachgemäß ist.