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Ausgabe:

Januar/2014

Spalte:

117–118

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Kranemann, Benedikt, u. Thomas Sternberg [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Christliches Fest und kulturelle Identität Europas. Die Bedeutung christlicher Feste in verschiedenen Ländern Europas.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2012. 201 S. Kart. EUR 19,80. ISBN 978-3-402-12997-5.

Rezensent:

Jörg Neijenhuis

Der Frage, ob christliche Feste eine Relevanz für die kulturelle Identität Europas haben können, ob sie also sowohl christlich-kirchlich als auch kulturell und humanistisch wirksam sind, wird in diesem Buch in zehn Beiträgen nachgegangen. Die beiden ersten Beiträge werden als Grundsatzbeiträge ausgewiesen.
Karl-Heinrich Bieritz (†) stellt dar, wo die Ressourcen der Identität von christlichen Festen in der Eventkultur sind. Er legt nahe, die christliche Tradition der Repräsentation deutlich kirchlich weiterzuführen und sich durch Angebote des Events nicht verführen zu lassen, da auch die Event-Feste letztendlich von der christlichen Überlieferung respektive Identität zehren. – Christoph Auffarth stellt die Geschichte des Judensonntags/Israelsonntags dar und geht auf die durch den Holocaust ausgelöste grundlegende Neuausrichtung ein. Er macht allerdings bezüglich der Identität darauf aufmerksam, dass Identität immer durch Abgrenzung entsteht – wenn aber nun das Judentum zum »Wir« gezählt wird, von wem grenzt man sich dann ab?
Die Beiträge im zweiten Teil des Buches stehen unter dem Leitgedanken des religiösen Pluralismus und bieten zumeist Berichte über die Probleme mit den christlichen Festen in anderen europäischen Ländern.
Arnaud Join-Lambert geht insbesondere auf die Auseinandersetzung in Frankreich um den bisher arbeitsfreien Pfingstmontag ein, an dem nun gearbeitet werden soll, um den Bruttolohn in einen Solidaritätsfond für Alte und Behinderte zu geben. Auch als Ar­beitstag blieb der Pfingstmontag ein Feiertag. Der Verfall der Festkultur muss der Kommerzialisierung in Rechnung gestellt werden. – Helmut Jan Sobeczko schildert die katholische Festkultur und das Nationalbewusstsein in Polen und hebt neben den Ma­rienfesten vor allem das Weihnachts- und das Osterfest als be­sonders begangenes Familienfest hervor. Er beklagt, dass die Feste kommerzialisiert und amerikanisiert werden, was sich deutlich an Halloween und am Valentinstag zeigt. – Paul Post reflektiert über die rituelle und religiöse Dynamik in den Niederlanden. Er stellt für die römisch-katholische Kirche fest, dass wieder Prozessionen durchgeführt werden. Das ist ein Merkmal religiöser und ritueller Identität dieser Kirche, aber es werden auch weltliche Rituale be­gangen, die die multireligiöse Gesellschaft widerspiegeln, be­son­ders sticht die Erinnerungskultur hervor. Dazu kommen Kontakte zu Kunst, Theater und Museen, so dass es fließende Übergänge zwischen den Identitäten gibt. Post macht neun unterschiedliche religiöse Identitäten aus. – Benedikt Kranemann stellt für die römisch-katholische Kirche in Deutschland fest, dass sich auch ihre Festpraxis pluralisiert und damit von gesellschaftlichen Entwicklungen tangiert wird. Die einzelnen Entwicklungen sind aber eher un­übersichtlich. Er re­flektiert diesen Befund anhand von Festtheorien des 20. Jh.s. und zeigt, dass Theorie und Praxis zum Teil weit auseinanderklaffen. Er plädiert für eine stärkere und bewusstere Festpraxis der Kirche. – Ralph Kunz thematisiert für die Schweiz, die im Wesentlichen durch die reformierte und die römisch-katholische Konfession geprägt ist, eine sich weiter ausbreitende Multikulturalität, die Minarett-Initiative, die üblichen, christlichen Feste, die teilweise eng mit dem Staat zusammenhängen, wie z. B. der eidgenössische Dank-, Buß- und Bettag. Kunz plädiert dafür, die Festkultur als Gedächtnis- und Sinnhandlung zu stärken und – falls verloren – wiederzugewinnen, was nur ökumenisch geschehen kann. – Philip Geister beklagt aus römisch-katholischer Perspektive den Untergang der christlichen Festkultur in Schweden, da die meisten Menschen nur die mit den Festen verbundenen Lichterfahrungen feiern, wie z. B. beim Lucia-Fest. Auch scheint ihm die Lutherische Kirche Schwedens keine Abhilfe zu bieten, da sie nur religiöse Erfahrungen anbiete und keine wahren Sakramente. Für ganz Europa kann Geister keine Identität feststellen, sondern eher einen Wirrwarr von sogenannten Werten. Daher er­übrigt sich für ihn die Frage, ob Europa eine christliche Identität haben sollte oder haben könnte. – Jan Rückl und Petr Štica berichten von den zaghaften Versuchen der römisch-katholischen Kirche in Tschechien, sich für gesellschaftliche Belange zu öffnen. Da Tschechien sehr stark säkularisiert ist und die kommunistische Herrschaft nur ein Wirken innerhalb der Kirchenmauern erlaubte, bedeutet die neue Situation besondere Herausforderungen, wenn z. B. staatliche Feiertage mit kirchlicher Beteiligung begangen werden sollen, was innerkirchlich nicht unumstritten ist. – Marcello Neri macht aus italienischer Perspektive deutlich, dass die Identität Europas als im Fest begründet verstanden werden kann; allerdings entzieht sich das Fest, wenn es instrumentalisiert und funktionalisiert wird. Deshalb hat Europa kein Fest, mit dem seine Identität sichtbar werden könnte. Auch kirchliche Liturgien sind verzweckt, weil sie die Gegenwart Gottes feiern; sie tragen so­mit wohl kaum zur Identität Europas bei.
Dieser letzte, tiefschürfende Beitrag nimmt sich der Identitätsproblematik Europas an, wohl deshalb, weil er vom Fest und nicht von kirchlichen Liturgien ausgeht. Einige Beiträge kommen diesem Ge­danken ebenfalls nahe, ohne ihn jedoch zu erkennen. Andere Beiträge enthalten lediglich Klagen über die kirchlichen Fest- und Feierschwierigkeiten, ohne die Ursachen zu benennen. Sie tragen deshalb auch nichts zum Erkenntnisgewinn bei, sondern informieren nur über die Lage in einzelnen Ländern.