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Ausgabe:

Mai/1999

Spalte:

573–575

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Saarinen, Risto

Titel/Untertitel:

Faith and Holiness. Lutheran-Orthodox Dialogue 1959-1994.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1997. 293 S. gr.8 = Kirche und Konfession, 40. Kart. DM 89,-. ISBN 3-525-56544-5.

Rezensent:

Peter Hauptmann

Das Erscheinen dieses Buches ist lebhaft zu begrüßen. Nachdem lutherische und orthodoxe Theologen ein halbes Jahrhundert lang in nicht weniger als zehn verschiedenen zweiseitigen Gesprächsfolgen die Glaubenslehren ihrer Kirchen verglichen haben, läßt sich der Frage nach den Ergebnissen kaum noch ausweichen. Was ihre Beantwortung bisher erschwert hat, ist die Fülle der von den einzelnen Dialogkommissionen erarbeiteten Texte, deren Durchsicht einen erheblichen Arbeitsaufwand erforderte. Darum bedurfte es dringend einer solchen zusammenfassenden Auswertung, wie sie das vorliegende Buch nunmehr bietet.

Zur Bewältigung der ihm gestellten Aufgabe bringt der Vf. schon insofern die besten Voraussetzungen mit, als ihn einerseits als finnischen Lutheraner das Gegenüber zu orthodoxen Landsleuten bereits von Kind auf beschäftigt hatte (5) und er seit 1982 auch Mitglied der finnischen Vorbereitungsgruppe für den Dialog mit der Russischen Kirche gewesen war, andererseits aber an keinem der von ihm untersuchten Dialoge selbst teilgenommen hat (14, Anm. 15). So verbindet sich die denkbar größte Nähe zur Sache doch auch wieder mit dem für die Ausgewogenheit der Darstellung erforderlichen Abstand.

Ebenso verheißungsvoll erscheint die dem Vf. als Inhaber einer Forschungsprofessur am Straßburger Institut für Ökumenische Forschung seit 1994 eigene Verbindung von Einsatzbereitschaft für die Ziele der Ökumenischen Bewegung mit dem Streben nach vorurteilsloser Überprüfung ihrer Unternehmungen. So spricht er bereits in der Einführung die in den lutherisch-orthodoxen Dialogen gelegentlich vorkommenden "rhetorical overstatements" und "diplomatic understatements" unverblümt an (14). Andererseits gibt er selbstkritisch zu bedenken, daß ihn seine Abhängigkeit vom Wortbestand des Westens und den Denkgewohnheiten der Reformation über die Standpunkte der Orthodoxen nicht mit solcher Bestimmtheit urteilen ließe wie über die der Lutheraner (15).

Der Stoff ist in übersichtlicher Dezimalgliederung auf sieben Kapitel verteilt. Der Einführung mit Hinweisen auf das Ziel der Studie, auf Quellen, Literatur und Methodologie zu den zeitgenössischen Dialogen sowie auf die theologischen Begegnungen zwischen 1573 und 1959 (9-19) folgt zunächst in den Kapiteln 2-5 eine ausgewogene Beschreibung sämtlicher Dialoge. Dabei werden "The Finnish-Russian Dialogue" (20-83), "The EKD-Russian Dialogue" (84-127) und "The Lutheran-Orthodox Joint Commission" (179-209) in jeweils eigenen Kapiteln behandelt, da sie der Vf. mit Recht als die wichtigsten herausgehoben wissen will (13). Die Gespräche der EKD mit dem Ökumenischen sowie mit dem Rumänischen Patriarchat, die des BEK mit der Russischen sowie mit der Bulgarischen Kirche und die von Lutherischen mit Orthodoxen Kirchen innerhalb der USA sowie zwischen der Lutherischen Kirche Finnlands mit der Finnisch-Orthodoxen Kirche werden dagegen unter der Überschrift "Other Regional Dialogues" (128-178) innerhalb eines einzigen Kapitels vorgestellt. Die gemeinsame Fortsetzung der Dialogreihen Arnoldshain 1-12 und Zagorsk 1-7 nach der deutschen Wiedervereinigung, beginnend mit Bad Urach 1, ist zwar in der Einführung gesondert aufgelistet (11), wird jedoch in der Darstellung selbst völlig sachgemäß im 3. Kapitel mitberücksichtigt. Die Behandlung der Dialoge in einer Reihenfolge, die nicht vom Datum ihres Beginns ausgeht, leuchtet durchaus ein. Den Einsatz mit dem finnisch-russischen Dialog begründet der Vf. überzeugend mit der Feststellung, daß dieser nicht zwischen Föderationen geführt wird, sondern zwischen "one genuinely Lutheran and one truly Orthodox church", sowie mit dem Hinweis auf die besondere Fülle an zugänglichen Quellen, zu denen neben Vorträgen und veröffentlichten Ergebnissen auch "many thousand pages of recorded and type-written minutes from the discussions and preparatory meetings" gehören (13). Auch legte sich die zusammenhängende Betrachtung sämtlicher von deutscher Seite aus geführten Dialoge nahe.

Im 6. Kapitel, mit dem der systematische Teil der Untersuchung beginnt, werden die lutherisch-orthodoxen Dialoge in ihren ökumenischen Kontext eingeordnet (210-231). Der Erörterung ihrer Beziehungen zu anderen bilateralen Dialogen wie zum multilateralen Ökumenismus läßt der Vf. zunächst den Versuch einer Klärung von lutherischer wie von orthodoxer Identität vorausgehen.

Von den ihm vertrauten finnischen Verhältnissen und den Auseinandersetzungen zwischen Aimo T. Nikolainen und Tuomo Mannermaa von 1979-1980 ausgehend, gelangt er zu der aufschlußreichen Feststellung, daß von den Finnen Kontinuität und Apostolizität als Prinzipien lutherischer Identität weit stärker hervorgehoben würden als im Lutherischen Weltbund im allgemeinen (212). Seine Hilflosigkeit beim Versuch einer Klärung von lutherischer Identität in der EKD liegt in der Sache selbst und ist ihm nicht anzulasten. Daß es in Erlangen, Göttingen, Heidelberg und München "universities with a strong Lutheran profile" (213) gebe, ist freilich ein grotesker Trugschluß. Wichtig erscheint wiederum die Beobachtung, daß in sämtlichen Dialogen die lutherische Identität einseitig durch das Kontinuitätsprinzip auf Kosten des großen "satis est" (CA 7) betont worden ist (217). Die Frage nach orthodoxer Identität stellt sich dagegen kaum von selbst und wird hier wohl mehr aus dem Streben nach Symmetrie heraus angeschnitten. So gibt der Vf. auch selbst zu, daß die von ihm als "school theology" und als "mysticism"ausgemachten Idealtypen oder Trends orthodoxer Identität miteinander keineswegs unvereinbar erscheinen (222).

Unter der Überschrift "Achievements and RemainingTasks" geht es im 7. Kapitel schließlich um die eigentliche Auswertung jener Dialoge (232-269). Dabei richtet sich der Blick auf folgende vier Themenkreise: Schrift und Tradition, Soteriologie, Sakramente sowie Ekklesiologie. Der Kapitelüberschrift entsprechend läßt sich bei jedem Themenkreis mit dem Nachweis von "Leistungen" beginnen, zum Schluß aber auch die Nennung "verbleibender Aufgaben" nicht umgehen. So ist der Leser schon darauf vorbereitet, in den "Concluding Remarks", mit denen der Vf. sowohl dieses Kapitel als auch das ganze Buch abschließt, keine griffige Zusammenfassung von Ergebnissen der bisherigen lutherisch-orthodoxen Dialoge zu finden. Die als Ersatz gebotenen Erwägungen über die Lutheraner als Veranschaulichung eines "paradigm of faith" und die Orthodoxen als Veranschaulichung eines "paradigm of holiness" (266), mit denen schließlich auch der Obertitel des ganzen Buches seine späte Erklärung findet, lassen sich indessen durchaus hinterfragen und sollten nur mit größter Vorsicht angestellt werden.

Der Vf. hat eine erdrückende Materialfülle zuverlässig ausgewertet und in ebenso komprimierter wie gut lesbarer Darstellung zugänglich gemacht. Sein gelungenes Werk vermittelt nicht allein reiches Sachwissen, sondern regt darüberhinaus auch nachhaltig zu konfessioneller Selbstbesinnung an. Es gehört fraglos zu den wichtigsten theologischen Neuerscheinungen der letzten Jahre.