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Ausgabe:

Januar/2014

Spalte:

111–113

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Berlis, Angela, Plüss, David, u. Christian Walti [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

GottesdienstKunst.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2012. 202 S. = Praktische Theologie im reformierten Kontext, 3. Kart. EUR 29,20. ISBN 978-3-290-17639-6.

Rezensent:

Alexander Deeg

Der Band dokumentiert die Auftaktveranstaltung des »Kompetenzzentrums Liturgik an der Theologischen Fakultät der Universität Bern« aus dem Jahr 2011, versammelt die dort gehaltenen Vorträge und Repliken (Teil 1), gibt Einblicke in die Workshops im Kontext der Auftaktveranstaltung (Teil 2) und stellt das Anliegen des neuen Zentrums vor, das auf universitärer Seite von den Departments für »Christkatholische« und »Evangelische Theologie« getragen wird (Teil 3). Es schließt sich ein Epilog von Angela Berlis an, die gemeinsam mit David Plüss die wissenschaftliche Leitung des Kompetenzzentrums innehat.
Die Beiträge des ersten Teils zeigen, wie spannend liturgiewissenschaftlicher Diskurs sein kann, wenn er sich – wie es hier ge­schieht – ökumenisch verortet (reformierte, katholische und lutherische Stimmen kommen zu Wort), historische Tiefenschärfe mit aktuellen Fragestellungen verbindet, sowohl theologisch als auch kulturwissenschaftlich argumentiert und die Herausforderungen aus der Praxis in den Gemeinden mit wissenschaftlichen Reflexionen verbindet. Der Eröffnungsbeitrag von David Plüss (13–19) ist schon deshalb lesenswert, weil er sich gegen ein (auch in der Liturgiewissenschaft) weithin übliches Krisenszenario zum Gottesdienst der Gegenwart wehrt und diesen stattdessen als »vitalen Bereich unserer Gegenwartskultur« (15) lobt. Plüss beschreibt den Gottesdienst theologisch wie anthropologisch als eine »Kultur der Gegenwärtigkeit« (18). Der reformierte Akzent liege dabei auf der Gestaltung einer »leeren Bühne«, der die »Gottesbegegnung auf der inneren Bühne« individueller Rezeption idealiter entspreche (17). Plüss rekurriert dazu vor allem auf die Tradition und Ritualisierung im reformierten Gottesdienst, wogegen die katholische Kollegin Birgit Jeggle-Merz in ihrer Replik (20–23) auf die memoria innovans blickt, die dem Gottesdienst eingeschrieben sei. Dieser müsse daher immer neue Wege beschreiten. Es zeigt sich auch hier: Zwischen evangelischen und katholischen Liturgikern haben sich in den vergangenen Jahren die Rollen teilweise vertauscht: argumentieren die ersteren vielfach für die Wiederentdeckung von Tradition und Ritualität, so fordern die letzteren (gegen Erstarrungen ihrer Kirche fünfzig Jahre nach »Sacrosanctum Concilium«) die Fortsetzung des Aufbruchs. Ein weiteres Spannungsfeld wird bereits auf den ersten Seiten sichtbar, das sich auch in anderen Beiträgen zeigt: Betont Plüss den ästhetischen und theologischen Reiz einer typisch reformierten Inszenierung von Leere und Absenz, die gerade so für die göttliche Präsenz offen ist, so unterstreicht Jeggle-Merz die Notwendigkeit, dem »Nicht-Sichtbaren eine mit den Sinnen fassbare Gestalt zu geben« (23).
Eine Fortsetzung erfahren diese Überlegungen vor allem in den Beiträgen von Thomas Erne und Ralph Kunz zum »Bild im Kirchenraum«, die zu den Höhepunkten dieses Bandes gehören (45–67). Erne beschreibt Luther als Entdecker einer Bildtheorie ikonischer Performanz avant la lettre. Gegen eine Vereindeutigung der Bilder sei es Luthers Überzeugung gewesen, dass Bilder nur im Vollzug und Gebrauch, mithin in Prozessen der Rezeption, ihr befreiendes Potential entfalten können. Bilder im Kirchenraum müssten da­her wieder von diesen Prozessen her gedacht und auf solche Prozesse hin gestaltet werden. Hier schließt Kunz seine »relecture des zwinglischen Ikonoklasmus« (63) an, die zu ähnlichen ästhetischen Ergebnissen führt: Gerade die Leere befreie zu einer neuen und unendlichen Semiose. Erne und Kunz bringen somit Luther und Zwingli in ein – alte theologische Gräben überbrückendes – theologisches Gespräch und zeigen für die gegenwärtige liturgische Reflexion auf, wie lohnend es ist, theologische Grundfragen vor einem ästhetischen Horizont neu in den Blick zu nehmen.
Auch der Lutheraner Peter Cornehl sieht im »Charisma der Kargheit« eine Stärke reformierter Liturgie (25–40, 26). Gleichzeitig fordert er das reformierte Kompetenzzentrum dazu auf, die Zentralität der Bibel für die Liturgie neu in den Mittelpunkt zu rücken – ein Wunsch, dem sich Fulbert Steffensky in seiner Replik (41–43) mit Verve anschließt.
Der zweite Teil des Bandes (69–174) bietet ein gegenwärtiges liturgisches Fragen spiegelndes buntes Bild. Lesenswert ist er vor allem auch deshalb, weil hier christkatholische Stimmen vermehrt zu Wort kommen und den reformiert-katholisch-lutherischen Austausch des ersten Teils des Buches auf anregende Weise erweitern: Oliver Kaiser führt am Beispiel eines alt-katholischen Kirchenneubaus in Hannover vor Augen, wie die Neugestaltung des Taufbeckens die Taufdiskussion herausfordert (leider unterbleiben dabei Seitenblicke zur Diskussion in Eisenach); Roland Lauber stellt die Gestaltung des christkatholischen Gebet- und Gesangbuchs für die Gottesdienste von Palmsonntag bis Ostern aus dem Jahr 2008 vor, Joachim Vobbe denkt auf christkatholischer Basis über Krankensalbung nach.
Hinzu kommen Beiträge zu Gottesdienst und Gemeindeentwicklung (Alfred Aeppli), zu körperlicher Performanz (Brigitte En­-zener-Probst) und liturgischer Dramaturgie (Birgit Jeggle-Merz), zu videobasierter liturgischer Ausbildung und Forschung (Matthias Grünewald/Christian Walti) sowie die drei m. E. be­son­ders lesenswerten Beiträge von Johannes Stückelberger (zu multireligiösen Gebets- und Andachtsräumen), Ralph Kunz/Christina Aus der Au/ Thomas Schlag (zu gottesdienstlicher Qualität als »reflektierte[r] Entschleunigung« [79]) sowie Matthias Zeindler (zur Hoffnung als theologischer Zentralkategorie reformierter Li­turgik).
Der dritte Teil des Bandes (175–189) nimmt das Stichwort »liturgische Kompetenz« auf und versucht Näherbestimmungen dieses viel verwendeten und doch einigermaßen diffusen und theologisch nicht unproblematischen Begriffs. Eine abschließende Klärung gelingt auch Angela Berlis, David Plüss, Andreas Marti und Johannes Stückelberger in ihren Beiträgen nicht, weiterführende Perspektiven werden aber benannt.
Wenn man aus der Vielfalt der versammelten Beiträge ein Programm des neuen Zentrums ablesen möchte, dann dies: Es geht darum, den Gottesdienst in seinen gegenwärtigen Herausforderungen ökumenisch, theologisch und mit offenen Augen für die Kunst und Kultur der Gegenwart zu reflektieren. So macht der Band neugierig auf die zugleich theologisch wie kulturwissenschaftlich ge­tönte liturgische Stimme aus Bern, die künftig zu hö­ren sein wird.