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Ausgabe:

Januar/2014

Spalte:

109–111

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Limbeck, Meinrad

Titel/Untertitel:

Abschied vom Opfertod. Das Christentum neu denken. 4. Aufl.

Verlag:

Ostfildern: Matthias-Grünewald-Verlag 2012. 159 S. Kart. EUR 14,99. ISBN 978-3-7867-2945-7.

Rezensent:

Walter Klaiber

Die Heilsbedeutung des Todes Jesu steht in Frage. Auch der katholische Neutestamentler Meinrad Limbeck ruft zum »Abschied vom Opfertod« auf und verbindet damit den Anspruch, das Chris­tentum neu zu denken. Jesu Wirken sei getragen von einem neuen Gottesbild. Gott begegne Israel nicht länger als Richter, sondern als der, der seinem Volk Heil und Leben schenkt. Darum, so L., wendet Jesus sich ohne Vorbedingungen Sündern und Zöllnern zu, heilt am Sabbat und kommt mit dem Jerusalemer Kultbetrieb in Konflikt. Er war sich darüber im Klaren, dass ihm der Tod drohte. Aber er wich der Gefahr nicht aus – nicht weil er darin Gottes Willen sah, sondern weil er seinem Auftrag treu bleiben wollte. Doch Mk 15,33 f.37 zeigt: »Jesus war von Gott enttäuscht, als er starb« (67).
Die Frage, was das für seine Botschaft bedeutet, wurde durch die Ostererfahrung der Jüngerinnen und Jünger beantwortet. Gott hatte durch die Auferweckung zu ihrem gekreuzigten Herrn »gestanden und hatte so ihn und seine Botschaft gerechtfertigt« (76 f.). Die Frage, warum Gott den Tod Jesu hat geschehen lassen, wurde durch den Hinweis auf die Schrift beantwortet. Entscheidend war dabei die Kreuzestheologie des Paulus, die allerdings »zunächst einmal ›nur‹ die theologische Lösung eines ganz persönlichen Problems« darstellte (83). Denn die Botschaft von der Auferweckung eines Gekreuzigten widersprach nach Dtn 21,23 dem Ge­setz. Die Lösung des Paulus (vgl. Gal 3,13; 2Kor 5,21) beruhte aber auf einem Bild Gottes, das dem Bild Jesu widersprach. Nach ihm sind alle dem Zorn Gottes verfallen, und nur dadurch, dass Jesus dem Willen Gottes entsprechend in seinem Tod die Sünde der Menschen auf sich nahm, ist Rettung möglich. So logisch dieser Entwurf des Paulus ist, theologisch ist er nicht mehr nachzuvollziehen (90 f.).
L. erklärt auch, was »Strafe« und »Sühne« nach alttestament­lichem Verständnis wirklich bedeuten und wie dies den frühen Christen half, Jesu Passion zu deuten. Für viele Judenchristen aber glich sein Tod dem eines der vielen leidenden Gerechten. Er geschah nicht nach Gottes Willen; denn »Gott hatte […] Jesus nicht gesandt, um uns durch seinen Tod zu erlösen, sondern um uns zu sagen, was wirklich Gottes Wille ist« (107). Diesem Auftrag blieb er treu, auch im Tod, und das gibt seinem Evangelium: »Das Reich Gottes ist da!« (Mk 1,15) seine Dringlichkeit. Für uns heute bedeutet das: »Unsere Welt und das Leben in ihr ist der Ort zunächst unvorstellbarer, aber möglicher positiver Entwicklungen! Gottes Reich ist in unserer Welt in der Weise der Potenzialität da!« (114) Wenn Gott für uns der Ursprung des Lebens ist, gilt dann nicht, »dass Gott dort vorkommt, Raum gewinnt und so sein ›Reich‹ vergegenwärtigt, wo diese heilvollen und aufbauenden Möglichkeiten sich realisieren können beziehungsweise realisiert werden?« L. nennt eindrucksvolle Beispiele für das selbstlose Engagement von Menschen, in dem das geschieht. Dagegen muss die Vorstellung eines allmächtigen und allwissenden Gottes aufgegeben werden. Gott kommt dort zur Geltung, wo er im Handeln von Menschen als der erfahren werden kann, der »seine Sonne aufgehen lässt über Bösen und Guten und regnen lässt über Gerechte und Ungerechte« (Mt 5,45; 151).
Dieser Entwurf ist von einer beeindruckenden Geschlossenheit und wird in einer auch für Nichttheologen verständlichen, faszinierenden Sprache dargeboten. Für viele Menschen werden seine Thesen befreiend wirken, zumal sie mit der Autorität des Sprachenlehrers vorgetragen werden, der sagt, was der Urtext wirklich be­deutet und was nicht. Es wundert nicht, dass das Buch in einem Jahr schon vier Auflagen erlebt hat. Aber aus exegetischer Sicht erheben sich doch schwerwiegende Bedenken. Ich kann nur wenige nennen: Es ist fraglich, ob Jesu Worte in Gethsemane historisch zuverlässiger sind als die Einsetzungsworte (46). »Dass Jesus seine Dämonenaustreibungen niemals als einen Kampf gegen den Satan verstanden« habe (31), widerspricht einem breiten Konsens der Forschung. Vor allem steht die Auffassung, in Jesu Gottesverkündigung habe der Gerichtsgedanke keinen Raum gehabt, im Widerspruch zu allen exegetischen Untersuchungen der letzten Zeit zu diesem Thema. Besonders ärgerlich ist – weil es ein verbreitetes Vorurteil bedient – die Behauptung, dass die zentrale Stellung der Heilsbedeutung des Todes Jesu auf ein persönliches Problem des Paulus zurückgehe (83). Dass Paulus gerade zu diesem Thema oft traditionelle Wendungen zitiert, die auch in anderen Überlieferungskreisen auftauchen, er­fahren die Leserinnen und Leser nicht, und auch nicht, worin die eigentliche theologia crucis des Paulus besteht.
Dazu kommen Fragen zur Hermeneutik: Inwiefern sogenannte Nahtoderfahrungen das Phänomen der Erscheinungen des Auferstandenen erklären können, ist mir unklar (74 f.). Problematisch ist vor allem die mehrfach genannte Alternative, Jesus sei entweder nach Gottes Plan gestorben, was alle Akteure zu Marionetten ma­chen würde, oder habe aufgrund eines politisch motivierten Justizmordes einen sinnlosen Tod erlitten. Hier hätten das biblische Zeugnis und neuere systematisch-theologische Überlegungen helfen können, das Ineinander von menschlicher Verantwortung und Gottes Willen dialektischer zu denken. Auch die von L. richtig herausgearbeitete biblische Auffassung von Sühne könnte die Grundlage für eine auch heute hilfreiche Interpretation der Aussagen über die Bedeutung des Todes Jesu bilden.
Es fällt nicht leicht, diese Bedenken zu artikulieren, denn in seinen praktischen Folgerungen legt L. ein nobles Konzept vor, dem man nicht gerne widerspricht. Mutatis mutandis erinnert es in Ethos und Zielsetzung an Harnacks Das Wesen des Christentums. Auch das war ein bemerkenswerter Versuch, das Christentum neu zu denken, um es Zeitgenossen wieder nahezubringen. Dennoch war es ein Versuch, der seiner Zeit verhaftet blieb, weil er exegetisch zu schwach fundiert war und die Frage nach der Bewältigung der dunklen Seiten der menschlichen Existenz nicht aufnahm. Dass dazu eine biblisch begründete Kreuzestheologie notwendig ist, hat auch L. leider nicht gesehen.