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Ausgabe:

Januar/2014

Spalte:

102–103

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Danz, Christian

Titel/Untertitel:

Grundprobleme der Christologie.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2013. IX, 281 S. m. Abb. u. Ktn. = UTB M 3911. Kart. EUR 22,99. ISBN 978-3-16-150802-8 (Mohr Siebeck); 978-3-8252-3911-4 (UTB).

Rezensent:

Stefan Berg

Ein Nebeneffekt des Bologna-Prozesses ist ein gestiegener Bedarf an theologischer Überblicksliteratur. So sind inzwischen diverse »Grundtexte«, »Grundrisse« und »Grundinformationen« im Angebot. Nun füllt der im Jahr 2013 erschienene Band »Grundprobleme der Christologie« des Wiener Systematikers Christian Danz eine weitere Lücke in der Grundversorgung.
Das erste Kapitel (1–11) skizziert den »Problemhorizont der Chris­­tologie in der Moderne« und sieht diesen markiert durch die »Differenz zwischen dem historischen Jesus und dem dogmatischen Christus« (2). Damit sind vier Modelle »der Zuordnung von Glaube und Geschichte« (9) gegeben: erstens deren separierte Behandlung (z. B. bei Bultmann), zweitens die Betonung des Glaubens zu Lasten der Geschichte (z. B. bei Benedikt XVI.) sowie drittens die Betonung der Geschichte zu Lasten des Glaubens (z. B. bei Zager). D. selbst will den seiner Ansicht nach zu wenig ausgearbeiteten vierten Weg einer Christologie beschreiten, die »sowohl im Durchgang durch die historiographischen Bemühungen um den Nazarener als auch durch dessen dogmatische Deutung zu begründen« (9) sei.
So wird im Folgenden »[d]ie Suche nach dem historischen Jesus« im zweiten Kapitel (13–54) in ihren drei Phasen vorgestellt. Ausführlich kommt die sogenannte third quest zur Sprache, für die, so D., u. a. der »programmatische Verzicht auf theologische Fragen« (34) charakteristisch sei.
Das dritte Kapitel (»Die dogmatische Christologie und ihre Auflösung seit der Aufklärung«, 55–141) unternimmt den verwegenen Versuch, auf nicht einmal 100 Seiten die Entwicklung der Christologie von der Alten Kirche bis zu Kähler nachzuzeichnen. Dabei entfallen lediglich 50 Seiten auf die Darstellung der Lehrentwick­lung bis zur altprotestantischen Orthodoxie. Insbesondere für Antike und Mittelalter ist manches allzu kurz geraten und wirkt mitunter lustlos vorgetragen. Dies mag damit zusammenhängen, dass D. die in diesen Kontexten verfügbaren begrifflichen Mittel für »höchst unzureichend« hält, um eine »Lösung des christolo­-gischen Problems« (78 f.) zu erreichen. Ausführlicher geraten ist die Darstellung Luthers, bei dem die »überlieferte christologisch[e] Terminologie […] lediglich die Oberflächensemantik« bilde, während »dar­unter […] die statische Zwei-Naturenlehre durch eine am Sich-Verständigen des Glaubens orientierte Sprachreflexion ersetzt« (92) sei. Sehr gelungen sind die folgenden 35 Seiten, welche die Entwicklung bis hinein ins frühe 20. Jh. souverän präsentie-ren und dabei auch vertiefend über christologische Fragen hinausweisen.
Das vierte Kapitel (»Vom historischen Jesus zum Christus des Glaubens«, 143–192) deckt thematisch die Phase bis zur Gegenwart ab und bewegt sich ebenfalls auf hohem Darstellungsniveau. Behandelt wird in 4.1. die Loslösung des »Christusbild[s] des Glaubens […] vom historischen Jesus« (146): Tillich interpretiere die Christologie als »theologisch[e] Geschichtsphilosophie« (149), und Barth arbeite sie in der KD »als eine reflexionslogische Beschreibung der Struktur des Glaubensaktes aus« (155). Es folgen in 4.2. Darstellungen der »hermeneutische[n] Reformulierung der Chris­tologie«, welche die »historische Rückfrage nach dem Mann aus Nazareth aufgenommen« (159) hätten: Ebeling löse dies über »ein hermeneutisches Geschichtsverständnis« (160) ein, und bei Jüngel beziehe »sich der Glaube [in der Frage nach dem historischen Jesus] auf sich selbst und sein eigenes geschichtliches Eingebundensein« (165). 4.3. ist »Pannenbergs universalhistorischer Begründung der Christologie« gewidmet; 4.4. befasst sich mit den neueren Versuchen, die Christologie »in einem trinitätstheologischen Rahmen zu explizieren« (173), wobei auf Wagner, Dalferth und Schwöbel einge gangen wird. In 4.5. benennt D. drei »Problemfelder der gegen­-wärtigen Christologie«: ob sie ›von oben‹ oder ›von unten‹, als im­plizite oder als explizite konzipiert werden solle, und wie sie die »Aporien der Personchristologie« (189) umgehen könne.
Zielpunkt ist der eigene Entwurf, den D. im fünften Kapitel (»Dogmatische Christologie als Selbstdarstellung des Glaubens«, 193–240) vorlegt. Es wird zunächst (5.1.) ein »Verständnis der Ge­schichte« erarbeitet und formuliert: »Die dogmatische Christologie ist insofern eine Selbstdarstellung des Glaubens, da er sich selbst in der Christologie als ein geschichtliches Geschehen be­schreibt« (204). Somit wird das »Ineinander von Ereignis und Deutung […] zum Thema«, und zwar in Entsprechung zum »Verhältni[s] von historischem Jesus und dogmatischem Christus« (204). 5.2. präzisiert dies weiter, und zwar erstens hinsichtlich des Offenbarungsbegriffs, der als »religiöse Reflexionskategorie« (211) be­stimmt wird, mit welcher der Glaube »sein Wissen um seine eigene Unableitbarkeit aus anthropologischen oder kulturellen Voraussetzungen« (212) beschreibe. Zweitens wird nach einem neuen Verständnis von Versöhnung gesucht, worin »Gericht und Gnade […] die Leitgesichtspunkte für die dogmatische Entfaltung der Chris­tologie« (220) bildeten. Drittens gehe es in der Christologie »um die Erfassung und das Verstehen des Selbstverhältnisses des Sich-Verstehens«, und »[e]rst in der Folge beider Aspekte […] ist das Christusbild die individuelle Erschlossenheit Gottes« (220 f.). Sodann wird in 5.3. Christologie weiter »als Religionshermeneutik« angesprochen, wobei u. a. nach einer Christologie unter pluralistischen B edingungen gefragt und auf den christlich-jüdischen Dialog eingegangen wird. D. fasst abschließend zusammen: »Indem die Chris­tologie die Selbstdurchsichtigkeit der reflexiven Struktur des religiösen Aktes sowie dessen Selbstdarstellung auf der Ebene der Wissenschaft beschreibt, ist sie selbst bereits eine theologische Theorie der Religion.« (239)
Der Entwurf dürfte insbesondere für diejenigen interessant sein, welche – wie D. – das Theologisieren in der Tradition des deutschen Idealismus und Tillichs zu schätzen wissen. Doch auch wenn das hier vorgestellte Christologieverständnis zur Geschichtlichkeit hin programmatisch offen ist, so bleibt die Entfaltung dogmatischer Inhalte entgegen der Ankündigung im ersten Kapitel doch faktisch unverbunden mit den konkreten Ergebnissen der historiographischen Bemühungen. Und warum hat D. eigentlich nicht versucht, die Idee einer Christologie als Religionshermeneutik et­wa auch auf die Entwürfe der biblischen Schriften und der Alten Kirche anzuwenden? Spricht sich nicht auch in ihnen eine Selbstdarstellung des Glaubens an einem bestimmten historischen Ort aus?
In der Lehre wird das Buch gute Dienste leisten können, insbesondere die Kapitel zu Neuzeit und Moderne. Als keinen Vorteil empfinde ich die Darstellung der Leben-Jesu-Forschung in einem gesonderten Kapitel. Dem einleitenden Charakter wird Rechnung getragen, indem zu Beginn jedes Kapitels eine Zusammenstellung wichtiger Primär- und Sekundärliteratur zur Vertiefung erfolgt. Hinzu kommen listenartige Zusammenstellungen und Definitionen, die sich gut zum Repetieren eignen. Am Ende des Buches findet sich neben dem Literaturverzeichnis, dem Personen- und dem Begriffsregister auch ein Glossar, das Anfängerinnen und Anfängern eine willkommene Hilfe sein dürfte.