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Ausgabe:

Januar/2014

Spalte:

101

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Marenbon, John

Titel/Untertitel:

The Hellenistic Schools and Thinking about Pagan Philosophy in the Middle Ages. A Study of Second-Order Influence.

Verlag:

Basel: Schwabe 2012. 39 S. = Freiburger Mediävistische Vorträge, 3. Kart. EUR 13,00. ISBN 978-3-7965-2837-8.

Rezensent:

Brigitte Kappl

Der Einfluss hellenistischer Schulen (Stoa, Epikureismus, Skeptizismus) auf die mittelalterliche Philosophie erscheint auf den ers­ten Blick marginal. Während (neu-)platonische bzw. aristotelische Konzepte allgegenwärtig waren, weil sie einer christlich orientierten Philosophie entgegenkamen, hatte die hellenistische Philosophie schon bei den für das Mittelalter maßgeblichen spätantiken Autoren wie Augustinus und Boethius eine schlechte Presse – dies gilt in besonderer Weise für Epikur, der sich wegen seiner These, das höchste Gut sei die sinnliche Lust, die Titulierung als porcus (Schwein) gefallen lassen musste. Zudem erschwerte die mangelnde Kenntnis der Quellen die Rezeption.
Ein zweiter, genauerer Blick ergibt jedoch ein differenzierteres Bild. Einen solchen zweiten Blick bietet John Marenbon in der vorliegenden Abhandlung. M. befragt ausgewählte Autoren des 12.–14. Jh.s daraufhin, wie sie sich als Christen gegenüber den hellenis­tischen Schulen positionieren und diese bewerten. Es sind dies Abaelard, Johannes von Salisbury, Vinzenz von Beauvais, Johannes von Wales, Albertus Magnus, Thomas von Aquin und Dante.
Bei allen Unterschieden im philosophischen Profil dieser Autoren, in ihrer Methodik und in der Zielsetzung der einzelnen Schriften kann M. doch zeigen, dass die Auseinandersetzung mit den hellenistischen Philosophenschulen, insbesondere mit den Epikureern, keineswegs pauschal abqualifizierend erfolgt, sondern ein erstaunlich differenziertes Bild bietet, und dass die hellenistischen Denker auch dort, wo ihre Thesen auf Ablehnung stoßen, als Denker ernst genommen und teilweise sogar mit dem Christentum als kompatibel angesehen werden. In seinem Schlusskapitel wartet M. in der Diskussion darüber, warum Dante im Convivio die Epikureer höchst wohlwollend behandelt, während in der Commedia Epikur nicht bei Platon, Aristoteles, Seneca u. a. im Limbus angesiedelt ist, sondern im Inferno als Protagonist derer, die glauben, dass die Seele mit dem Körper stirbt, mit einer originellen Lösung auf: Epikur werde hier gleichsam als Sündenbock genannt, um davon abzulenken, dass eine solche Position eher bei dem von Dante besonders verehrten Aristoteles zu finden sei.
Auch wer M. an diesem Punkt nicht folgen mag, wird seine höchst erhellende und gut geschriebene Abhandlung über ein eher vernachlässigtes Thema der mittelalterlichen christlichen Philosophie mit Gewinn lesen.