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Ausgabe:

Januar/2014

Spalte:

99–101

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Kraschl, Dominikus

Titel/Untertitel:

Relationale Ontologie. Ein Diskussionsbeitrag zu offenen Fragen der Philosophie.

Verlag:

Würzburg: Echter Verlag 2012. 316 S. m. Abb. = Religion in der Moderne, 24. Kart. EUR 36,00. ISBN 978-3-429-03507-5.

Rezensent:

Rüdiger Gebhardt

Dominikus Kraschl (Jg. 1977), Mitglied des Franziskanerordens und zurzeit Habilitand und Lehrer am Franziskanergymnasium in Hall (Tirol), legt mit dem zu besprechenden Titel seine philosophische Dissertation vor, die – nach der theologischen Promotion 2007 – im Sommersemester 2010 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Leopold-Franzens-Universität für Christliche Philosophie an­genommen und von Christian Kanzian betreut wurde, den K. als seinen philosophischen Lehrer bezeichnet. Während der Buchtitel die Erwartung wecken könnte, ein Lehrbuch oder einen eigenen Entwurf K.s zur »relationalen Ontologie« in den Händen zu halten, klärt die Exposition darüber auf, dass in dem Werk ein »verhältnismäßig unbekannter Entwurf zur Ontologie vorgestellt und auf einige einschlägige Probleme der Philosophie angewendet werden« soll (11). Dabei handelt es sich um den – bislang eher als Fragment vorliegenden – Entwurf des emeritierten Frankfurter Fundamentaltheologen Peter Knauer, der evangelischerseits vor allem durch seine 1978 erschienene Habilitation mit dem Titel »Der Glaube kommt vom Hören – Ökumenische Fundamentaltheologie« sowie durch den ihr vorausgehenden theologischen Dialog mit Gerhard Ebeling bekannt geworden ist.
Die Arbeit enthält zwei Hauptteile: In Teil I (»Widerspruchsproblematik und Relationale Ontologie«) wird Knauers Ansatz dargestellt und kritisch gewürdigt, im (Haupt-)Teil II (»Exemplarische Bewährung und Entfaltung«) soll die Leistungsfähigkeit einer »relationalen Ontologie« auf vier Feldern grundlegender philosophischer Kontroversen überprüft werden.
Ausgangspunkt für die Überlegungen Knauers ist seine These, dass bei der Beschreibung der Wirklichkeit die Behauptung der Einheit einander (kontradiktorisch) ausschließender Widersprüche unumgänglich sei. Dies gelte etwa bei der Darstellung von Veränderung (als Zugleich von Identität und Nicht-Identität), von Endlichkeit (als Einheit von Sein und Nichtsein) oder von Kontingenz (als Zugleich von Notwendigkeit und Nicht-Notwendigkeit). Daran ändere auch eine dynamische Anwendung des Nicht-Widerspruch-Prinzips nichts, der zufolge sich verschiedene Hinsichten angeben lassen, in denen A und Nicht-A zugleich wahr sein können. Abhilfe für diese Dilemmata verschaffe hingegen ein relationaler Ansatz, den Knauer aus seinem Verständnis von »creatio ex nihilo« entwickelt: Diese besage ein »restloses Bezogensein« von allem Seienden auf ein anderes (nämlich auf Gott), zugleich aber »restlose Verschiedenheit« von ihm – so die Schlüsselformulierung, die nunmehr das ganze Opus durchzieht. Damit sei, so Knauer, in­sofern ein »Paradigmenwechsel« vollzogen, als hier eine Loslösung von einem »substanzmetaphysischen« Verständnis stattfinde, bei dem die Kategorie der Relation nachgeordnet ist. Die Kategorie der »Relation« avanciere auf diese Weise zur »›fundamentals­ten‹ [sic!] Kategorie des Seienden« (37). In dieser Weise relational interpretiert erweise sich die Widerspruchsproblematik als lösbar, indem einander scheinbar widersprechende Sachverhalte als »restloses Bezogensein auf etwas restlos Verschiedenes« (33 u. a.) wahrgenommen und gedeutet werden.
Wie tragfähig ist dieses Konzept? In einem Zwischenresümee (77 ff.) äußert sich K. selbst zu­rückhaltend: Knauers relationales Wirklichkeitsverständnis sei kaum geeignet, »hartgesottene Skep­tiker zu überzeugen«. Es sei »eher für denjenigen von Interesse, der theistische Überzeugungen vertritt […] und dies vor der Vernunft verantworten will« (78). Die philosophische Leistungsfähigkeit soll im Hauptteil (II) überprüft werden, in dem Knauers Ansätze (über dessen eigene Äußerungen hinaus) auf verschiedene philosophische Problemfelder Anwendung finden.
So besteht K. zufolge die »Aporie der Veränderung« (Kapitel 2) darin, dass zugleich Identität und Nicht-Identität ausgesagt werden. Auf dem Hintergrund einer umfangreichen problemgeschichtlichen Darstellung verweist der Autor vor allem auf falsche Alternativen (»Nichts hat Bestand« vs. »Es gibt keine Veränderung«) und kommt zu dem Ergebnis, dass eine konsistente Darstellung der Veränderung eines Subjekts nur dann möglich ist, wenn Identität relational, im Sinne von dynamischer Partizipation, gedacht wird. Im nächsten Schritt (Kapitel 3) wendet K. den relational-ontologischen Ansatz auf erkenntnistheoretische Fragestellungen an. Dabei verfolgt er das Ziel, das Gegenüber von Realismus einer-seits und Idealismus bzw. Konstruktivismus andererseits als eine Schein-Alternative zu entlarven und zu überwinden. Das Konzept einer Relationalen Ontologie eröffne demgegenüber die Möglichkeit, menschliches Erkennen als Gegensatz-Einheit zu denken, die zugleich (realistisch-)rezeptiv und (idealistisch-)konstruktiv ist. Diese Sichtweise, die K. als »kritischen Realismus« bezeichnet, entspreche auch der geschöpflichen, d. h. endlichen Seinsweise der Erkenntnissubjekte. In anthropologischer Hinsicht (Kapitel 4) konzentriert sich die Untersuchung auf das Leib-Seele-Problem: Auch hier gelte es, die falsche Alternative zwischen Materialismus und Idealismus zu überwinden und den Menschen als »materialisierten Geist bzw. vergeistigte Materie« (249) zu charakterisieren. Schließlich wendet K. (Kapitel 5) seinen Ansatz beim relationalen Denken auf die Ethik an. Auch hier geht es um Überbrückung, diesmal im Blick auf die Kontroverse zwischen aristotelischer Tugendethik und Kantscher Pflichtethik. Beides sei, so K. miteinander vereinbar, wenn die Tugendlehre in einer ontologischen Grammatik verankert werde, »welche die Wirklichkeit als dialektisch-relationale Einheit von Gegensätzen begreift« (258). Im Er­gebnis sieht K. die Tugendethik gestärkt und spricht (im Anschluss an die Mesóteslehre) von einer – wiederum in der Endlichkeit alles Seienden begründeten – »Ethik der Verhältnismäßigkeit«.
Insgesamt kommt K.s Arbeit das Verdienst zu, die vielversprechenden Ansätze einer relationalen Ontologie bei Peter Knauer einer breiteren Rezeption zugänglich gemacht, sie auf höchstem Abstraktionsniveau ausgearbeitet und ihre Leistungsfähigkeit insbesondere für die Vermittlung zwischen philosophiegeschichtlichen Extrempositionen erwiesen zu haben. Bei der darin zutage tretenden wohltuenden Öffnung des binnentheologischen Horizonts für gegenwärtige philosophische Diskurse bleibt K. freilich konsequent seiner (durch die analytische Philosophie eingefärbten) römischen Fundamentaltheologie verpflichtet. Spannend wäre darüber hinaus gewesen, wenn er seine Überlegungen im Schluss­abschnitt des Buches noch weitergeführt hätte, indem er ein relational-ontologisches Wirklichkeitsverständnis in Beziehung zum Glaubensverständnis Schleiermachers gesetzt hätte.
In der Tat bietet die Thematik – ganz auf der Spur von Peter Knauer – noch viel Potential zur Verständigung zwischen den Konfessionen. Dazu könnten K. und seine Gesprächspartner auf Ergebnisse der Lutherforschung (Joest, Ebeling) ebenso zurückgreifen wie auf neuere Ansätze einer semiotisch fundierten Theologie (Deuser, Härle).