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Ausgabe:

Januar/2014

Spalte:

97–99

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Dalferth, Ingolf U., and Michael Rodgers[Eds.]

Titel/Untertitel:

Passion and Passivity. Claremont Studies in the Philosophy of Religion, Conference 2009.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. VIII, 214 S. m. Abb. = Religion in Philosophy and Theology, 61. Kart. EUR 49,00. ISBN 978-3-16-151025-0.

Rezensent:

Jochen Schmidt

Der von Ingolf U. Dalferth und Michael Rodgers herausgegebene Band Passion and Passivity dokumentiert die 30th Claremont Conference on Philosophy of Religion aus dem Jahr 2009. Deren Thema Passion and Passivity verbindet zwei Stichwörter, die in etymolo­gischer Hinsicht gleichursprünglich, in semantischer und phänomenologischer Hinsicht jedoch unterscheidbar sind. Von passions, im Folgenden bezeichnet als »leidenschaftliche Emotionen«, geht eine Eigendynamik aus – das Oxford English Dictionary fasst unter passions »any strong, controlling, or overpowering emotion, as desire, hate, fear, etc.; an intense feeling or impulse«. Gegenüber der mitunter überwältigenden Dynamik leidenschaftlicher Emotionen ist das Subjekt in gewissem Grade, aber nicht gänzlich, jedenfalls nicht zwangsläufig gänzlich passiv. Das Nachdenken über passion and passivity führt in ein Grenzgebiet, in dem Aktivität und Passivität changieren.
Dieses Grenzgebiet messen die im Band versammelten Beiträge in faszinierender und überraschender Weise aus, wie sogleich an ausgewählten Beispielen gezeigt werden soll. Innerhalb des be­grenzten Raumes dieser Rezension kann an­schließend nur noch eine der weiteren thematischen Achsen des Bandes, nämlich die Frage nach dem religiösen Charakter von (be­stimmten) Leidenschaften zur Geltung kommen.
Robert C. Roberts analysiert Zusammenhänge von Erkenntnis und Ethik bei Paulus in Anlehnung an Ernest Sosas Virtue Ethics. Dabei wird deutlich, dass bloßes ›katechetisches Wissen‹ von Inhalten der christlichen Lehre noch lange nicht zu einer Praxis befähigt, die dem eigentlichen Telos der gewussten Inhalte entspricht (16 ff. mit Bezug auf 1Kor 8,1 ff.). Es bedarf zu solch einer Praxis der Fähigkeit zur Wahrnehmung dessen, was das Gewusste für die angemessene Beurteilung einer konkreten Situation bedeutet. Solches Wissen bzw. Verstehen aber wird dem Menschen nur im Zuge einer emotionalen Erneuerung seiner Person, einer Erhellung der Augen des Herzens zuteil (26 ff.).
Cornelia Richter beschreibt den Glauben bei Melanchthon als performativen Akt (vor allem 42), jedoch so, dass die Gelingenheitsbedingungen des den Glauben bekennenden und so hervorbringenden Performativs sich nicht in dem erschöpfen, was der Mensch aus eigener Kraft zu leisten vermag. Berührt werden Menschen, wenn sie sich Gott anvertrauen (46 ff.). Dabei bleibt der Glaubende verletzlich für die Abgründe der Welterfahrung. Glaube ist durchdrungen von Affektivität; Glaubende kennen Ausdrucksformen für das Erleben und Erleiden sinnwidriger Bedrohungen des Lebens, kraft derer das mit Mitteln der Vernunft allein nicht zu Fassende zur Sprache gebracht werden und die so Sprechenden und Klagenden schließlich zur Ruhe kommen können (48).
Michael Moxter fragt mit Blick auf das Denken Schleiermachers, inwiefern es sinnvoll sein kann, von einem Gefühl reiner Passivität zu sprechen, da doch jeder sprachliche Ausdruck ein Akt ist, in dem ein Gefühl sich konstituiert und sprachlich differenziert, wie wie­derum Schleiermacher selbst sehr wohl wusste (69 ff.81 f.). Als reines und rein passives Gefühl ist ein Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit wesentlich unverfügbar, denn wenn Denken und Sprechen anheben, ist es bereits in Sinnbildung und damit in Aktivität eingegangen. Denkbar ist ein reines Gefühl also nur im Sinne einer Passivität »jenseits von Passivität« (79 in Anspielung an Lévinas), einer Passivität jenseits der Dichotomie von Aktivität und Passivität, einer Passivität, die darin besteht, dass das Subjekt sich selbst unverfügbar ist, da es sich nicht selbst konstituiert, sondern sich selbst gegeben ist (80.86). Dieses Gefühl manifestiert sich in religiösem Ausdruck und geht so in religiöse Kommunikation ein, jedoch eben als innere Kraft des bewussten Lebens, nicht als isolierbares Moment des Bewusstseins (86).
M. Jamie Ferreira zeigt, dass die Spannung von Aktivität und Passivität in Kierkegaards Denken auf mehreren Ebenen leitend ist: Glaube ist in der Darstellung der »Philosophischen Brocken« des Johannes Climacus eine Leidenschaft (passion) oder ein Wunder auf der einen und zugleich eine aktive Entscheidung (decision, leap) auf der anderen Seite (129 ff.); Glaube ist kein Akt des freien Willens, und doch sind wir für den Glauben verantwortlich (131). Analog strukturiert sind Phänomene »aktiver Rezeption«, also Wahrnehmungen, die zugleich Empfang von Eindrücken und Leistungen des Vorstellungsvermögens sind, so Ferreira mit Verweis auf John Henry Newman und andere (137 ff.).
Arne Grøn betrachtet die Spannung von Aktivität und Passivität aus subjektivitätstheoretischer Perspektive: Wenn wir passioniert sind, so Grøn, dann sind wir unseren Leidenschaften ausgeliefert, und doch sind wir nicht gänzlich passiv, unser Handeln wird durch unsere Leidenschaften in einer bestimmten Art und Weise qualifiziert (146). Wir sind Träger unserer Leidenschaften, und als solche verhalten wir uns zu denselben und dadurch zu uns selbst (152 ff.). Die Selbstbestimmung des passionierten Subjekts lässt sich, so zeigt Grøn anhand der erwähnten und weiteren Beobachtungen, nur angemessen würdigen, wenn dieses Wechselspiel von Aktivität und Passivität gesehen wird.
Philipp Stoellger verweist im Angesicht der pathos-Vergessenheit eines Denkens, das meint, mit ethos und logos allein verfahren zu können (188.196), auf die Präsenz und Wirksamkeit von passions (die Emotionen umfassen, 185) in der Theologie und in kulturellen und alltäglichen Phänomenen, etwa dem des Sich-Sehen-Lassens des Menschen: Wer sich sehen lässt, der macht seine Verwundbarkeit und Passivität sichtbar (192). Wer einem anderen unter die Augen tritt, der wird vom Blick des anderen, der auf ihm ruht, verändert, jedoch ohne dass der Blick des anderen verinnerlicht und angeeignet würde, so dass das Anderssein des anderen – sei es das Anderssein Gottes oder das Anderssein des anderen Menschen – unterlaufen würde (193). In Antwort auf Gottes passionierte (188) Fürsorge ( care) zeigen die Menschen durch Akte narrativer Gabe auf das, wodurch ihrem Leben zugleich eine bestimmte Form verliehen wird (202). Die Performanz der passions erweist sich als eingebettet in Interaktion, was sich im Ausdruck interpassion (190) nie­derschlägt.
Furcht vor Gott, Erstaunen und Ehrfurcht angesichts der Schöpfung und damit genuin religiöse Emotionen stehen im Mittelpunkt der Betrachtungen von Michael Rodgers und Teri Merrick. Rodgers fragt nach der Bedeutung der Furcht vor Gott (fear of God). Bei dieser, so zeigt Rodgers im engen Anschluss an Luther, Kierkegaard und Wittgenstein, kann es sich weder um die Furcht vor einem Gegenstand handeln noch um die Furcht vor einem Ereignis (158 ff.). Angemessen verstanden oder besser: gelebt wird die Furcht vor Gott, wenn sie das Handeln des Menschen in einer bestimmten Art und Weise orientiert (vor allem 165). Rodgers überführt also letztlich die Rede von der Furcht vor Gott in die von der Gottesfürchtigkeit, ohne dabei zu verschweigen, dass Luther die Furcht vor dem Zorn Gottes durchaus kennt und dass der gläubigen Gottesfürchtigkeit Verzweiflung vorangeht (167).