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Ausgabe:

Januar/2014

Spalte:

91–93

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Schelhas, Johannes

Titel/Untertitel:

Christozentrische Schriftauslegung. Hans Urs von Balthasar und Karl Barth im Vergleich.

Verlag:

Freiburg u. a.: Verlag Herder 2012. 580 S. Kart. EUR 45,00. ISBN 978-3-451-32569-4.

Rezensent:

Hans-Anton Drewes

Die 2011 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn angenommene Habilitationsschrift behandelt ein Thema, das angesichts der »Herausforderungen«, »welche die methodische Pluralität« in der Theologie und »die defizitäre Praxis« in der Kirche »derzeit an die Schriftauslegung stellen« (17), großes Ge­wicht hat. Man kann die Feststellung in den abschließenden »Thesen zur christozentrischen Schriftauslegung« (479–483) nur unterstreichen: »In der aktuellen Stunde der Kirche bedeutet die Rea­lisierung christozentrischer Schriftauslegung einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer glaubwürdigeren Theologie.« (480) Einen anregenden Beitrag dazu leistet Johannes Schelhas, indem er darlegt, was »Schriftauslegung im Verständnis Hans Urs von Balthasars« bzw. »im Verständnis Karl Barths« bedeutet (75–248 bzw. 249–405), um dann den Ertrag des Vergleichs unter der Überschrift »Christozentrik der Schriftauslegung« (407–478) zu sichten.
Vor allem beeindruckt die umfassende Vertrautheit auch mit entlegeneren Schriften der beiden wohl produktivsten theologischen Autoren des 20. Jh.s. Problematisch erscheint es freilich, wenn S. von Balthasars geradezu testamentarische Erklärung an­führt, dass sein Werk nicht von dem Adrienne von Speyrs (das zum größten Teil aus Schriftauslegungen besteht!) zu trennen sei – um dann trocken zu erklären: »Ich gehe dieser Kohärenz […] nicht nach.« (30) Die notwendige Stoffbegrenzung ist dafür gewiss ein gewichtiges Argument. Aber es ersetzt doch nicht die Stellungnahme in der Sache. Wenn S. übrigens in diesem Zusammenhang den Vorsatz äußert, sein »Hauptaugenmerk« auf die frühe und mittlere Schaffensperiode von Balthasars zu richten (31), so gewinnt seine Studie gerade dadurch, dass er ihn nicht streng befolgt, sondern doch auch der im Laufe der Arbeit gewonnenen Einsicht Rechnung trägt: »Man wird dem ganzen von Balthasar erst im Licht der späten Schriften vollends gerecht.« (141) So hat er mit der komprehensiven Darstellung von Balthasars wie entsprechend mit der »Erschließung des Barth’schen Werkes« (423) in der Tat »die Tür zur Forschung weit« geöffnet (422; vgl. 141, Anm. 43).
Wie kann, wie muss der Weg von der »Vorhalle des Domes« aus weitergehen? Vor allem darf es nicht dabei bleiben, dass die beiden Gedankengebäude »ins Visier« genommen werden. Natürlich: Das musste »erst einmal« geschehen (422), aber daraufhin sollte gerade um der Rezeption dieser Gedanken willen in die Auseinandersetzung um die Sache eingetreten werden. Die Studie scheint noch zu sehr bestimmt von dem referierenden: »nach« oder »für« Barth, von Balthasar »zufolge« gelte dies oder das. Die so geübte Urteilsenthaltsamkeit führt etwa dazu, dass eine an von Balthasar zu richtende kritische Frage umständlich exponiert wird, um das ganze Problem dann mit dem Satz, der auch als Beispiel für andere weniger glückliche Formulierungen stehen kann, zu suspendieren: »Ohne die Antwort unbesehen mit Flecken zu übersäen […], führt von Balthasars Aussage zum nächsten ›Ort‹ […].« (196 f.) Wenn S. nach 120 Seiten die Fleckengefahr gebannt sieht, kommt er zum Ergebnis: »Die Kohärenz von Offenbarungsgehalt und empirischem Gehalt bei einer empirischen Methode hat von Balthasar unzureichend reflektiert.« (417) In dieser Frage darf es doch nicht bei der Feststellung bleiben, »dass die Fragen keiner exakten Klärung zugeführt werden können« (421). Die grundlegende, von S. christologisch akzentuierte hermeneutische Weisung, »den Stoff […] in der Richtung auf jenes Wort wahrzunehmen, das hinter dem geschriebenen oder gesprochenen Wort eines Menschen steht« (31; vgl. 175, Anm. 23), führt doch notwendig in das Ringen um die Sache, eben um das Wort hinter dem Wort. Hat von Balthasar tatsächlich die Fragen um das Verhältnis zwischen der »singuläre[n] christozentrische[n] Methode der Offenbarung« und den »pluralen empirischen Methoden der Erforschung der bloßen Bibeltexte« (178) »nicht hinreichend und klar genug bedacht« (417)? Nun, so stellt das eben die eigentlich interessierende Aufgabe, »mit von Balthasar über von Balthasar hinaus[zugehen]«, wie S. selber sagt (170).
Die »konzise Hermeneutik christozentrischer Schriftauslegung in Balthasarscher Prägung«, auf die S. zielt (170), wird sich freilich kaum erreichen lassen, wenn zum Ausgangspunkt die Gegenüberstellung der Offenbarungserkenntnis einerseits und der philologisch-historischen Erklärung andererseits im Sinne der von von Balthasar kritisierten »Zwei-Stockwerk-Theorie« (Verbum Caro, 56) genommen wird. Sie muss in der Tat in eine »methodische Schizophrenie« (166) führen. Das machen auch die widersprüchlichen Bestimmungen des Vf.s deutlich, nach denen die »Erforschung des ›Literalsinns‹« einmal »ihrer Natur nach blind für den ›geistigen resp. geistlichen‹ Sinn, den christozentrischen, bleibt« (170), zum andern aber doch die »Ausrichtung und Bezogenheit auf die chris­tozentrische Gestalt« erkennbar werden soll (204), indem sie »an den Horizont der Offenbarung herangeführt und in ihn hineingestellt« wird (208). Diese Beschwörungen einer nachträglichen »Ko­härenz« (171) erscheinen umso problematischer, als in unklarer Beziehung neben ihnen Aussagen über »die eine christozentrische Gestalterkenntnis« stehen, die »in zwei Erkenntnisgestalten« »sub sistiert« – »in der offenbarungshaften und in der empirischen, in der pneumatischen und in der weltlichen« (194 f.; vgl. 201), die jedoch miteinander nur in einer ursprünglichen Einheit verbunden sind, die »in gewisser Weise keine Zweiheit« duldet, sie aber »tolerieren« muss (417). Ist so von Balthasars Position völlig zutreffend wiedergegeben? Oder sind die Andeutungen zu einer bündigeren Hermeneutik deshalb nicht völlig überzeugend, weil sie jene Gezweiung voraussetzen und »die einmal getrennten Momente erneut zu vereinen« versuchen (vgl. von Balthasar, Pneuma und Institution 9), statt, wie es m. E. im Sinne von Balthasars wäre, strikt von der einen Schau der Gestalt auszugehen (vgl. besonders 132. 137.142.146 f.), die als »Kontemplation der geschichtlichen Offenbarung« (von Balthasar, Verbum Caro, 123) Philologie und Historie braucht, benötigt, hervorbringt, übt. Wäre nicht gerade über dieses »kontemplative« Vernehmen der Texte ein spannendes Gespräch zwischen den gerade hier offenkundig sehr verwandten Ansätzen Barths und von Balthasars zu verfolgen? Vorausgesetzt freilich, dass weniger Prinzipien und Ergebnisse als vielmehr der Vorgang des Verstehens, des Schauens und des Hörens selber im Blick ist. Besonders Barths Römerbriefe von 1919 und 1922 sind Paradigmen für den gemeinten einen Vorgang des Verstehens, in dem die historisch-kritische Exegese selbstverständlich als ein Moment mitgesetzt ist. Ihre Anerkennung erbrachte nicht erst »Barths verändertes, gereiftes Denken« (30; vgl. 355; richtig: 429) (so wenig wie, ausgerechnet, beim »späten Barth das aktive Element des Tuns des Wortes […] völlig in den Hintergrund« gerät [61] und Hörer und Täter des Wortes »illegitim marginalisiert« werden [62]).
Die Parallelen in der Hermeneutik scheinen wichtiger als die Unterschiede in den von S. als »gegensätzlich und polar« bezeichneten Ekklesiologien (460). Doch ist folgerichtig, dass eine unabhängig neben der Philologie stehende Offenbarungserkenntnis nach einer »Theologie mit eucharistischer Prolongation« (156; vgl. 218), nach dem »Heiligen« als »›Bruder‹ der Schrift« ruft (460): nach einer in die »unfehlbare, irrtumsfreie Wahrheit Gottes« eingeschlossenen »Kirche als das untrügliche sakramentale Zeichen der christozentrischen Gestalt« (195, Anm. 60). S. hat also gewiss Recht: auch in den Fragen der Schrifthermeneutik kann Übereinstimmung und Einheit erst dann erreicht werden, wenn im ökumenischen Gespräch »die (hinter den Heiligen stehende) Kirche nicht ausgeklammert bleibt« (460). Dass das reiche Material, das S. kundig ausbreitet, dazu Anregung und Anstoß bietet, ist ein nicht geringes Verdienst seiner Studie.