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Ausgabe:

Januar/2014

Spalte:

86–88

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Schäfer, Rolf [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Jeverschen Pastorenbekenntnisse 1548 anlässlich des Augsburger Interim.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2012. XIII, 611 S. = Beiträge zur historischen Theologie, 168. Lw. EUR 124,00. ISBN 978-3-16-151910-9.

Rezensent:

Markus Wriedt

Es ist ein ganz außergewöhnliches Quellencorpus, das seit 1548 aufbewahrt und zuletzt in der Bibliothek der Marienschule geschützt wurde: die Bekenntnisse, die Pastoren aus der Herrschaft Jever auf ausdrückliche Weisung der Obrigkeit verfasst haben. Aus einem an den äußeren nordwestlichen Grenzen des Reiches gelegenen, insgesamt eher dünn besiedelten Herrschaftsgebiet finden sich nahezu vollständig die Reaktionen der Pastorenschaft auf die Entscheidungen des geharnischten Reichstages von Augsburg und damit zugleich auch durchaus für den Bereich Friesland/Oldenburg verallgemeinerungsfähige Zeugnisse der reformatorischen Überzeugungen und des kirchlichen Durchsetzungswillens dieser gegen­-über der kaiserlichen Macht. Damit wird diese Quellensammlung Teil der (Welt-)Wirkungen Wittenbergs (Ritter) und ihrer ra­schen Verbreitung im Raum Europa.
Die Reformation hatte sich unter der Dominanz der ostfriesischen Herrscher seit 1527 im Jeverland durchgesetzt. Noch in diesem Jahr wurde die deutsche Messe nach Vorlage von Luthers Messreform in St. Cyriakus in Jever eingeführt. Doch auch nachdem die ostfriesische Herrschaft über Ostfriesland 1531 an ihr Ende gekommen war, blieb die reformatorische Gesinnung erhalten, dies insbesondere unter dem Einfluss des Rentmeisters Remmer von Seediek, der in Rostock studiert hatte und sich zum Geistlichen hatte weihen lassen. Er vermochte Maria von Jever zu überzeugen, dass die reformatorische Theologie und Kirchenreform ihrem Lande nicht schaden würde. Die offizielle Durchführung im gesamten Herrschaftsbereich erfolgte 1532. Man verstand sich nicht als neue Kirche, sondern als die im Reinigungsprozess von Missbräuchen begriffene immerwährende Kirche. Im Sinne der Wittenberger Reformation wollte man den radikalen Traditionsbruch gerade vermeiden und grenzte sich so von radikal-reformerischen Kräften, insbesondere des benachbarten Friesland deutlich ab. Durch die Übergabe an das Burgundische Lehen Karls V. war das Jeverland vor den Begehrlichkeiten des westlichen Nachbarn geschützt, gelang es freilich auch, die kirchlichen Verhältnisse so darzustellen, dass eine antireformatorische Reaktion von Seiten Königin Marias von Ungarn, Schwester Karls V., nicht erfolgte. Daran änderten auch die weiteren politischen Ereignisse der turbulenten 40er Jahre des 16. Jahrhunderts nichts.
Den Beschlüssen des Augsburger Reichstages von 1548 folgend wurden eine deutsche und eine lateinische Fassung des Interims auch der Herrschaft Jever zugestellt. Diplomatisch geschickt ließ Maria den Empfang quittieren und versprach, die Beschlüsse ihren Pfarrern vorzulegen. Am 12. No­vember 1548 forderte sie dann in einer persönlichen Audienz von ihrem Klerus je individuelle Stellungnahmen, die in vier Punkten zu erfolgen hatten: 1) das Interim, 2) die Glaubensartikel, 3) die Sakramente und 4) die herkömmlichen christlichen Zeremonien. Diese 21 Stellungnahmen samt eines Jeverschen Bekenntnisses wurden am 3. Dezem­ber erneut in persönlicher Besprechung vorgelegt und verabschiedet. Den Zweck dieser Bekenntnisse formuliert Maria von Jever unter Hinweis auf die notwendige Einheit der kirchlichen Lehre und der auf ihr gegründeten Seelsorge in allen Kirchspielen. Insofern entsprechen diese Maßnahmen dem Muster obrigkeitlich gelenkter Konfessionalisierung und greifen insofern deutlich auch über den Rahmen einer bloßen Reaktion auf den Augsburger Reichstag hinaus.
Infolge des Fürstenaufstandes und des ihn beendenden Pas­-sauer Vertrages verlagerte sich der mögliche antireformatorische Druck auf ganz andere Gebiete im Reich. Auch wenn das Jeverland als burgundisches Lehen letztlich im Reichsverbund ziemlich un­mittelbar dem Einfluss des Kaisers und seiner engsten Vasallen ausgesetzt war, konnte sich die lutherische Reformation – nicht zuletzt wegen der marginalen Lage im Nordwesten des Reiches – weiter stabilisieren. Die Bekenntnisse wurden archiviert, freilich bei der weiteren Durchsetzung reformatorischer Maßnahmen nicht wieder hinzugezogen.
Rolf Schäfer hat nun diese handschriftlichen Zeugnisse reformatorischer Grundüberzeugungen mustergültig ediert und mit einer ausführlichen, dennoch knappen und zugespitzten historischen Einführung versehen. Zu den Bekenntnissen hat er die verfügbaren prosopographischen Daten ihrer Verfasser und auch Hinweise auf ihre Gemeinden zusammengestellt. Diese Daten fallen naturgemäß sehr unterschiedlich aus. Gleichwohl ermöglichen sie einen ersten Vergleich und damit über die Bekenntnisse hinaus auch einen Strukturvergleich der kirchlichen Verhältnisse im Jeverland.
Nahezu alle Bekenntnisse sind mehr oder minder stereotyp den oben genannten Fragen entlang aufgebaut und abgehandelt. Interessant sind jene Passagen, in denen der Rekurs auf einen der Schwerpunkte der Stellungnahme fehlt oder zur Wiedergabe anderer In­halte Anlass gibt. Neben dem aktuellen Bekenntnisstand enthalten die Texte sehr interessante Hinweise auf den recht unterschiedlichen Bildungsstand der Pfarrer und ihre theologischen Profile etwa im Rekurs auf kirchliche Autoritäten, Texte der Bibel, der Kirchenväter oder gar reformatorische Schriften (Luthers Katechismen, Melanchthons Loci communes) und weitere Zeugnisse. Einige Bekenntnisse sind durchaus in Abhängigkeit voneinander bzw. unter Rückgriff auf Vorlagen entstanden. Dadurch lässt sich die unterschiedliche Länge der einzelnen Quellenfundstücke erklären, freilich bedürfen die Abhängigkeitsverhältnisse noch weitergehender Studien und Textanalysen. Ein Teil der Bekenntnisse ist in Frühneuhochdeutsch, andere sind in Latein mit Übersetzung ins Deutsche verfasst.
Es lässt sich nicht verleugnen, dass ein Teil der Bekenntnisse in politisch-strategischer Abzweckung verfasst wurde und stück­weise auch das ›erwartete‹ Zeugnis ablegt. Dennoch erlaubt der synoptische Vergleich die Rekonstruktion spezifischer Argumentationslinien und die relative inhaltliche Nähe zur reformatorischen Polemik und Kontroverstheologie Wittenbergs. Die Orte mögen zwar geographisch weit getrennt sein, aber die konfessionell zentrierte Kommunikation funktionierte dennoch ausgezeichnet.
Besondere Beachtung verdienen die biblischen Bezugnahmen, die bei näherer Analyse möglicherweise die Verwendung charakteristischer Texte und Argumente erkennen lässt, die auf der Basis der Wittenberger kontroverstheologischen Schriften bzw. ihrer Vermittlung durch Männer wie Melanchthon oder Bugenhagen, entstanden sein könnten.
Dem Band sind ein paar Handschriftenproben sowie die Bilder von Maria von Jever und Jacobus Drentvede, eine Karte und ein Foto beigefügt. Eine umfangreiche Bibliographie erschließt die ostfriesische und jeverländische Reformationszeit und wird durch Namen- und Ortsregister abgeschlossen.
Der Band ist zweifellos ein reformationshistorischer Gewinn und wirft Licht auf eine im Zuge der allgemeinen Reformations­-geschichte vernachlässigte Region des Reiches. Die hervorragende Aufbereitung der Quellen erlaubt die Verwendung in Studium und Fortbildung – auch im Beruf! –, dürfte aber nur bei einem kleinen Kreis von Interessenten Aufnahme finden. Umso wichtiger ist der Hinweis im Rahmen dieser Buchbesprechung, damit die an der Reformationsgeschichte Norddeutschlands arbeitenden Forscher genau hinschauen und diese Studie in vergleichenden Untersuchungen ein Stück weit auch wieder an die Reichsgeschichte rückgebunden wird.
Rolf Schäfer ist für die archivalisch-bibliographische Kärrnerarbeit zu danken, die auch in der Lektüre von Handschriften und älteren Quellen Ungeübten raschen Zugriff ermöglicht; ein wichtiges Buch, dem man eine breite Rezeption wünscht und das die Konfessionalisierungsdebatte in eindrücklicher Weise ergänzt.