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Ausgabe:

Januar/2014

Spalte:

76–79

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Lexicon Gregorianum. Wörterbuch zu den Schriften Gregors von Nyssa. Hrsg. v. d. Forschungsstelle Gregor von Nyssa an der Westf. Wilhelms-Universität unter Leitung v. W.-D. Hauschild †. Bd. VI

Titel/Untertitel:

λαβή – ὀψοφόρος. Bearb. v. F. Mann unter Mitarbeit v. V. H. Drecoll. Leiden u. a.: Brill 2006. XII, 971 S. Lw. EUR 431,00. ISBN 978-90-04-13898-8. Bd. VII: παγγενής – πῶμα. Bearb. v. F. Mann unter Mitarbeit v. V. H. Drecoll (Artikel πρόσωπον). Leiden u. a.: Brill 2008. X, 873 S. Lw. EUR 333,00. ISBN 978-90-04-16700-1. Bd. VIII: ῥάβδος – σώφρων. Bearb. v. F. Mann. Leiden u. a.: Brill 2010. XII, 490 S. Lw. EUR 308,00. ISBN 978-90-04-16701-8. Bd. IX: τάγμα – ὠχρότης. Bearb. v. F. Mann.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2013. XIV, 784 S. Lw. EUR 399,00. ISBN 978-90-04-16702-5.

Rezensent:

Hubertus R. Drobner

In unserer immer schnelllebiger und kurzatmiger gewordenen Welt – auch der wissenschaftlichen – ist es äußerst selten geworden, dass ein einzelner Gelehrter sein ganzes Leben mit all seiner Kraft einem großen wissenschaftlichen Projekt widmet und es ihm gelingt, es abzuschließen. Gewiss, die Forschungsstelle Gregor von Nyssa an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und ihre Leiter, die Professoren Heinrich Dörrie und Wolf-Dieter Hau­schildt, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen und die Patristische Kommission haben den institutionellen und finanziellen Rahmen zur Verfügung gestellt, der die jahrzehntelange Arbeit an dem Lexikon erst ermöglichte. Gewiss, Dr. Friedhelm Mann hatte Mit- und Zuarbeiter, u. a. bei den vier hier anzuzeigenden Bänden Volker Henning Drecoll (seit 2004 Professor für Alte Kirchengeschichte an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen). Aber ob, wie und wann das große Projekt ohne die Hingabe von Herrn Dr. Mann, der auch als Pensionär nicht müde wurde, daran weiterzuarbeiten, gelungen wäre, bleibt fraglich.
Der Rezensent erinnert sich, wie Friedhelm Mann 1986 anlässlich des Sechsten Internationalen Gregor von Nyssa-Kolloquiums an der Universität von Navarra in Pamplona das 1984 begonnene Projekt in ersten spezifischen Analysen vorstellte (vgl. Friedhelm Mann, Das Vokabular des Eunomios im Kontext Gregors, in: El »Contra Eunomium I« en la producción literaria de Gregorio de Nisa. VI Coloquio Internacional sobre Gregorio de Nisa. Edición a cargo de Lucas F. Mateo-Seco y Juan L. Bastero, Pamplona 1988, 173–202). Wer wäre damals – außer wohl Friedhelm Mann selbst – felsenfest davon überzeugt gewesen, die Vollendung des Projektes zu erleben? Aber nach 15 Jahren der sorgfältigen und eingehenden Vorbereitung erschienen die neun Bände mit unbeirrbarer Regelmäßigkeit: 1999 – 2000 – 2001 – 2002 – 2003 – 2007 – 2009 – 2010 – 2013.
Die Bände VI–IX enthalten die Lemmata λ bis ω. Einen zehnten Band kündigt der Verlag Brill wie folgt an: »Der zehnte Band des Lexicon Gregorianum präsentiert den Gesamtbestand an Nomina Propria, d. h. an Personen- und Ortsnamen, in den Schriften Gregors von Nyssa. Er gewährt Einsicht in die theologische Interpretation der biblischen Namen durch Gregor und in die Bedeutung, die er nichtbiblischen Namen beimisst, sowie Aufschlüsse über Gregors Beurteilung der Personen der Geschichte und der Zeitgeschichte. Umfangreiche Erklärungen und Paraphrasen zu den Lemmata und zu wichtigen Belegstellen erleichtern den Zugang zum Artikel und die Orientierung. Zudem ist für alle Einträge eine englische Übersetzung beigefügt.« .
Für den generellen Inhalt und Aufbau der Bände sei grundlegend auf die Rezensionen der Bände I–V verwiesen: Theologische Literaturzeitung 126 [2001], 415 f. und 130 [2005], 56–58. Es handelt sich nicht um ein lexique raisonnée nach Art des »Theologischen Wörterbuchs zum Neuen Testament« Gerhard Kittels, sondern »um eine Kombination von Index, Konkordanz und Wörterbuch« (Vorwort: Band I, VI), wie der Herausgeber selbst sein opus magnum bescheiden vorstellte. Man muss freilich, insbesondere nach dem ungewöhnlichen Erfolg des Projektes hervorheben, dass weder Ziel noch Ergebnisse bescheiden sind; im Gegenteil, es handelt sich um ein Lexikon, das in seiner Art einmalig ist und Maßstäbe setzt.
Es bietet die vollständige Aufarbeitung des reichen Vokabulars Gregors von Nyssa in einer bisher nicht dagewesenen Weise. Die Lemmata werden nicht nur nach ihren verschiedenen Bedeutungen analysiert und geordnet, es wird dem Benutzer vielmehr durch Zitat des ganzen Satzes bzw. Kontextes der Stellen unmittelbar ermöglicht, sich ein präzises Bild der Wortbedeutung und ihres Gebrauchs zu machen. Bei umfangreichen und vor allem philosophisch und theologisch wichtigen Begriffen wie z. B. νοῦς (VI, 610–621), ὄνομα (VI, 796–832), οὐσία (VI, 933–947), πατήρ (VIII, 228–261), υἱός (IX, 200–223) oder φύσις (IX, 529–572) steht den Einträgen eine detaillierte Gliederung voran. Diese Gliederungen zeigen, dass die Artikel das gregorianische Vokabular sowohl inhaltlich als auch semasiologisch aufarbeiten: Bedeutungen, Gebrauch in Wortverbindungen, Referenzen zu Bibelzitaten, thematische Kontexte, grammatikalische Eigenarten, z. B. Bedeutung und Gebrauch der Casus und präpositionale Verbindungen.
Die Textgrundlage ist, wie bisher, gemischt. Die allermeisten Werke werden nach der von Werner Jaeger auf Initiative des großen Philologen Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff 1911 begonnenen großen kritischen Edition der Gregorii Nysseni Opera zitiert, einschließlich ihrer wichtigsten variae lectiones. Vgl. Werner Jaeger/ Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Praefatio, in: GNO I2, Leiden 1960, V–XIII; Hadwig Hörner, Über Genese und derzeitigen Stand der grossen Edition der Werke Gregors von Nyssa, in: Écriture et culture philosophique dans la pensée de Grégoire de Nysse. Actes du Coloque de Chevetogne (22–26 septembre 1969), édités par Marguerite Harl, Leiden 1971, 18–50. Im Zeitraum der anzuzeigenden Lexikonbände (2007–2013) kamen zwei neue Editionen hinzu: Epis­tula canonica, ed. Ekkehard Mühlenberg (= GNO III/V), Leiden 2008, und In Hexaemeron, ed. Hubertus R. Drobner (= GNO IV/I), Leiden 2009. Band VII (2009) des Lexicon Gregorianum konnte noch nicht die Paginierung der neuen Editionen einstellen, enthält aber bereits die endgültigen Lesarten nach den vorliegenden Druckmanuskripten. Die Bände VIII und IX beruhen auf den neuen kritischen Editionen, wenn auch für In Hexaemeron in Klammern die Referenzen auf die Forbessche Edition (1855) hinzugefügt werden, um den Forschern die Arbeit zu erleichtern, die weiterhin diese Ausgabe konsultieren (vgl. VII, 865 und VIII, 486). Es fehlen damit nur noch zwei Werke zur Vollendung der Jaegerschen editio maior: De anima et resurrectione (= GNO III/3), Text nach Franz Oehler, Gregor’s, Bischof’s von Nyssa Gespräch mit seiner Schwester Makrina über Seele und Auferstehung. Griechisch und deutsch, Leipzig 1858, 1–171; Stellenangabe nach PG 46, 11–160. De hominis opificio (= GNO IV/2), zitiert nach Georg H. Forbes, Burntisland 1855, 96–319.
Die Bände VII, 867–873 und VIII, 487–489 enthalten je einen Appendix: »Ergänzungen und Korrekturen von Artikeln, Stellen und Perikopen« sowie eine »Liste zusätzlicher variae lectiones der Lemmata« für die vorhergehenden Bände, die sich während der Arbeit ergaben. Der Herausgeber ist sich natürlich bewusst, »daß die Benutzung des Lexikons durch diese Anhänge nicht gerade erleichtert wird« (VII, 865). Gleichzeitig ist ihm jeder Benutzer dafür dankbar, sich jederzeit darauf verlassen zu können, den vollständigen aktuellen Forschungsstand in dem Lexikon vorzufinden. Die Be­nutzung wird in Zukunft dadurch erleichtert werden, dass der vorgesehene Band 10 des Lexicon Gregorianum »die Stellen und Perikopen der Appendices aller Bände in einer einzigen Ap­pendix zu­sammenfaßt, wodurch ein Gesamtüberblick ermöglicht wird und die lästige Überprüfung der einzelnen Bände entfällt.« Diese Ap­pendizes bieten den schlagenden Beweis für die geradezu unbegrenzte Sorgfalt des Autors, worauf man sich in jedem Detail seines opus magnum verlassen und die man gar nicht genug rühmen kann. Friedhelm Mann kündigt ebenfalls erneut an, dass Aufarbeitung der Präpositionen, Formwörter und Partikel, deren umfangreiche Belege nicht in die vorliegenden Bänden aufgenommen werden konnten, in einem Sonderband folgen werden (VII, 866).
Im Einzelnen muss und wird jeder Benutzer seine eigenen Erfahrungen mit dem Lexicon Gregorianum machen. Eine Besprechung einzelner Lemmata verbietet sich in diesem Rahmen. Man kann jedoch sicher sein, mit diesem Werk ein Produkt höchstmöglicher und in modernen Zeiten ganz außergewöhnlicher philolo­gischer Sorgfalt und Präzision in der Hand zu halten. Friedhelm Mann und allen daran Beteiligten, auch den beteiligten Institutionen und Geldgebern kann man nur dazu gratulieren und es als Ansporn nehmen, auch künftig den Mut, den Unter­nehmungsgeist und die Hingabe zu solchen Großprojekten der Grundlagenforschung zu wagen ohne Rücksicht auf kurzfristige und kurz-sichtige Nützlichkeits- oder Profiterwägungen. Es wird oft gar zu leichtfertig das Prädikat »Jahrhundertwerk« vergeben, zumal das 21. Jh. noch weit am Anfang steht. Im eigentlichen Sinne meint das Prädikat etwas, was es nur einmal in 100 Jahren gibt, und das wird man vom Lexicon Gregorianum auch heute schon mit Fug und Recht behaupten können.