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Ausgabe:

Januar/2014

Spalte:

69–70

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wedderburn, Alexander J. M.

Titel/Untertitel:

The Death of Jesus. Some Reflections on Jesus-Traditions and Paul.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2013. XV, 226 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 299. Lw. EUR 89,00. ISBN 978-3-16-152114-0.

Rezensent:

Walter Klaiber

Dieses Buch von Alexander Wedderburn hat eine doppelte Zielsetzung: Es möchte die wichtigsten Texte der Jesustradition und des Paulus zur Bedeutung des Todes Jesu exegetisch befragen und zugleich die Frage nach der bleibenden Bedeutung dieser Aussagen hermeneutisch aufarbeiten. Darum widmet W. das erste Kapitel (Introduction, 1–46) einer Durchsicht einschlägiger systematisch-theologischer Werke (z. B. Moltmann, Fiddes, Sölle und Boff). Als Strategie für die eigene Arbeit nennt er die Aufgabe, möglichst unvoreingenommen festzustellen, ob Jesus seinen gewaltsamen Tod vorausgesehen und wie er ihn verstanden hat. Doch deutet er an, dass das Ergebnis der historischen Rückfrage nicht das letzte Wort für unser Urteil über spätere Deutungen sein muss (40 f.). Darüber hinaus ist grundsätzlich zu fragen, ob solche Aussagen für uns noch akzeptabel sind bzw. was sie für uns heute bedeuten können.
In 2. A Deepening Shadow (47–66) stellt W. fest, dass Jesus wohl mit der Möglichkeit eines gewaltsamen Todes gerechnet hat. Dennoch ging er nach Jerusalem, um die Stadt mit seiner Botschaft zu konfrontieren. Doch hat er eher damit gerechnet, dass sein Tod das Maß des Zorngerichts vollmachen würde (vgl. Lk 23,28 f.), als dass er ihm eine sühnende Wirkung zugeschrieben hätte. Das bestätigt sich bei der Analyse der Abendmahlsworte (3. Jesus’ Last Meal, 67–87). Ihre vermutlich ursprüngliche Gestalt (77) zeigt, dass das letzte Mahl Jesu eine eindringliche Vergegenwärtigung des nahen himmlischen Festmahls und ein besonderes Zeichen der Gemeinschaft zwischen ihm und seinen Jüngern darstellte (86). In 4. For­-sak­en by God (89–106) untersucht W. die Gethsemaneperikope und Jesu letzten Schrei am Kreuz. Sein Ergebnis: Ein Wissen Jesu um eine sühnende Bedeutung seines Todes ist nicht erkennbar, vielmehr hat Jesus in seinem letzten Schrei geklagt, dass Gott ihn verlassen habe. Jenseits der traditionellen Interpretation seines Todes könnte das bedeuten, Jesus dennoch als Repräsentanten der Menschheit zu sehen, »in that he speaks here for all those who feel themselves deserted, even betrayed, by God, if indeed there is a God, and who express in bitter words their sense of loss and betrayal« (106).
5. Between Jesus and Paul (107–128) untersucht sorgfältig die vielfältigen urchristlichen Traditionen der Deutung des Todes Jesu, die Paulus übernimmt. Weil sie sehr unterschiedliche Paradigmen verwenden, darf keine von ihnen absolut gesetzt werden. Vielmehr interpretieren und korrigieren sie sich gegenseitig. Mit 6.The Folly of the Cross (129–148) stößt W. zur spezifisch paulinischen Interpretation des Todes Jesu vor. Er arbeitet klar heraus, dass die paulinische theologia crucis einen eigenständigen hermeneutischen Entwurf darstellt, der vor allem in den polemischen Ausführungen des Gal und 1Kor zum Tragen kommt, während er im Röm zurücktritt. Dennoch hat er grundsätzliche, kritische Bedeutung für die Theologie. Ein weiteres spezifisch paulinisches Interpretament bietet 7. Participation in Christ (149–165). W. analysiert sehr sorgfältig die verschiedenen Aspekte der Teilhabe an Christus und seinem Tod bei Paulus. Doch überwiegt in den ›hermeneutischen Reflexionen‹ die Skepsis darüber, was wir heute von Jesus in dieser Hinsicht sagen können. 8. ›Righteousness‹ and ›Justification‹ (167–182) behandelt weniger die Bedeutung des Todes Jesu für die Rechtfertigungsbotschaft des Paulus als vielmehr die seiner Auferstehung. W. folgt hier der Interpretation Käsemanns und seiner Deutung von Rechtfertigung als neuer Schöpfung, erinnert aber daran, dass auch eine solch überzeugende Interpretation der paulinischen Aussagen nicht beweist, dass sie wahr und für uns gültig sind.
So ist es nicht überraschend, dass W. in seiner kurzen Schlusszusammenfassung (9. Conclusions, 183–186) zu einem skeptischen Er­gebnis kommt. Zwar stellt er noch einmal infrage, dass wir für die Deutung des Todes Jesu bei dem bleiben müssen, was wir historisch als Haltung Jesu erkennen können. Aber die Alternative, anzunehmen, dass Gott einen Plan hatte, aufgrund dessen er Jesus opfern musste, hält kritischen Fragen nicht stand. Und was Paulus an Deutungsangeboten bietet, lässt zu wenig Raum für das, was wir über Jesu irdisches Wirken wissen. Dass dieses Ergebnis in vielem von der traditionellen Theologie abweicht, könnte auch für es sprechen: »If our glimpses of God in this world would remain but fragmentary, at least one is left with a God who is no ruthless monster, is not at odds with God’s self, and a God with whom we can sympathetically identify and find therein a calling and a way of life that is both im­mensely challenging and immensely fulfilling.« (186)
Diese Schlussfolgerung kommt einigermaßen überraschend. Zwar beeindruckt die Arbeit durch ihre sorgfältige und differenziert argumentierende Exegese ebenso wie durch ihr ehrliches Fragen. Aber sie enttäuscht auch durch Inkonsequenzen in der systematischen Fragestellung (z. B. im Blick auf den Stellenwert der Haltung Jesu zu seinem Tod). Vor allem ist zu fragen, ob es nicht doch möglich wäre, der exegetisch so eindrücklich dargestellten paulinischen Kreuzestheologie und Rechtfertigungslehre hermeneutisch eine größere Bedeutung für uns heute abzugewinnen.