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Ausgabe:

Mai/1999

Spalte:

567–569

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Biehl, P. u. Bizer, Chr. u. Degen, R. u. Mette, N. u. Rickers, F. u. Schweitzer F.

Titel/Untertitel:

Jahrbuch der Religionspädagogik. Bd. 13 und 14.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1997/98. 237 S. u. 278 S. Je DM 78,-. ISBN 3-7887-1653-3 u. 3-7887-1690-8.

Rezensent:

Christian Grethlein

Entsprechend der gleichzeitigen Zusendung des Verlags werden die beiden Jahrbücher gemeinsam besprochen. Sie wenden sich religionspädagogisch aktuellen Themen zu: Bd. 13 "Kunst und Religion", Bd. 14 "Heimat - Fremde". Angesichts der Fülle der hier veröffentlichten Beiträge können nur die dem Rez. sachlich gewichtiger erscheinenden genannt werden.

Dabei sei eingestanden, daß mir in Band 13 Dietrich Zilleßens "Thronfolger. Umgang mit einem Kunstwerk von Albrecht Genin in religionspädagogischer Absicht" (35-44) weithin unverständlich blieb. Als kleine Kostprobe seines hypostasenreichen "Argumentationsstils": "Moralisierung kann sich nicht dem Spiel der Formen hingeben, weil sie sich endgültig normativ bindet. Ihre Religion ist fundamentalistisch. Aber auch das Handeln kann sich fundamentalistisch binden, weil Handeln stets auch Weltentwurf ist und sich jeder Entwurf selbstvergessen absolutieren kann. Erst das Spiel vertreibt die fundamentalistische Religion sowohl in den Moralen wie in den Handlungsprozessen. Erst das Spiel weiß darum, daß weder Moral noch Handeln eindeutige Ausdrucksformen eindeutig bestimmbarer Inhalte sein können" (43).

Die Bände sind jeweils in vier Kapitel gegliedert: "Begegnungen zwischen Religionspädagogik und Kunst" bzw. "Erfahrungsberichte", "(Soziologische, psychologische) Theologische und pädagogische Reflexionen", "Konkretionen" und Literaturberichte bzw. Rezensionen. Allerdings erscheint in den ersten drei Kategorien die Zuordnung teilweise wenig einleuchtend, so daß die Besprechung ihr auch nicht folgt.

Positiv hervorzuheben ist, daß Band 13 durch zwei hervorragende theoretische Beiträge eine gute Orientierung inmitten des komplexen Themenfeldes ermöglicht. Horst Schwebels "Kunst und Religion zwischen Moderne und Postmoderne" (47-70) stellt klar systematisiert (und zugleich anschaulich durch den Bezug auf konkrete Beispiele) "Erscheinungsformen der Kunst in Moderne und Postmoderne" dar. Nach einem kurzen Exkurs zu dem (nicht durchschlagenden) Einfluß des Holocaust auf die Gegenwartskunst entwirft er mittels eines differenziert entfalteten Transzendenz-Begriffs eine überzeugende theologische Annäherung an die Gegenwartskunst. Ebenfalls sehr instruktiv sind die "fundamentaldidaktischen Überlegungen" von Rita Burrichter zu "Theologische Kunstvermittlung" (irritierender Weise der Rubrik "Praktische Konkretionen" zugeordnet). Behutsam umkreist sie die Frage, wie eine religionspädagogische Kunstvermittlung angesichts der Autonomie heutiger Kunst möglich ist. Im Band 14 leistet Peter Biehls "Heimat in theologischer und religionspädagogischer Perspektive. Plädoyer für ein eschatologisch gebrochenes Heimatverständnis" (29-64) eine umfassende Grundlegung. Dazu zeigt Friedrich Schweitzers "Für die Heimat oder für die eine Welt? Religionspädagogik im Spannungsfeld von Regionalität und Universalität" (155-169) ein wichtiges Problem an.

Leider sind in beiden Jahrbüchern die wohl als Hinführung zum Thema gedachten Erfahrungsberichte, aber auch manche "Konkretionen" offensichtlich ohne Kenntnis dieser grundlegenden Aufsätze entstanden. So berichten sie von verschiedenen Praxiserfahrungen, ohne daß jedoch die in den genannten Theorie-Beiträgen steckenden Möglichkeiten zur Praxiserschließung fruchtbar gemacht werden. Manches - vor allem in Band 14 - wirkt als bloßer Ausdruck tiefer Betroffenheit (und bedürfte angesichts des souverän von Otto Kaiser beigesteuerten exegetischen Befundes zu "Die Ausländer und die Fremden im Alten Testament" [65-83] der Differenzierung) bzw. überschreitet in Band 13 die Grenze zwischen wissenschaftlicher und (ad bonam partem formuliert) poetischer Sprache. Gewiß ist die Lektüre solcher Beiträge im einzelnen durchaus anregend; doch gehören sie nicht eher in einen Almanach für Theologie und Literatur als in das Jahrbuch einer wissenschaftlichen Disziplin?

Thematisch eher am Rand, aber interessant sind in Band 13 die Ausführungen von Horst Rumpf zu "Schule als Kunst-Raum. Über zweierlei Künstlichkeit" (129-143) und die Vorstellung des "Jewish Discovery Place Children’s Museum of Jewish Community Centers of Greater Los Angeles" (187-192) durch dessen Direktorin Esther Netter. Eindrücklich gelingt es Roland Degen, "Kirchenräume als Gedächtnis der Christenheit" (145-161) zu präsentieren und so auf die weithin noch nicht ausgeschöpften Möglichkeiten einer Kirchen-Pädagogik hinzuweisen.

Im Band 14 findet sich ein sehr interessanter (und sich in seiner abwägenden Art wohltuend von dem polemischen Verriß der Heitmeyer-Studie durch Matthias Proske und Frank-Olaf Radtke "Das Reden über Religion. Wissenschaft, Massenmedien und der Islam" [84-108] abhebender) Praxisbericht aus einer mehrheitlich von islamischen Schülerinnen und Schülern besuchten Hauptschule durch deren Rektor Helmut Niemeier: "Schule als Agentur interkulturellen Lernens im Stadtteil" (200-219). Beachtenswert auch: Faruk Sen "Recht auf Heimat in Deutschland aus türkischer Sicht" (135-145).

Abschließende Literaturberichte runden - wie gewohnt - die Jahrbücher ab. Der im Jahrbuch 13 von Ralf Koerrenz verfaßte zeichnet sich durch große Weite auch gegenüber der im Berichtsjahr erschienenen allgemeinpädagogischen Literatur aus; Rainer Lachmann bezieht sich in Band 14 kenntnisreich nicht nur auf Publikationen zum schulischen Religionsunterricht, sondern auch auf gemeindepädagogische Veröffentlichungen. Gewiß hätte wohl jede Leserin und jeder Leser noch manchen Aufsatz oder einzelne Bücher nachzutragen; doch liegt gerade in der subjektiven Färbung der Literaturberichte ein besonderer Reiz, solange hier jedes Jahr ein anderer Religionspädagoge die Feder ergreift (und zwar so kenntnisreich und profiliert wie Koerrenz oder Lachmann).

Insgesamt sind beide Jahrbücher in ihren Stärken und Schwächen ein deutlicher Spiegel der gegenwärtigen religionspädagogischen Diskussionslage. Der Gegenstandsbereich religionspädagogischer Reflexion weitet sich (zu?) rasant, nicht zuletzt durch möglichst umfassendes Wahrnehmen von Praxiserfahrungen und Erlebnissen; doch gelingt es nur teilweise, die Theoriebildung für konkrete Praxis fruchtbar zu machen. Vielleicht könnte, falls dies der Redaktion zeitlich möglich ist, eine engere Verklammerung von theoretischen Beiträgen und Praxisberichten (etwa durch gegenseitige Lektüre in einem noch vorläufigen Manuskriptstadium) über die manchmal beliebig erscheinenden "Erlebnisberichte" hinaus zu theoriegeleiteten Praxiserfahrungen führen und zugleich die Praxisferne mancher Theoriebeiträge mindern.